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Bob Geldof: G-20 müssen arme Länder berücksichtigen

Der Musiker Bob Geldof, bekannt als Organisator der Live-Aid-Konzerte von 1985 und 2005, hält die Ausgrenzung ärmerer Entwicklungsländer in globalen Finanzfragen für falsch. 50 Prozent der Weltbevölkerung lebe von nur zwei Euro täglich. Auf deren Produktivität und Dynamik dürfe die Gruppe der G-20-Länder nicht verzichten, so Geldof.

Bob Geldof im Gespräch mit Christian Schütte | 01.04.2009
    Christian Schütte: In London beginnt am Abend der G-20-Gipfel. Über die Rolle der Schwellenländer dort am Verhandlungstisch haben wir bereits berichtet. Wie steht es um die so genannten Entwicklungsländer? Wie stark leiden sie unter der Wirtschafts- und Finanzkrise? – Darüber habe ich mit dem Musiker und Live-Aid-Organisator Bob Geldof gesprochen.

    Bob Geldof: Die unmittelbare Folge ist, dass das Geld, das Auswanderer an ihre Familien in Afrika überweisen – eine Summe von 12 bis 18 Milliarden Dollar -, diese Auslandsüberweisungen sind eingebrochen, weil diese Leute jetzt arbeitslos sind, oder weil sie angesichts der Krise ihr Geld lieber sparen. Dies trifft die Familien in Afrika unmittelbar und hat eine katastrophale Wirkung. Die nächste Konsequenz der Krise hängt mit dem Rohstoffhandel zusammen. Gold, Platin, Silber, Kupfer, Zink, Coltan – dies ging bisher alles nach China. Aber das hat auch aufgehört, weil China nicht mehr so stark produziert. Afrika wird trotzdem noch ein Wirtschaftswachstum aufweisen können, das größer ist als unseres. Aber die Folgen für die einzelnen Menschen dort werden katastrophal sein. Und die Aufgabe der G-20 ist es nun, die armen Länder in die neue globale Finanzarchitektur einzuschließen.

    Schütte: Auf dem G-20-Gipfel in London soll es ja vor allem darum gehen, die globalen Finanzmärkte strenger zu regulieren. Erwarten Sie da eine Diskussion über die Lage in Afrika?

    Geldof: Ich war auf der Tagung des Internationalen Währungsfonds in Dar-es-Salaam vergangene Woche. Alle afrikanischen Finanzminister waren dort, auch Direktor Dominique Strauss-Kahn. Ich denke, die Situation ist klar. Die Nachkriegs-Institutionen – die Vereinten Nationen, die Weltbank, der IWF, die EU – müssen für das 21. Jahrhundert reformiert werden. Und ein Teil dieser Reform muss darin bestehen, dass die Schwellen- und Entwicklungsländer stärker repräsentiert werden, vor allem beim Internationalen Währungsfonds und bei der Weltbank. Dies wurde in Dar-es-Salaam allgemein akzeptiert. Europa, das den IWF ja eigentlich kontrolliert, sollte es ermöglichen, dass mehr Vertreter aus solchen Ländern in den Entscheidungsgremien sitzen.
    Die wichtigste Sache, die auf dem G-20-Gipfel herauskommen sollte, ist, dass neben der Kontrolle der Finanzmärkte, die wichtig ist in einer globalisierten Welt, die Armen einbezogen werden, wie auch immer die Finanzarchitektur aussehen soll. 50 Prozent der Weltbevölkerung lebt von weniger als zwei Euro pro Tag. Wenn wir diese Menschen ausschließen, schließen wir deren Produktivität, Kreativität, ihre Ideen und ihre Dynamik aus. Und wenn wir das tun, verhindern wir, dass unsere Produkte dorthin exportiert werden und umgekehrt. Das war der entscheidende Fehler, als wir unser bestehendes Finanzsystem aufgebaut haben. Es ist asymmetrisch, und jeder Asymmetrie wohnt Instabilität inne. Das darf nicht noch einmal passieren.

    Schütte: Afrika einbeziehen, sagen Sie. Inwieweit hilft dies in der Krise, denn ökonomisch betrachtet ist ja Afrika etwa für Exportweltmeister Deutschland nicht gerade der wichtigste Markt?

    Geldof: Das stimmt. Afrika ist kein großer Markt – noch nicht. Eine unabhängige Studie des Londoner Instituts für Wirtschafts- und Sozialforschung zeigt folgendes: Wenn wir 50 Milliarden Dollar als direkte Hilfe in Afrika investieren, kommen 250 Milliarden zu uns zurück. Der deutsche Export zum Beispiel würde sich noch in diesem Jahr um zwei Milliarden Dollar verbessern. Und diese 50 Milliarden Dollar Investitionen könnte man unter anderem aufbringen, indem bereits versprochene Gelder vorgezogen werden. Dies würde der Weltwirtschaft nutzen. Wir müssen die afrikanischen Produzenten, Konsumenten, diese unberührten Märkte in den globalen Wirtschaftskreislauf hineinziehen.

    Schütte: Wenn die wirtschaftlich wichtigsten Staaten der Welt leiden, sollten diese dann nicht zunächst der eigenen Wirtschaft auf die Beine helfen?

    Geldof: Das ist richtig. Wir wissen: Wenn die Reichen weniger reich sind, werden die Armen noch ärmer werden. Aber was auch stimmt: Die Menschen denken nach. Ich will nicht wie ein Hippie klingen, denn ich bin keiner. Aber laut einer repräsentativen Umfrage in Deutschland sagen 71 Prozent der Menschen, dass es ihr Verhalten bei der Wahl konkret beeinflusst, ob die Regierung ihre Hilfsversprechen für Afrika einhält. Und von diesen Menschen wiederum sagen die meisten, Deutschland muss die Zusagen einhalten, auch wenn dies eine weitere kleine Bürde ist, die die Gesellschaft tragen muss. Dies sagt viel über die Menschen und ihre Prioritäten.

    Schütte: Wie sieht es aus mit Prioritäten der Politik? Hält die Regierung Angela Merkels, was sie versprochen hat?

    Geldof: Diese Regierung hat ihre Versprechen bisher gehalten, auch angesichts großer wirtschaftlicher Probleme - und auch politischer Probleme, schließlich geht es vor der Wahl um Koalitionen. Dennoch halte ich den öffentlichen Druck für groß. Es ist beinahe eine Frage von Stolz und Ehre. Ich habe Angela Merkel so erlebt: Wenn sie einem von Angesicht zu Angesicht Zusagen macht, dann hält sie sie auch.

    Schütte: Es soll insgesamt mehr Geld nach Afrika fließen, sagen Sie. Wer aber stellt sicher, dass das Geld, dass die Hilfe auch bei denen ankommt, die es nötig haben, und nicht etwa bei den politischen Eliten?

    Geldof: Ich möchte bestreiten, dass die Gelder in den Händen der Eliten bleibt. Das Ausmaß der Korruption in China und Südostasien ist weitaus größer als in Afrika. Wir müssen nicht über Siemens reden oder über British Aerospace, wir müssen nicht darüber sprechen, wie Korruption die Wirtschaft beeinflusst, das geschieht in der ganzen Welt. In einer durchschnittlich korrupten afrikanischen Wirtschaft beläuft sich der Schaden auf sieben bis acht Prozent. Das ist skandalös und kriminell, und die Verantwortlichen gehören ins Gefängnis. Aber dies sollte uns nicht abhalten, arme Menschen am Leben zu halten und sie in Schulen zu schicken.

    Schütte: Sie setzen sich, Herr Geldof, seit 25 Jahren für Afrika ein. Damals haben Sie mit der moralischen Verpflichtung zu helfen argumentiert, heute argumentieren sie mit wirtschaftlichen Gründen. Inwiefern können Sie damit besser überzeugen?

    Geldof: Das Live-Aid-Konzert vor 25 Jahren hat sich mit den Symptomen der Armut beschäftigt. Heute können wir endlich an die politischen und wirtschaftlichen Strukturen der Armut herangehen. Denn damals haben junge Männer namens Toni Blair und Gordon Brown unser Konzert gehört. Bei der Neuauflage 2005 wusste Blair als Regierungschef ganz genau, worauf wir hinauswollten. Beim anschließenden G8-Gipfel gab es das Versprechen der Europäer, bis 2010 0,51 Prozent des Bruttoinlandsprodukts in Entwicklungshilfe zu stecken, was die deutsche Regierung nach wie vor tun will und ehrenwert dafür kämpft. Wenn ich nach Japan gehe oder nach Kanada, sieht das anders aus. Die USA werden ihre Zusagen wohl einhalten, Großbritannien auch, Frankreich – naja – und Italien – vergiss es. Aber das ist eine Blamage.

    Schütte: Sie sind Musiker. Wie klingt Ihr Lied für den G-20-Gipfel?

    Geldof: Ich nehme gerade ein paar Songs auf und meine Freundin hat eine Ukulele. Darauf habe ich gestern gespielt und gesungen: Die Banker haben mein Geld gestohlen, sie haben meine Kohle geklaut ... Ich fahre zum G-20-Gipfel, vielleicht nehme ich die Ukulele mit und spiele das Lied vor.