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Bobby Hebbs-Klassiker
"Bei 'Sunny' handelt es sich definitiv nicht um eine Frau"

Der Soul-Song "Sunny" wird 50. Sänger und Komponist war Bobby Hebb. Rüdiger Ladwig vom Hamburger Trocadero Label hat Hebb vor etwa 16 Jahren in Michigan aufgestöbert. Gemeinsam haben sie zwei One-Song-Compilations mit verschiedensten Versionen von "Sunny" zusammengestellt und ein Studioalbum aufgenommen. Er hat den amerikanischen Musiker als einen äußerst positiven Menschen erlebt.

Rüdiger Ladwig im Corso-Gespräch mit Anja Buchmann | 06.08.2016
    Sunny Compilation-Cover
    Auszug des Covers zur Single 'Sunny' von Bobby Hebb (Trocadero Label)
    Rüdiger Ladwig: Ich habe gar nicht die Originalversion zuerst gehört, sondern ich bin Baujahr 1964 und ich habe das während der Pubertät auf den Partys meiner älteren Schwester in der Version von Boney M links und rechts um die Ohren gespielt bekommen. Man konnte in diesem Jahr dieser von Frank Farian toll produzierten Nummer nicht aus dem Weg gehen. Da habe ich es zuerst gehört und das Original habe ich eigentlich erst im jungen Erwachsenenalter mit dem Interesse für Soul und Country-Soul kennengelernt. Dann hat es mich aber sofort abgeholt und gerissen und dann habe ich angefangen, die Singles in verschiedenen Versionen zu sammeln.
    Anja Buchmann: Ach so, Sie haben tatsächlich schon früh begonnen zu sammeln, die verschiedenen Versionen von "Sunny"?
    Ladwig: Ja, ich bin so ein Vinyl-45er-Scheiben-Fan und habe sehr früh, Ende der 70er-Jahre schon angefangen, Singles zu sammeln. Das ist in den 80er- und 90er-Jahren ein bisschen auswüchsig geworden und "Sunny" war eine der Nummern, die ich in ganz vielen Versionen schon gesammelt hatte.
    Buchmann: Wieso haben Sie Bobby Hebb gesucht beziehungsweise aufgesucht und wie und wo haben Sie ihn gefunden - im Jahr 2000 war das glaube ich in etwa?
    Ladwig: Ende der 1990er-Jahre hatte ich mit Freunden die Idee - das war vor dem digitalen Download-Zeitalter und vor dem Streaming -, habe ich überlegt, ob das funktioniert, mit vielen verschiedenen Versionen eine Compilation zu erstellen. Ob man die genießen kann, ob die Spaß macht, ob das Ohr und das Gehirn das verträgt, immer wieder die gleiche Nummer und Melodie zu hören.
    Buchmann: Oder ob es einem nicht doch irgendwann auf die Nerven geht.
    Ladwig: Genau, das habe ich dann getestet und das hat funktioniert. Und dann habe ich gesagt, okay, wenn ich das mache, dann würde ich aber gerne herausfinden, wo der Original-Komponist von "Sunny" abgeblieben ist. Und es gab nicht mehr viel zu finden, er hat anscheinend aktiv keine Musik mehr gemacht, was auch stimmte, seine letzte Platte war 1970 erschienen, also fast 30 Jahre vorher. Und ich habe dann über verschiedene Kontakte in den USA versucht, ihn ausfindig zu machen, bin auch sehr nah herangekommen, nämlich bis zu seiner älteren Schwester und habe der mehrfach auf den Anrufbeantworter gesprochen, die hat mich aber nie zurück gerufen. In der Zwischenzeit hatte ich mich entschieden, das Projekt mit der ersten "Sunny"-Compilation zu machen. Dann bin ich einen anderen Weg gegangen und habe einen befreundeten amerikanischen Journalisten und Musiker in Nashville gebeten, sich mit der Schwester mal in Verbindung zu setzen und ein Interview mit Bobby Hebb für eine Nashviller Zeitung zu organisieren. Das hat er dann getan. In der Zwischenzeit war die Vorab-Version des Albums fertig. Und am Ende des Interviews hat er ihn gefragt, ob er von diesem Deutschen gehört hätte, der da dieser One-Song-Compilation nur mit Versionen von "Sunny" plant und da hat er gesagt: Ja, aber noch keinen Kontakt. Dann hat der Journalist ihm diese Vorab-CD in die Hand gedrückt und Bobby Hebb war total begeistert und hat mich ein paar Stunden später am selben Tag angerufen. Und dann nahm das Schicksal seinen Lauf.
    "Ein zuhörender, spiritueller Mensch. Absolut auf dem Boden geblieben"
    Buchmann: Dann sind Sie irgendwann hingereist und haben ihn auch persönlich kennengelernt.
    Ladwig: Ja, wir haben uns in den Jahren danach, wir haben zwei "Sunny"-Compilations gemacht und wir haben uns in Deutschland und in Nashville besucht. Er war hier in Deutschland, ich war in Nashville, da hat sich über die Jahre dann eine Freundschaft ergeben.
    Buchmann: Was war er für ein Typ, für eine Persönlichkeit, als Sie ihn damals getroffen haben?
    Ladwig: Ein sehr respektvoller, zurückhaltender, zuhörender, spiritueller Mensch. Absolut auf dem Boden geblieben, aber auch im Jetzt, was aktuelle Musik angeht, und neugierig – und interessanterweise hat der immer ein kleines Faible für Deutschland und England gehabt. In England war er ja auch recht bekannt, auch in der Northern-Soul-Szene. Und hier in Deutschland möglicherweise, weil er extrem viele Tantiemen ...
    Buchmann: Über die Boney M Geschichte.
    Ladwig: ... über die Boney M Geschichte gekriegt hat. Aber es gab eine Verbindung zu Deutschland und zu England, er war immer gerne hier und mochte die Mentalität hier.
    Buchmann: Hat er denn noch Musik gemacht zu der Zeit? Sie sagten, die letzte Platte wurde 1970 veröffentlicht, hat er wenigstens nebenbei noch Musik gemacht und wovon hat er sonst gelebt? Außer von den Tantiemen.
    Ladwig: Er hat von den Tantiemen gelebt, tatsächlich, weil er die Rechte hatte, was in den 60er-Jahren nicht üblich gewesen ist. Guterweise ist er bei den Firmen und Management in ganz gute Hände geraten und hat da keine schlechten Verträge abgeschlossen oder gar seine Rechte abgegeben für ein Butterbrot, sondern er hat seine Rechte behalten. Das ist natürlich toll für einen Künstler, der ja auch nicht so viel gemacht hat, dass er von diesem One-Hit-Wonder, was er da hatte, einen Welthit, leben konnte. Aber es ist so, dass er Musik nur nebenbei noch gemacht hat. Ab und zu mal in Restaurants und in kleinen Klubs gespielt und mal im Radio. Weil er 1970 aufgrund einer richterlichen Auflage dazu verdonnert worden ist, sich jetzt mal einen richtigen Beruf zu suchen. Weil er mit Alkohol und anderen Dingen, Mitte und Ende der 1960er-Jahre in New York, doch ziemlich zusammen gekommen ist. Und da sind ein paar Dinge passiert, er war dann doch schwerer Alkoholiker. Es gab dann noch eine sehr schwierige Scheidung und auch irgendwie, ich weiß nicht genau, was dann noch los war.
    Initialzündung für "Sunny"
    Buchmann: Tatsächlich eine richterliche Auflage, nicht mehr mit Musik Geld verdienen zu dürfen letztlich?
    Ladwig: Ja, weil er einfach als Alkoholiker ein paar Ausraster hatte und der Richter dann zur Auflage gemacht hat: Herr Hebb, jetzt ist hier mal Schluss mit Party und all diesen Eskapaden, jetzt suchen Sie sich mal einen richtigen Job. Das ist die Auflage. Auf jeden Fall hat er dann in so einer Autobahnmeisterei, würde man in Deutschland sagen, bis zur Rente tatsächlich gearbeitet
    Buchmann: Was hat er Ihnen zur Entstehung des Songs erzählt? Es gibt Geschichten, dass auch der Mord an John F. Kennedy und auch seines Bruders ein bisschen dazu beigetragen haben - "Yesterday my life was filled with rain" - was hat er Ihnen erzählt, wie der entstanden ist?
    Ladwig: Also mir hat er eigentlich nur die Dinge erzählt, dass die schwere Zeit für schwarze Amerikaner, Ende 1963, Civil Rights, also die amerikanische Bürgerrechtsbewegung war ja in voller Blüte in der Zeit. Es gab die ganzen Märsche und wo weiter. Und genau in der Zeit war natürlich John F. Kennedy ein Hoffnungsträger für die schwarze Bevölkerung. Dann ist der halt in Dallas erschossen worden, was natürlich absolut tragisch war. Und am Tag danach - Bobby Hebb hat in der Zeit schon in New York gelebt -, ist in Nashville sein älterer Bruder, der eine sehr wichtige Bezugsperson für ihn war, vor einem Musikklub erstochen worden. Und diese beiden Ereignisse in Verbindung mit der Bürgerrechtsbewegung, waren schon die Initialzündung, "Sunny" zu schreiben. Ob der Song dann schon komplett gewesen ist, Ende 1963, Anfang 1964, das hat er nie ganz klar gesagt. Ich glaube er hat ihn komplett fertiggeschrieben und ausarrangiert im Laufe des Jahres 1964, Anfang 65, weil dann ist er von einem amerikanischen Musikverlag bereits verlegt worden und einem anderen Künstler zur Interpretation angeboten worden. Also vor seiner eigenen Version 1966.
    "Song, der sagt: Die Hoffnung nicht aufgeben, nach vorne gucken"
    Buchmann: Für wen oder was steht "Sunny" eigentlich? Ein Bild für etwas Sonniges, etwas Positives, was den schlechten Zeiten entgegengesetzt werden soll? Ist Sunny letztlich doch eine Frau, was ich nicht glaube, er hat auch etwas von einem Sonnenauf oder -untergang erzählt, der ihn noch beeinflusst haben soll.
    Ladwig: Ich glaube, das ist eine Geschichte, die hat er irgendwann als Schutzschild für die immer wieder kehrende Frage benutzt. Vielleicht hat er den Song in einer Nacht in New York, 1964/65 fertiggeschrieben und es war fertig und er hat einen Punkt dahinter gemacht. Aber es handelt sich definitiv nicht um eine Frau. Und es ist natürlich ein Song, der sagt: Die Hoffnung nicht aufgeben, nach vorne gucken. Ich würde sagen, es ist eher ein Anschieber und im Positiven, der einen anheben soll und dazu ermuntern soll, den Kopf nicht in den Sand zu stecken und nicht allzu traurig zu sein, und das Gestrige dazulassen, wo es ist, zu verarbeiten und frohen Mutes nach vorne zu gehen. So war er auch als Typ eigentlich.
    Buchmann: Trotz allem, was er auch erlebt hat.
    Ladwig: Trotz allem, was er erlebt hat, ein sehr positiver Mensch, sehr den Menschen zugerichtet, mit so einer spirituellen Note, wie das bei Amerikanern, die christlich geprägt sind - wenn die solche Erfahrungen gemacht haben mit Alkohol, dann werden die manchmal so leicht spirituell, das war bei ihm auch so, aber im positiven Sinne, nicht im fanatischen Sinne.
    Buchmann: Konnte eine kleine Karriere durch die "Sunny"-Compilation und auch das Studio-Album "That’s all I wanna know" nochmal angeschoben werden?
    Ladwig: Es ist tatsächlich so, dass er wie gesagt 30 Jahre keine Platte gemacht hatte und durch die "Sunny"-Compilation im Jahr 2000 und der zweiten "Sunny"-Compilation im Jahr 2002, aus den beiden Arbeiten und aus diesem neu geweckten Interesse an ihm als Musiker - er hat dann auch hier in Deutschland Konzerte gespielt und war auch in Japan und in England, und dann ist nochmal ein neues Interesse entstanden. Und irgendwann rief er mich an und sagte, ich gehe ja bald in Rente, ich hab ja dann mehr Zeit. Wir können gerne noch eine neue Platte aufnehmen und dann haben wir darüber gesprochen und die ja auch aufgenommen, dieses "All I wanna know" und dann ist da ja auch noch mal "Sunny" erstmalig als Duett drauf von Astrid North von Cultured Pearls. Das war das allererste Mal, es gibt ja über 2000 Versionen, dass er das selber als Duett gesungen hat. Und die beiden haben sich sehr gut verstanden im Studio. Es ist nicht nur als Datei durch die Gegend geschickt worden, sondern Astrid North ist dann von Berlin nach Düsseldorf gekommen, was ja auch nicht die Entfernung ist, und die haben es dort im Studio eingespielt.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.