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Spionage unter Freunden

Geheimdienste kennen keine Freunde: Der US-Geheimdienst NSA hörte das Handy von Bundeskanzlerin Angela Merkel ab, der Bundesnachrichtendienst BND spähte deutsche EU-Partner aus. In "Spionage unter Freunden" zeigen die Autoren auf, wie die westlichen Geheimdienste mit- und vor allem gegeneinander gearbeitet haben. Der BND macht da keine Ausnahme.

Von Annette Wilmes | 19.06.2017
    "Bundesnachrichtendienst" steht an einem Gebäude des BND in Berlin im Bezirk Steglitz/Zehlendorf unter einer Überwachungskamera und neben dem Bundesadler, aufgenonmmen am 20.12.2015.
    Wer sich in der Fachliteratur über die Geheimdienste auskennt, weiss längst, dass der BND seine Aktivitäten auch gegen befreundete Staaten richtet, genau wie umgekehrt. (picture alliance / Wolfram Steinberg)
    Dass der Bundesnachrichtendienst auch die deutschen EU-Partner ausspioniert hat, wurde einer breiten Öffentlichkeit erst nach den Snowden-Enthüllungen bekannt. Die Empörung war groß. Doch wer sich in der Fachliteratur über die Geheimdienste auskannte, wusste längst, dass der BND seine Aktivitäten auch gegen befreundete Staaten richtet, genau wie umgekehrt der amerikanische Geheimdienst massenhaft Daten in der Bundesrepublik Deutschland sammelt. Die viel gelobte Partnergemeinschaft zwischen westlichen Diensten existiere nicht, sagt Erich Schmidt-Eenboohm, es gebe nur Bündnisse von zeitweiliger Zweckmäßigkeit.
    "Zusammenfassend kann man sagen, dass insgesamt zwischen den westlichen Nachrichtendiensten immer eine große Kultur des Misstrauens bestand und auch noch bis heute besteht. Und natürlich sind Nachrichtendienste immer die Speerspitze von nationalen Sonderinteressen und die sind in der westlichen Wertegemeinschaft häufig und vielfach aufeinander geprallt. Die Nachrichtendienste haben da die Rolle, die Regierungen bei der Durchsetzung nationaler Interessen zu unterstützen, das heißt auch, gegen befreundete Nachrichtendienste zu agieren."
    Hortensie stand für CIA
    Vorläuferorganisation des BND war die Organisation Gehlen in Pullach. Reinhard Gehlen hatte als Generalmajor der Wehrmacht im Zweiten Weltkrieg die Abteilung "Fremde Heere Ost" geleitet, war somit Chef der Ost-Spionage. Seine Abteilung sammelte Informationen über die Strukturen der sowjetischen Armee und hatte hervorragende Verbindungen in den Osten Europas. Nach dem Krieg bot Gehlen den US-Amerikanern seine Dienste an und sie gingen darauf ein. Die "Organisation Gehlen" wurde der erste Geheimdienst auf bundesdeutschem Boden, im Buch kurz als "Org" bezeichnet. Sie stand bis 1956 unter der Aufsicht des amerikanischen Geheimdienstes, der CIA.
    "Bereits zu Org-Zeiten erhielten die ersten Partnerdienste ihre Decknamen, die als Sammelbezeichnung unter Fleurop firmierten. Dabei stand zunächst Hortensie für die CIA, Narzisse für Frankreich, Aster für Großbritannien, Begonie für Dänemark und Tagetes für den US-Marine-Nachrichtendienst Office of Naval Intelligence, während für die U. S. Army und die U. S. Air Force kein Fleurop-Deckname Verwendung fand."
    Mit und ohne US-amerikanisches Zutun hatte die Organisation Gehlen bereits Anfang der 50er Jahre einige so genannte Partnerdienstbeziehungen entwickelt. Besonders wichtig war die Residentur in Rom, die anfangs von Reinhard Gehlens Bruder Giovanni geleitet wurde. Nicht nur der italienische Nachrichtendienst, auch der katholische Nachrichtendienst im Vatikan war eine wichtige Nachrichtenbörse für die Organisation Gehlen und später auch für den BND - bis heute.
    "Der Vatikan verfügt über viele Nuntiaturen, hatte in Zeiten des Kalten Krieges mindestens zwei nachrichtendienstliche Säulen, einmal Opus Dei für die Westaufklärung und dann das so genannte Collegium Russicum zur Ostaufklärung. Damit flossen in den Vatikan ausgesprochen viele politische, wirtschaftliche, aber auch militärische Informationen. Und der BND war stets bemüht, daraus Honig zu saugen."
    Briten misstrauten der Organisation Gehlen
    Die Auswahl der Länder, deren nachrichtendienstliche Partnerschaften im Buch untersucht werden, ist repräsentativ. An erster Stelle stehen die USA, die gewissermaßen Geburtshelfer des BND waren. Dann kommen Frankreich und Großbritannien, kleinere Partner wie Italien und Dänemark und die neutralen Partner Schweiz, Österreich oder Schweden, die aber nachrichtendienstlich eng an den Westen gebunden waren und sind. Besonders schwierig gestaltete sich anfangs die Kontaktaufnahme des deutschen Geheimdienstes mit den Briten, erläutert Schmidt-Eenboom:
    "Die Briten wollten von vornherein keinen Nazi-General Reinhard Gehlen als Chef des ersten deutschen Auslandsnachrichtendienstes. Zugleich hatten sie eine ausgesprochene reservierte Haltung gegenüber der Org und dem frühen BND wegen der intensiven Beschäftigung von SS-Offizieren in Pullach. Und dann kam als drittes hinzu, dass die Briten schon 1950 der Auffassung waren, dass die Organisation Gehlen offen für den Osten war. Ihre Meinung war, alle Ergebnisse der Organisation Gehlen würden schon wenige Tage später in Ostberlin und noch einige Tage später in Moskau vorliegen."
    Womit sie nicht falsch lagen. So wurde der BND-Mitarbeiter Heinz Felfe, ein ehemaliger SS-Obersturmführer, bereits 1961 als Maulwurf des KGB enttarnt. In den 80er Jahren wurden zwei weitere Top-Quellen der östlichen Nachrichtendienste entlarvt.
    Befreundete Geheimdienste bespitzelt
    Die als Buch erschienene Studie liefert auch Beispiele dafür, wie es dazu kam, befreundete Geheimdienste auszuspionieren. Etwa im Frühling 2003, als 32 Touristen aus Deutschland, Österreich, der Schweiz, den Niederlanden und Schweden im algerischen Teil der Sahara von einer salafistischen Gruppe verschleppt worden waren.
    "Die französischen Geheimdienste hatten gute Quellen in der Region, doch sie wollten ihre Erkenntnisse nicht mit den Deutschen teilen. Also entschied der BND, die Franzosen zu bespitzeln, um an diese Informationen zu kommen", teilte ein BND-Veteran dem Spiegel im Frühjahr 2016 mit."
    Zwar ist nicht alles, was im Buch beschrieben wird, neu. Aber zum ersten Mal wird systematisch dargestellt und analysiert, wie die westlichen Geheimdienste über einen Zeitraum von sechzig Jahren mit- und vor allem gegeneinander gearbeitet haben. Die Studie stützt sich unter anderem auf Hunderte CIA-Akten, auf umfangreiche Aktenbestände der Organisation Gehlen und des BND, außerdem auf zahlreiche Dokumente der italienischen Sicherheitsbehörden. Bisher gibt es in der nachrichtendienstlichen Fachliteratur lediglich verstreute Hinweise auf Partnerdienstbeziehungen, gemeinsame Operationen und auch auf Feindseligkeiten. Diese Hinweise werden in der Studie der drei Geheimdienstexperten zusammen geführt und einer breiten Leserschaft zugänglich gemacht.
    Besonders die detailreiche Schilderung, wie sich die verschiedenen Akteure begegneten, die minutiöse Aufzählung der Treffen und die vielen Namen machen das Buch zwar nicht gerade zum Lesevergnügen. "Erzählerisch bisweilen sperrig" räumt Schmidt-Eenboom selbst im Vorwort ein. Aber es sind eben keine Geschichten, die erzählt werden. Sondern Bericht und Analyse stehen im Vordergrund. Das Buch hilft, nachrichtendienstliche Informationen aus dem Tagesgeschehen historisch und politisch einzuordnen.
    Christoph Franceschini, Thomas Wegener Friis, Erich Schmidt-Eenboom: Spionage unter Freunden - Partnerdienstbeziehungen und Westaufklärung der Organisation Gehlen und des BND.
    Christoph Links Verlag, Berlin 2017, 384 Seiten, 30 Euro.