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Bofinger: Rezession im Euro-Raum wird sich fortsetzen

Der Euro-Raum wird sich auch im nächsten Jahr bei steigender Arbeitslosigkeit in der Rezession befinden, glaubt der Wirtschaftsweise Peter Bofinger. Grundlegendes Problem sei, dass die Fiskalpolitik die Konjunktur destabilisiere.

Peter Bofinger im Gespräch mit Jürgen Zurheide | 22.12.2012
    Jürgen Zurheide: Die wirtschaftlichen Aussichten für 2013 sind nicht besonders rosig, oder jedenfalls nicht nur rosig. Das Wachstum wird sich überall abschwächen, die Arbeitslosigkeit leicht steigen, das sagt man vorweg. Allerdings, in diesem Jahr ist auch die Ungleichheit stark gestiegen in der Bundesrepublik, wir haben gerade diese Wochen neue Zahlen gehört, und die europäische Krise, nun ja, ist sei eigentlich vorbei oder eher nicht, da gibt es heftige Zweifel, ob sie denn wirklich vorbei ist. – Über all das wollen wir reden und dazu begrüße ich Peter Bofinger, Mitglied des Sachverständigenrates. Guten Morgen, Herr Bofinger!

    Peter Bofinger: Guten Morgen, Herr Zurheide!

    Zurheide: Herr Bofinger, zunächst einmal der Befund: Die Ungleichheit hat zugenommen. Kann man das erst mal so stehen lassen? Fangen wir an mit der Bundesrepublik Deutschland!

    Bofinger: Insgesamt beobachten wir in Deutschland schon seit Längerem, dass die Ungleichheit stark zunimmt. Und in der Phase von etwa 1995 bis 2005 hat die Ungleichheit in Deutschland stärker zugenommen als in den meisten anderen Ländern. In den letzten Jahren sehen wir eine gewisse Abflachung, also, es hat sich etwas normalisiert, einfach deswegen, weil die Arbeitslosigkeit ja doch deutlich zurückgegangen ist, auch die Realeinkommen sind am aktuellen Rand deutlich stärker gestiegen. Also, ganz aktuell ist das Problem etwas abgemildert worden, aber im längerfristigen Trend sehen wir, dass sie sehr stark zugenommen hat, die Ungleichheit.

    Und das ist ja nicht nur ein deutsches Problem, sondern ein globales Problem. Wenn Sie so die Phase seit den 80er-Jahren nehmen, hat weltweit die Verteilung sich massiv verändert. Der Anteil der Arbeitseinkommen ist gesunken, der Anteil der Kapitaleinkommen ist stark gestiegen. Und das ist ja auch für die Weltwirtschaft ein großes Problem. Denn wenn Sie das Geld denen nehmen, die wenig Einkommen haben, aber davon sehr viel ausgeben, und es denen geben, die hohe Einkommen haben und davon relativ viel sparen, dann schaffen Sie einfach eine Nachfragelücke in der Weltwirtschaft, die mit entsprechenden Problemen verbunden ist.

    Zurheide: Und außerdem gibt es so was wie Umverteilung. Also, in der Bundesrepublik Deutschland gibt es Zahlen, wo man sagen kann, die Steuern sind gesunken, die Einkommen am oberen Ende sind stark gestiegen, und auf der anderen Seite sind diejenigen, die früher Steuern bezahlt haben, die haben heute Kapitaleinkünfte und leihen das Geld dann dem Staat. Das ist auch Umverteilung, oder?

    Bofinger: Ja, diese Umverteilung der Markteinkommen ist jetzt noch dadurch verstärkt worden, dass jetzt die Kapitaleinkommen, die sowieso relativ stark gestiegen sind, dass die noch entlastet worden sind steuerlich. Und dass auch bei den Arbeitseinkommen die hohen Einkommen deutlich stärker entlastet worden sind als die niedrigen Einkommen. Ich sage ja, das ist eine Nachfragelücke, die man damit geschaffen hat. Diese Nachfragelücke ist in den Jahren bis zur Finanzkrise, also bis etwa zum Jahr 2007, dadurch gestopft worden, dass die Privaten massiv sich verschuldet haben, dass also Konsum auf Pump stattgefunden hat. Damit ist die Weltwirtschaft ganz gut zurechtgekommen. Mit der Finanzkrise ist das Modell zusammengebrochen, wir haben ja dann auch diesen starken Einbruch der Weltwirtschaft erlebt im Jahr 2009. Und dass es heute wieder einigermaßen gut läuft und dass wir relativ schnell im Jahr 2010 aus den Problemen herausgekommen sind, liegt eben daran, dass die verteilungsbedingte Nachfragelücke eben durch eine massive Staatsverschuldung geschlossen wurde. Sehen Sie sich die USA an, die haben derzeit ein Defizit von acht Prozent im öffentlichen Haushalt, was ja sehr, sehr viel ist. Und die Wirtschaft wächst gerade mal so mit zwei Prozent.

    Zurheide: Das heißt aber doch, der Weg ist jetzt versperrt. Das heißt die weitere Verschuldung wird diese ökonomischen Ungleichgewichte nicht mehr zurückbringen können. Also, Staatsverschuldung sowohl, als auch private Verschuldung. Was ist denn die Konsequenz aus Ihrer Sicht?

    Bofinger: Ja, deswegen steht die Weltwirtschaft in einer ganz schwierigen Phase im Augenblick. Wir sehen ja, dass da, wo der Staat bisher noch hohe Schulden gemacht hat, dass es da noch einigermaßen läuft. Japan ist ja ein Land mit einer sehr, sehr hohen Verschuldung, etwa zehn Prozent in Höhe der Neuverschuldung, Großbritannien und USA, da läuft das noch so einigermaßen. Im Euro-Raum war ja der Zwang sehr groß, schon in diesem Jahr ganz stark auf die Bremse zu treten, und das Ergebnis ist: Der Euro-Raum ist ja in der Rezession, die Arbeitslosigkeit steigt und das wird im nächsten Jahr nicht besser werden!

    Zurheide: Es gibt viele, die sagen, die Stimmung ist im Moment besser als die Lage, gerade im Euro-Raum. Ist diese Diagnose richtig?

    Bofinger: Also, zumindest in Deutschland, glaube ich, sieht man die Situation im Euro-Raum besser, als sie tatsächlich ist. Wenn man die Industrieproduktion betrachtet im Euro-Raum, dann ist die fast im freien Fall. Also, die ganz aktuellen Werte zeigen, da ist überhaupt keine Besserung. Und alle Prognosen sind ja sich einig, dass im nächsten Jahr die Rezession im Euro-Raum sich fortsetzen wird. Und das grundlegende Problem dabei ist, dass die Finanzpolitik im Euro-Raum gerade in den Ländern, die schon in der Rezession sind, stark restriktiv ausgelegt ist. Und das bedeutet eben, dass man eine, wie wir das nennen, prozyklische Fiskalpolitik betreiben, das heißt, anstatt die Konjunktur zu stabilisieren, destabilisiert die Fiskalpolitik die Konjunktur. Und wir haben da eine Konstellation, die so ein bisschen ähnlich ist wie Anfang der 30er-Jahre in Deutschland. Da hatten wir ja den Reichskanzler Brüning, der in der schwersten Weltwirtschaftskrise massiv gespart hat. Der hat tatsächlich nahezu kein Defizit gemacht, so stark hat er gespart, aber er hat natürlich die Wirtschaft in eine katastrophale wirtschaftliche Lage gebracht!

    Zurheide: Nur damit stehen wir so ein Stück, die Wahl zwischen Pest und Cholera zu haben! Denn weitere Verschuldung ist ja auch keine besonders aussichtsreiche Strategie. Was können wir da tun?

    Bofinger: Ja, ich glaube, die USA zeigen ja, wie man das machen kann. Man muss eben versuchen, den Ausstieg des Staates aus der Verschuldung zeitlich zu strecken, das nicht zu abrupt zu machen. Und bisher ist das in den Vereinten Staaten ja gar nicht so schlecht gegangen, die Arbeitslosigkeit ist von ihrem Höchststand jetzt mittlerweile deutlich zurückgegangen, die privaten Haushalte haben ihre Verschuldung abgebaut, der Immobilienmarkt stabilisiert sich. Das heißt, wenn man den Entzug nicht abrupt macht, sondern graduell, ist das durchaus ein Weg, wie man wieder zu normaleren Verhältnissen zurückkommen kann. Aber man wird sich eben auch grundsätzlich fragen müssen, dass man auch die Verteilung wieder mehr ins Lot bringt. Denn die Ungleichverteilung ist einfach keine Basis für ein nachhaltiges Wachstum ohne Staatsverschuldung!

    Zurheide: Sehen Sie denn in der deutschen Politik, zumindest in der Bundesregierung, Verständnis für das, was Sie da gerade sagen? Also, auf der einen Seite wirklich die Verteilung zu verändern, und zu erkennen, dass Verteilung zusammenhängt auch mit der konjunkturellen Lage?

    Bofinger: Also, insgesamt, glaube ich, ist dieser Zusammenhang zwischen Einkommensverteilung und Wirtschaftswachstum und auch Staatsverschuldung nicht so stark verbreitet. Obwohl das ja eigentlich aus deutscher Sicht gar nicht eine so ungewöhnliche Position ist. Wenn Sie an Ludwig Erhard denken, dessen Wachstumsmodell war ja Wohlstand für alle. Das heißt, wenn in einer Wirtschaft die Produktivität steigt, wenn das Bruttoinlandsprodukt steigt, dann soll eben das, was mehr an Einkommen da ist, auch möglichst breit verteilt werden. Das war das Motto von Ludwig Erhard und damit ist ja auch Deutschland in den ersten zweieinhalb Jahrzehnten nach dem Zweiten Weltkrieg sehr gut gefahren. Und wir konnten eben da auch Wirtschaftswachstum ohne Staatsverschuldung realisieren.

    Zurheide: Das war ein Plädoyer für Ludwig Erhard und das Ganze von Peter Bofinger, dem Mitglied des Sachverständigenrates der Bundesregierung. Herr Bofinger, ich bedanke mich bei Ihnen für das Gespräch, bitte schön!

    Bofinger: Ja, gerne!

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.