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Bochumer Premieren
"Angst vor Verantwortung" als Thema

Am Schauspiel Bochum starten gleich zwei Premieren: Roger Vontobel inszeniert Ibsens "Hedda Gabler", und "Raus aus dem Swimmingpool, rein in mein Haifischbecken" heißt das neue Stück von Laura Naumann – und es ist verdammt gut!

Von Christiane Enkeler | 15.03.2014
    Leistung heißt das Gefängnis, aus dem Moana nur entkommt, wenn sie sich einen Knochen nach dem anderen bricht und somit nicht mehr im Laufrad hamstern kann. Denn Verantwortung kann sie so natürlich keine mehr übernehmen.
    "Raus aus dem Swimmingpool, rein in mein Haifischbecken" heißt das neue Stück von Laura Naumann - und es ist verdammt gut! Drei verlorene Menschen suchen nach Ziel und Sinn: Ein junger Steward, der von einem Ort zum anderen fliegt und flieht. Seine Freundin Moana, die im ersten Job versucht, sämtlichen Anforderungen gerecht zu werden, bis zur Selbstaufgabe.
    Und Moanas Mutter Christiane, die als Nachrichtensprecherin an der Sinnlosigkeit ihres Tuns verzweifelt: Menschen über Missstände informieren, die dann doch nichts dagegen tun.
    Tolles Stück von Laura Nauman mit Raum für Sehnsucht und Traurigkeit
    Der Text schleudert eine Gemeinheit nach der anderen heraus, die Wortwechsel klappen ineinander wie die Türen für Auf- und Abgänge in einem guten Boulevardstück.
    Aber das Stück ist dabei nicht kalt. Jede Figur hat Raum für Sehnsucht und Traurigkeit. Regisseur Malte C. Lachmann inszeniert Tempo und Rhythmus, wie von Laura Naumann bereits angelegt – und das ist gut. Schauspielerisch schwankt der Abend: Immer wieder wirkt der Text auch zu breit in den Raum gestellt. Andere Stellen funktionieren wie geschmiert.
    Laura Naumann spannt den Bogen weit zwischen Boulevardkomödie und verlorenen Momenten. Man denkt an Szenen von Botho Strauß und kann sich Naumanns Stück auch gut auf der großen Bühne vorstellen.
    Aber die große Bühne gehört in Bochum erst mal dem Klassiker, "Hedda Gabler", da weiß man, was man hat. – Ja? Weiß man das?
    Gut aufgelegtes Ensemble im Stück "Hedda Gabler"
    Roger Vontobel hat ein weiteres Stück gefunden, in dem er Jana Schulz inszenieren kann. Zuletzt war ihre erste Zusammenarbeit, ein Monolog von 2002, noch einmal in Bochum zu sehen. Die Hedda von Jana Schulz ist deutlich ein "Papa-Kind". Die Generalstochter ist ein unterforderter Eroberer und Krieger, erstarrt in der Enge von drohender Mutterschaft und drückend-dröger Bücherwelt des Ehemannes Tesman.
    Vontobel schickt sein gut aufgelegtes Ensemble in eine naturhafte Hölle, schon per Video-Prolog, in dem Blüten wollüstig aufplatzen und Insekten in Nahaufnahme gezeigt werden, beim Fressen und der Fortpflanzung.
    Im Design-Wohnzimmer der Tesmans, bleu-beige gestaltet, vibriert es auch, aber nur unter der Oberfläche. Nichts wird klar ausgesprochen, aber alles deutlich angedeutet. Spannung, Gewalt und Humor in jedem Satzfetzen – das ist viel, was Ensemble und Inszenierung bei aller Kühle und gelegentlichem Klamauk transportieren.
    Problematisch ist, dass Vontobel noch mehr wollte: Als Clowns und mit Insektenmasken geistert Heddas Horror über die Bühne: der Vater, die Kinder, und alle in der Enge der Familie.
    Angst vor Verantwortung
    Aber das funktioniert im Theater nicht wie im Horrorfilmgenre, das hier Vorbild gewesen sein mag. Es wirkt unrhythmisch, oft eher komisch und wäre gar nicht nötig: Heddas Besessenheit, ihre innere Leere, ihr Eingeengt-Sein kann man bereits an Schauspielerin Jana Schulz ablesen. Bei Vontobel erschießt Hedda sich am Ende nicht, sondern fügt sich ins Familienbild ein.
    Bei all dem geht ein weiterer Horror unter: Hedda hat den Tod eines Menschen mit zu verantworten, aus Lust am Luxus, Eifersucht, seelischer Erstickung und Angst vor Verantwortung.
    Während in Laura Naumanns Gegenwartstheaterstück auch niemand weiß, was das ist: Verantwortung. Wie man sie übernimmt, ohne sich selbst zu übernehmen.
    Christiane, die Nachrichtensprecherin, versucht auszusteigen. Spektakulär schmeißt sie ihren Job mit einer persönlichen Botschaft in den Nachrichten.
    Das, was Sinn ergibt - bis zum Ende des Stücks hat sie es nicht gefunden. Und deswegen gewaltig Angst.