Freitag, 19. April 2024

Archiv

BND-Spionage in Österreich
"Überwachung ist ein schleichendes Gift"

Inzwischen habe Deutschland sehr viel klarere rechtsstaatliche Kriterien zur Überwachung im Ausland, als die meisten anderen Länder, sagte der Grünen Politiker Konstantin von Notz im Dlf. Trotzdem sei die aktuelle Empörung in Österreich über den Überwachungsskandal zwischen 1999 und 2006 verständlich.

Konstantin von Notz im Gespräch mit Tobias Armbrüster | 18.06.2018
    Der Grünen-Politiker Konstantin von Notz
    Der Grünen-Politiker Konstantin von Notz (imago stock&people)
    Tobias Armbrüster: "Ausspähen unter Freunden, das geht gar nicht!" Das hat Angela Merkel vor einigen Jahren gesagt, als bekannt wurde, dass die US-Behörden ihr Handy abgehört hatten. Dieser Satz wird seit dem Wochenende wieder häufiger zitiert, weil inzwischen bekannt ist, dass der deutsche Bundesnachrichtendienst selbst auch einen engen Freund ausspioniert hat: das Nachbarland Österreich nämlich Zwischen den Jahren 1999 und 2006 haben die Mitarbeiter dort mehr als 2000 Telefonanschlüsse und E-Mail-Konten in Österreich überwacht – von Ministerien, von internationalen Organisationen, aber auch von Unternehmen.
    Politiker in Österreich haben sich am Wochenende empört gezeigt, fordern Klarstellung aus Berlin. Die Bundesregierung will bislang nicht öffentlich Stellung nehmen. Vielleicht bekommen wir jetzt Klarheit von einem Mann, der im zuständigen Parlamentarischen Kontrollgremium im Bundestag sitzt: Konstantin von Notz von den Grünen. Schönen guten Morgen.
    Konstantin von Notz: Guten Morgen, Herr Armbrüster.
    Armbrüster: Herr von Notz, Österreich im Visier deutscher Agenten – war Ihnen das klar?
    von Notz: Ja, das ist uns klar seit dem Untersuchungsausschuss in der letzten Legislaturperiode, den wir nach den Snowden-Veröffentlichungen eingesetzt haben, und wir haben da festgestellt nach jahrelangem Akten lesen und Arbeit, dass auch Deutschland und auch der Bundesnachrichtendienst Freunde ausspäht und überwacht und dass das ein handfestes Problem ist.
    "Österreich war eins davon"
    Armbrüster: Das heißt, Sie wussten das, dass das in Österreich passiert ist?
    von Notz: Wir haben Akten und Selektoren gelesen über viele ausländische Staaten, gegen die sich deutsche Aufklärungsinteressen richteten, und Österreich war eins davon. Man muss dazu jetzt sagen, dass seit dem Jahr 2015 der Deutsche Bundestag versucht hat, eine Lehre daraus zu ziehen. Wir haben sehr viel schärfere Kriterien inzwischen für den Einsatz solcher Suchkriterien und echte Verbesserungen. Aber das Grundproblem bleibt erhalten, nämlich dass der Artikel zehn, der Schutz auf Privatheit der Kommunikation, nicht für Ausländer gilt.
    Armbrüster: Aber wenn Sie jetzt über Österreich Bescheid wissen, vielleicht können Sie uns noch ein paar andere Länder nennen, bevor die möglicherweise in den nächsten Tagen oder Wochen öffentlich werden? Gegen wen wurde da noch so massenhaft spioniert?
    von Notz: Es wurde gegen zahlreiche Länder auch in der Europäischen Union, zahlreiche befreundete Staaten auch spioniert oder fragwürdige Suchbegriffe zum Einsatz gebracht. Das steht alles im Abschlussbericht des Untersuchungsausschusses aus der letzten Legislaturperiode. Genau da lag das Problem und das war auch die Bigotterie in dieser Diskussion nach den Snowden-Veröffentlichungen und diesem Satz "Ausspähen unter Freunden, geht gar nicht!". Denn Ausspähen unter Freunden ging für den Bundesnachrichtendienst viele Jahre volle Kanne.
    "Es gibt keine klaren internationalen Abkommen"
    Armbrüster: Ist das denn inzwischen vorbei? Sie haben 2015 angesprochen, die Reform des BND-Gesetzes.
    von Notz: Genau. Die Reform des BND-Gesetzes hat dazu geführt, dass Deutschland doch sehr viel klarere rechtsstaatliche Kriterien eingeführt hat. Und man muss in alle anderen Länder auch mal die Frage richten, was ist eigentlich bei euch. Wir haben diesen Untersuchungsausschuss ziemlich alleine gemacht nach Snowden. Das ist ein Problem, das alle Nachrichtendienste haben. Alle leiten Verkehre von der Glasfaser runter und rastern die, die einen mehr, die anderen weniger, je nach Kapazitäten und Geld, was sie haben. Aber das Grundproblem bleibt. Es gibt keine klaren internationalen Abkommen zwischen Rechtsstaaten und vor allen Dingen innerhalb der Europäischen Union, dass man sich nicht gegenseitig ausspioniert oder zumindest ein total klares Verfahren hat, wie bestimmte Selektoren zum Einsatz kommen.
    Armbrüster: Das heißt, wenn ich Sie richtig verstehe, es könnte tatsächlich immer noch sein, dass Telefonanschlüsse, Handys oder auch E-Mail-Konten in Österreich vom BND abgehört und überwacht werden?
    von Notz: Man muss sich klar machen, dass es natürlich für Aufklärung des Bundesnachrichtendienstes auch hochgradig legitime Interessen gibt. Wenn Sie zum Beispiel Proliferation angucken, die Bekämpfung von illegalem Waffenhandel oder die Verletzung von Exportbedingungen, …
    "Kein Problem des Bundesnachrichtendienstes alleine"
    Armbrüster: Aber da kann man sich bei so engen Partnern, wie Österreich ja einer ist, nicht darauf verlassen, dass die österreichischen Behörden da von sich aus gesprächig sind und die Informationen weiterleiten?
    von Notz: Der Bundesnachrichtendienst ist ein Nachrichtendienst, der im Ausland aufklärt. Und es gibt legitime Interessen, auch Terrorismusbekämpfung, internationaler Drogenhandel und so weiter. Aber ich gebe Ihnen völlig recht – und das ist etwas, was wir ganz lange kritisieren: Es muss völlig klar sein, dass man befreundete Regierungen, Parlamente, Journalisten etc. nicht aufklären darf, wenn man nicht in einem harten rechtsstaatlichen Verfahren Kriterien hat für diese Überwachung, die dann stattfindet. Und das ist ein Problem, das wir international haben. Das ist kein Problem des Bundesnachrichtendienstes alleine, sondern das haben alle westlichen und insgesamt alle Nachrichtendienste. Dass China, Russland und andere sich nicht an rechtsstaatliche Kriterien halten, das gehört zur Wahrheit auch dazu und das muss man sich auch immer klarmachen.
    "Kein Grundrechtsschutz im digitalen Raum"
    Armbrüster: Nun sitzen Sie aber im Bundestag, sind der dafür zuständige Politiker Ihrer Partei. Deshalb die Frage an Sie: Warum ändert Deutschland daran nichts? Deutschland könnte ja auch zum Beispiel im Alleingang vorangehen. Das macht Deutschland ja auch in vielen anderen Politikbereichen und sagt, wir stellen das ab, zumindest mit unseren engsten Partnern, mit unseren engsten Freunden.
    von Notz: Richtig. Das haben wir als Grüne auch gefordert, auch bei dieser Reform des BND-Gesetzes, weil wir sagen, Ausspähen unter Freunden, das geht tatsächlich nicht. Aber die Große Koalition war nur bereit, in der letzten Legislaturperiode, ich sage mal, den halben Weg zu gehen. Trotzdem muss man anerkennen, wenn man einen klaren Blick auf das Problem bekommen möchte, dass Deutschland immerhin den halben Weg gegangen ist, und viele, viele andere Länder überhaupt nicht. Da gibt es praktisch für die Ausland zu Ausland Verkehre – so heißt der Fachbegriff da – überhaupt keine richtigen rechtsstaatlichen Regeln und alle steuern, was sie wollen. Und das ist ein massives Problem, denn Sie haben dann im digitalen Raum, wo heutzutage der Großteil unserer Kommunikation stattfindet, keinen Grundrechtsschutz, keinen Verfassungsschutz, und das führt dazu, dass die Privatsphäre im digitalen Raum weitgehend leerläuft.
    "Rechtsstaatlich ein massives Problem"
    Armbrüster: Jetzt haben Sie Anfangs gesagt, das mit Österreich war bekannt. Das war klar, dass der BND jahrelang dort bestimmte Ziele überwacht hat. Wie erklären Sie sich dann diese Empörung, die wir aus Österreich am Wochenende gesehen haben, diese Pressekonferenz von Bundeskanzler Sebastian Kurz und auch mit dem österreichischen Präsidenten Alexander Van der Bellen, die ja ganz offen Aufklärung fordern? Ist das jetzt aufgesetzt?
    von Notz: Nein, das ist nicht aufgesetzt, sondern man kann sich das gut erklären. Überwachung ist ein schleichendes Gift und wenn man es nicht sieht und nicht spürt, dann regt man sich nicht darüber auf. Aber wenn sich das konkretisiert – das konnte man damals an der Telefonnummer von Frau Merkel bei der NSA-Überwachung merken -, dann ist die Empörung groß. Und ich glaube, wir sollten uns einfach klarmachen, dass es diese Überwachung gibt und dass sie rechtsstaatlich ein massives Problem ist.
    Armbrüster: Hier bei uns im Deutschlandfunk in den "Informationen am Morgen" war das der grüne Rechtspolitiker Konstantin von Notz über die Veröffentlichungen vom Wochenende. 2000 Ziele hat der BND in Österreich abgehört in den Jahren zwischen 1999 und 2006. – Herr von Notz, ich danke Ihnen vielmals für das Gespräch heute Morgen.
    von Notz: Ich danke Ihnen herzlich.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.