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Bockhahn: Anti-Spionage-Abkommen ist ein "ganz großer Witz"

Wer sich gegenseitig verpflichte, beim anderen nicht zu spionieren, der müsse davon ausgehen, dass es beide Seiten bisher getan haben, sagt Steffen Bockhahn, Mitglied im Parlamentarischen Kontrollgremium. Der Politiker der Linkspartei glaubt nicht, dass sich die USA an ein Anti-Spionage-Abkommen halten würden.

Steffen Bockhan im Gespräch mit Dirk-Oliver Heckmann | 13.08.2013
    Dirk-Oliver Heckmann: Seit Wochen bereits dominiert ein Thema die Schlagzeilen: Die Behauptung nämlich, der amerikanische Nachrichtendienst NSA durchleuchte weltweit die Kommunikation. Und ein zweiter Vorwurf stand im Raum: Der deutsche Auslandsnachrichtendienst BND liefere massenweise Kommunikationsdaten an die Amerikaner, darunter Handy-Daten, die dazu benutzt werden, verdächtige Personen mithilfe bewaffneter Drohnen zu töten. Gestern hat das Parlamentarische Kontrollgremium Kanzleramtsminister Ronald Pofalla, der für die Aufsicht der Geheimdienste zuständig ist, stundenlang befragt. Pofalla teilte anschließend mit, alle Vorwürfe seien vom Tisch.

    Telefonisch zugeschaltet ist uns Steffen Bockhahn von der Linkspartei, Mitglied im Parlamentarischen Kontrollgremium. Schönen guten Morgen, Herr Bockhahn.

    Steffen Bockhahn: Schönen guten Morgen aus Rostock.

    Heckmann: Sind wir wochenlang einer Chimäre hinterhergelaufen?

    Bockhahn: Nein, das glaube ich nicht. Denn Fakt ist: Es gibt neue Erkenntnisse über das, was die NSA tut. Es gibt neue Erkenntnisse über das, was die britischen Geheimdienste tun. Und ehrlich gesagt weiß ich jetzt auch ein bisschen mehr über das, was die bundesdeutschen Nachrichtendienste tun. Das alles ist klarer geworden in den letzten Wochen.

    Heckmann: Klar ist geworden, das sagt jedenfalls Ronald Pofalla, dass eine massenhafte Ausspähung durch den amerikanischen oder auch durch den britischen Geheimdienst nicht stattfindet.

    Bockhahn: Für meinen Geschmack lehnt er sich da ziemlich weit aus dem Fenster, denn alles, was er uns gestern präsentieren konnte, war ein Schriftstück, in dem die NSA zusichert, dass von ihr aus keine flächendeckende Überwachung in Deutschland stattfinden wird. Und dann muss man immer ganz genau die Worte auseinandernehmen, die man hört. Denn Fakt ist: Die NSA hat gesagt, sie selbst tut in Deutschland nichts. Wir wissen inzwischen, dass über 200 Unternehmen für die NSA in Deutschland arbeiten mit Sondergenehmigung der Bundesregierung. Ich habe gestern keine verbindliche Antwort darauf bekommen, ob diese Zusage nur für die NSA gilt oder auch für die über 200 Unternehmen, die für sie arbeiten.
    Wir wissen auch, dass die Bundesregierung diese Garantie nur abgeben kann für Daten, die innerhalb Deutschlands sind. Das muss ich kurz erklären. Viele kennen iPhones, viele nutzen iPhones. Wenn man sich auf einem iPhone eine iMessage schickt, dann geht die nicht etwa von Köln nach Rostock, oder von Rostock nach Köln, sondern sie geht von Köln nach Cupertino in Kalifornien und dann kommt sie zurück nach Rostock. Zwischendurch war sie also in den USA, da hat die Bundesregierung keinen Zugriff, und was die NSA dort mit den deutschen Daten macht, das kann Herr Pofalla auch nicht beantworten.

    Heckmann: Sie gehen also davon aus, dass es ein massenhaftes Abhören, ein Abschöpfen der Kommunikation deutscher Staatsbürger gibt. Aber Belege haben Sie dafür nicht?

    Bockhahn: Ich kann es genauso wenig ausschließen, dass es das gibt, wie ich es sicher sagen kann.

    Heckmann: Dann ist es reine Theorie?

    Bockhahn: Natürlich ist es reine Theorie und deswegen brauche ich ja Aufklärung. Fakt für mich ist, dass Herr Pofalla sich gestern hingestellt hat und gesagt hat, das ist hier alles beendet, das ist alles vorbei, weil er ein Schriftstück der NSA in den Händen hält, das allerdings nicht den Gehalt hat, wie Herr Pofalla das gerne deutlich machen möchte. Klar ist also: Wir brauchen hier noch deutlich mehr Antworten, als wir heute haben, denn die NSA sagt nichts über das, was sie selber tut, und Fakt ist, dass wir heute auch wissen, dass die Zusammenarbeit von BND und NSA deutlich intensiver ist, als das bisher bekannt gewesen ist. Alles das wäre sonst nicht rausgekommen.

    Heckmann: Das ist ja der zweite Vorwurf, der im Raum stand, dass der BND massenhaft Kommunikationsdaten an die Amerikaner weitergebe und dass da irgendein Verdacht vorliege gegen bestimmte Personen. Aber auch das ist nicht der Fall, sagt Pofalla, sagt der BND.

    Bockhahn: Es gibt ja in der Politik gelegentlich unterschiedliche Wahrnehmungen von Sachverhalten. Richtig ist, dass es keine massenhafte Weitergabe von Daten deutscher Staatsbürger durch die deutschen Geheimdienste gegeben hat. Allerdings hat diesen Vorwurf auch nie jemand gemacht. Den hat nicht Edward Snowden gemacht und den hat auch nach meiner Kenntnis niemand aus dem Parlamentarischen Kontrollgremium jemals erhoben.

    Heckmann: Sondern?

    Bockhahn: Die Bundesregierung in Form von Ronald Pofalla hat nach der letzten Kontrollgremiums-Sitzung sich öffentlich hingestellt und gesagt, niemals hat es das gegeben. Sie hat einen Vorwurf dementiert, den nie jemand gemacht hat. Das ist eine alte bekannte Taktik und das hat auch erst mal ganz gut funktioniert. Fakt ist aber, dass der Bundesnachrichtendienst in einem viel intensiveren Umfang, als uns das bisher jemals bekannt war, Daten erstens erhebt und zweitens an die Amerikaner auch ungefiltert weitergibt, und das sind allerdings Punkte, über die ich schon gerne auch von der Bundesregierung früher mal informiert worden wäre.

    Heckmann: …, wobei überhaupt gar nicht klar ist, in welchem Umfang diese Aktionen durchgeführt werden.

    Bockhahn: Wie meinen Sie? Der Umfang des Datenvolumens, der lässt sich inzwischen etwas genauer abschätzen und da werden wir auch noch weitere Informationen bekommen.

    Heckmann: Und zwar?

    Bockhahn: Die 471 Millionen Datensätze, die im Dezember 2012 vom BND an die Amerikaner gegangen sein sollen, sind gestern bestätigt worden – 471 Millionen Datensätze in einem Monat.

    Heckmann: Und Sie gehen davon aus, dass es in den restlichen Monaten, im Rest des Jahres eben genauso stattfindet?

    Bockhahn: Das würde ich gerne genauer wissen und dazu wird die Bundesregierung noch weitere Informationen liefern müssen.

    Heckmann: Und das wird sie auch tun?

    Bockhahn: Ich gehe davon aus, denn ich möchte niemandem unterstellen, dass er kein Aufklärungsinteresse hat und dass er nicht die Arbeit der Geheimdienste kontrollieren möchte, wenn er in diesem Gremium sitzt. Fakt ist aber, dass die Koalitionsfraktionen die Mehrheit haben. Das ist eines der entscheidenden Probleme bei der parlamentarischen Kontrolle, dass wir zu schwache Minderheitenrechte haben. Da muss sich was verändern, denn natürlich ist eine Koalitionsfraktion im Zweifel eher geneigt, die eigene Regierung zu schützen, als unpopuläre Anträge zuzulassen. Aber zur Kontrolle gehört selbstverständlich dazu, dass man weiß, was und in welchem Umfang machen die eigentlich.

    Heckmann: Herr Bockhahn, es gibt ja einen weiteren schwerwiegenden Vorwurf, und zwar, dass der Bundesnachrichtendienst Handy-Daten an die Amerikaner weitergebe, die dann dazu dienen, Terrorverdächtige zum Beispiel in Pakistan, zum Beispiel in Afghanistan zu orten und dann zu töten, mittels bewaffneter Drohnen, beispielsweise durch die Amerikaner. Aber diesen Vorwurf erhebt jetzt nicht einmal mehr Thomas Oppermann von der SPD.

    Bockhahn: Ja, das ist ja seine Sache. Ich bin da etwas anders. Das liegt aber daran, dass ich eine grundsätzlich andere Einstellung zu diesem Thema habe. Was man ganz klar sagen muss: Die Frage Handy-Daten-Erfassung und Weitergabe auch von Ortungsdaten spielt seit Jahren eine Rolle auch im Parlamentarischen Kontrollgremium. Und wer der Meinung ist, dass der BND dazu beitragen soll, dass andere gefasst werden, der muss damit leben, dass so was passiert. Fakt ist aber auch, dass der BND nicht ausschließen kann, dass mittelbar seine Informationen nicht doch auch dazu genutzt werden, um solche gezielten Tötungen oder andere Maßnahmen, die mit deutschem Recht nicht vereinbar sind, durchzuführen.

    Heckmann: Fakt ist aber, Herr Bockhahn, dass diese Telefondaten, diese Handy-Daten offenbar gar nicht dazu geeignet sind, …

    Bockhahn: Da gibt es unterschiedliche Aussagen!

    Heckmann: …, die Personen zu orten, und dass nur solche Daten dazu verwendet werden können von Satellitentelefonen, und diese Daten werden vom BND laut eigener Auskunft nicht weitergegeben.

    Bockhahn: Diese Aussage, was die Satellitentelefone betrifft, ist unzweifelhaft richtig. Aber – und das ist für mich ganz wichtig – es gibt unterschiedliche Aussagen darüber, ob die GSM-Daten nutzbar sind oder nicht. Und Fakt ist: Wenn ich über GSM-Daten Bewegungsprofile erstellen kann, dann kann ich auch eine Drohne losschicken, die hoch auflösende Kameras hat. Und wenn ich weiß, der fährt immer in diesem weißen Toyota Land Cruiser, dann kann ich mit meiner hoch auflösenden Kamera diesen weißen Toyota Land Cruiser in genau der Funkzelle suchen, in der das potenzielle Ziel öfter gesichtet worden ist. Richtig ist – das sage ich unmissverständlich: Der BND teilt immer wieder mit, dass seine Daten nicht für gezielte Tötungen verwendet werden dürfen. Richtig ist aber auch, dass der BND nicht garantieren kann und dies auch nicht tut, dass andere diese Daten nicht missbräuchlich doch dafür verwenden, und das ist ein Problem. Aber das ist eine Grundsatzfrage, ob man der Auffassung ist, dass solche Daten weitergegeben werden dürfen oder nicht. Die Linke und ich, wir sagen nein, das darf man nicht, weil man nicht ausschließen kann, dass man sich nicht indirekt doch der Mittäterschaft schuldig macht.

    Heckmann: Ronald Pofalla hat ein Anti-Spionage-Abkommen mit den USA angekündigt. Da muss man doch immerhin sagen, das ist ein positives Ergebnis. Wir haben nicht mehr viel Zeit.

    Bockhahn: Das ist aus meiner Sicht ein ganz großer Witz, denn wer sich gegenseitig verpflichtet, beim anderen nicht zu spionieren, muss ja davon ausgehen, dass es bisher beide Seiten getan haben. Was die NSA in Deutschland betrifft, glaube ich daran; was den BND in den USA betrifft, glaube ich nicht daran. Das heißt, einseitiges Rechtsgeschäft und somit unwirksam. Große PR-Nummer, unwirksam.

    Heckmann: Steffen Bockhahn war das live hier im Deutschlandfunk. Er ist Mitglied der Linken und Mitglied im Parlamentarischen Kontrollgremium. Herr Bockhahn, danke Ihnen für Ihre Zeit!

    Bockhahn: Sehr gerne!


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