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Bofinger: Sparen in der Rezession könnte kontraproduktiv sein

Der Euroraum befinde sich in einer sehr labilen Situation, meint der Wirtschaftsweise Peter Bofinger. Das strenge Sparen könne zu noch mehr Schulden führen. Er betont, eine anhaltende Rezession in Europa sei zudem für Deutschland die teuerste Lösung.

Peter Bofinger im Gespräch mit Gerd Breker | 29.04.2013
    Gerd Breker: Italien hat eine neue Regierung: Der Stillstand nach der Wahl im Februar ist beendet. Nur wie wird es weitergehen? Steht eine Fortsetzung des Reformkurses der Regierung Monti an? Wohl kaum – Ministerpräsident Letta hat schon deutlich gemacht, dass er kein Anhänger einer reinen Sparpolitik ist, er will Wachstumsimpulse gegen die Wirtschaftskrise und gegen die wachsende Arbeitslosigkeit, was ein Zwischenfall belegt.

    Am Telefon begrüße ich den Wirtschaftsweisen Peter Bofinger. Guten Tag, Herr Bofinger!

    Peter Bofinger: Guten Tag, Herr Breker!

    Breker: Der Sozialkommissiar der Europäischen Union László Andor wirft der Bundesrepublik Lohndumping vor. Liegt er da so falsch?

    Bofinger: Also ich glaube, er hat grundsätzlich recht, dass man sich fragen muss, wie man die Anpassung im Euroraum gestalten soll. Ob es also richtig ist, dass wir die Anpassung nur dadurch erreichen, dass in Frankreich, in Italien, in Spanien die Löhne sinken, während wir in Deutschland gar keine Anpassung vornehmen, oder ob nicht auch Deutschland ein Teil des Problems ist und deswegen auch ein Teil der Lösung sein muss.

    Breker: Dem verweigert sich die Bundesregierung aber noch, denn die Bundesregierung sagt, die Krisenländer sollen so gut werden wie wir, und wir sollen unsere Wettbewerbsfähigkeit nicht verschlechtern.

    Bofinger: Gut, man muss ja zwei Dinge auseinanderhalten, das eine ist die realwirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit, das heißt, wie produktiv sind Länder, wie leistungsfähig sind die Länder, wie gut sind die Produkte, und das andere ist die preisliche Wettbewerbsfähigkeit, das heißt, zu welchem Preis verkauft man diese Produkte. Und in Deutschland haben wir ja durchaus das Problem, dass wir aufgrund eines fehlenden Mindestlohns in manchen Bereichen ja tatsächlich Lohndumping machen. Fleischwirtschaft ist ein Beispiel, wo eben zu extrem niedrigen Preisen Fleisch verarbeitet wird, was dann für Länder wie Belgien beispielsweise das Problem schafft, dass dann diese Leistungen nicht in Belgien, sondern in Deutschland stattfinden, und das ist dann kein Wettbewerb über Produktivität, über Leistungsfähigkeit, sondern über extrem niedrige Löhne, und diese Art von Wettbewerb sollte man vermeiden.

    Breker: Das heißt, Sie sind dafür, dass die Bundesrepublik Deutschland zum Beispiel einen Mindestlohn einführt, um etwas zu tun überhaupt.

    Bofinger: Also ich denke, das wäre ein relativ einfacher Beitrag, um etwas mehr Gleichgewicht im Euroraum zu schaffen, um auch einen Teil der Anpassung eben von Deutschland aus zu leisten, denn wenn die ganze Anpassung nur in den sogenannten Problemländern stattfindet und also dort massiv die Löhne sinken, kommt es dort zur Deflation, die Wirtschaft kommt in eine Abwärtsspirale, und das kann ja auch nicht unser Interesse sein, denn nach wie vor sind fast 40 Prozent unserer Exporte Exporte, die in den Euroraum gehen.

    Breker: Und diese Exporte brechen gerade ein.

    Bofinger: Ich glaube, es ist ganz wichtig, dass man erkennt, dass sich der Euroraum in einer sehr labilen Situation befindet, dass auch in Deutschland die Wirtschaftsentwicklung sich immer ungünstiger darstellt. Man muss ja nur die Quartalsberichte sich ansehen, und deswegen ist es doch sehr wichtig, dass man nicht einfach ein Weiter so in dieser Europolitik fordert, sondern dass man überlegt, wie kann man strategisch auch die Dinge neu ausrichten. Und für mich wäre ein wichtiger Beitrag zu einer solchen strategischen Neuausrichtung, dass man jetzt in einer so schwierigen Situation nicht immer neue Sparprogramme umsetzt, wie das im Augenblick jetzt ja gerade in Portugal diskutiert wird, sondern dass man sagt, solange sich die Wirtschaft in der Rezession befindet, sollte man keine neuen Sparprogramme durchführen, damit warten, bis die Wirtschaft wieder Tritt gefasst hat, und erst dann weitere Konsolidierungsmaßnahmen vornimmt. Denn Sparen in der Rezession ist ein Sparen, das am Ende kontraproduktiv sein kann, dass die Schulden dann höher sind, als wenn man nicht gespart hätte.

    Breker: Sparpolitik macht es erst noch schlimmer, bevor es dann besser werden kann. Die Frage ist nur, was den Menschen zugemutet werden kann und wann der Bogen überspannt ist. Ist der Bogen aus Ihrer Sicht überspannt?

    Bofinger: Ich glaube, dass man in den letzten Jahren zu viel an Konsolidierung versucht hat durchzusetzen. Man hat diese Konsolidierungspolitik eigentlich verfolgt, als ob es da keine Grenzen der Belastbarkeit gibt. Und ich finde, die Quittung sieht man ja deutlich: Alle Länder, die nun stark konsolidiert haben, sind in eine schwere Rezession geraten, in eine anhaltende Rezession geraten, die Arbeitslosigkeit steigt dramatisch, und aufgrund dieser so ungünstigen Rahmenbedingungen ist ja auch kein Beitrag jetzt zum Schuldenabbau zustande gekommen. Im Gegenteil, die volkswirtschaftlich relevante Größe, also die Schulden bezogen auf die Wirtschaftsleistung, ist in all den Ländern, die gespart haben, weiter angestiegen. Die haben sich bemüht, aber am Ende war es kontraproduktiv.

    Breker: Sie sagen es, Herr Bofinger, Portugal, Spanien, Italien, Griechenland und auch Frankreich sind Länder, in denen es kriselt. Da droht das Fass überzulaufen.

    Bofinger: Ja, ich glaube, man muss eben einfach wirklich diese ganze Konzeption kritisch überprüfen, und dass es anders geht, das kann man ja sehr schön in den USA sehen, die Amerikaner hatten ja auch eine Finanzkrise, die hatten auch eine schwere Immobilienkrise, die Arbeitslosigkeit ist dort auch auf zehn Prozent angestiegen, aber die amerikanische Finanzpolitik hat sich sehr viel mehr Zeit gelassen, sehr viel behutsamer die Konsolidierung in Angriff genommen, und ich finde, man kann das Ergebnis mit den Händen greifen. In den USA ist es jetzt gelungen, die Arbeitslosigkeit auf unter acht Prozent zu bekommen, im Euroraum geht die Arbeitslosigkeit auf zwölf Prozent und mehr. In den USA stabilisiert sich jetzt der private Sektor wieder, der Immobilienmarkt, und im Euroraum geht es immer weiter nach unten, also hier, glaube ich, braucht man ganz dringend eine Diskussion, ob diese Politik des Weiter so bei der Sparpolitik, ob das die richtige Strategie für den Euroraum ist.

    Breker: Man braucht nicht nur eine Diskussion, man braucht auch Handlungen. Wer ist denn da gefragt? Die EZB soll die Zinsen senken?

    Bofinger: Also die EZB hat natürlich jetzt am leichtesten eine Möglichkeit, etwas einen Impuls zu geben. Es gibt überhaupt keinen Grund, an Leitzinsen von 0,75 Prozent festzuhalten. In einer so schwierigen Lage hätte man schon längst eine stärkere Zinssenkung durchführen können, so, wie das auch ja schon längst die amerikanische Notenbank oder die englische Notenbank gemacht hat. Also hier ist ein Spielraum, den man dringend nutzen sollte, und ich habe das Gefühl, dass die EZB das auch machen wird, und das andere ist eben die ganze Diskussion jetzt bei der Europäischen Kommission, bei der Troika, da ist ja in der Tat schon allmählich ein Erwachen zu erkennen. Also man hat ja durchaus jetzt erkannt, dass man den Ländern mehr Spielraum geben muss, aber wenn ich jetzt eben sehe, dass man in Portugal krampfhaft versucht, noch neue Sparmaßnahmen umzusetzen, nachdem das Land im dritten Jahr einer schweren Rezession ist, dann ist der Erkenntnisprozess doch noch nicht hinreichend weit gediehen.

    Breker: Also Konjunkturprogramme, Wachstumsimpulse sind notwendig?

    Bofinger: Also zumindest ist es notwendig, keine weiteren Sparprogramme zu machen, das wäre ja mal die Mindestbedingung. Und im zweiten Schritt wäre dann sicher auch zu überlegen, wie kann man zusätzliche konjunkturelle Programme umsetzen, wie kann man auch für die Jugendarbeitslosigkeit Impulse setzen. Das ist sicher auch sehr wichtig, aber da ist die noch sehr viel schwierigere Frage, denn es muss ja jemand geben, der bereit ist, das zu finanzieren, der bereit ist, die Defizite dann zu alimentieren, und da fehlt ja auch jeglicher Konsens im Euroraum, wie das zu gestalten ist.

    Breker: Europa züchtet sich ein Problem heran, Herr Bofinger, Sie haben es angesprochen, die Jugendarbeitslosigkeit. Wenn in diesen Krisenländern die Hälfte oder mehr Jugendliche ohne Job leben muss und müssen, dann wächst doch da eine verlorene Generation ran.

    Bofinger: Ja, das Problem ist ja, dass das jetzt nicht eine Durststrecke ist. Man sagt, na ja, da muss man jetzt mal die Ohren anlegen und das ist mal hart, aber wir können doch relativ sicher sagen, in ein, zwei Jahren geht es wieder aufwärts, es wird alles besser. Das ist aus meiner Sicht nicht so, und das ist natürlich ein großes Problem, das über den ökonomischen Bereich weit hinausgeht, das auch mit politischen negativen Folgen verbunden sein, kann und wie gefährlich solche Prozesse sind, das konnte man ja in Deutschland Anfang der 30er-Jahre erleben. Da war ja auch diese große Krise, da war in Deutschland eine ganz konsequente Austeritäts- und Sparpolitik durch Herrn Brüning, aber am Ende hat das eben sowohl ökonomisch als auch politisch in eine Katastrophe geführt, und ich glaube, wir sollten alles tun, dass wir in Europa ähnliche Prozesse verhindern.

    Breker: Die Bewältigung dieser Krise wird teuer, teuer für Deutschland, die Frage ist nur, kann man dieses Geld nicht möglicherweise anders, sinnvoller investieren?

    Bofinger: Also die teuerste Lösung für Deutschland ist sicher, wenn der Euroraum immer tiefer in die Rezession kommt, wenn immer mehr deutsche Unternehmen erhebliche Probleme bei ihren Absatzmärkten bekommen, und das sehen wir jetzt ja im ganzen Automobilbereich. Ich denke, das ist die Lösung, die für Deutschland auch ökonomisch mit den größten Kosten verbunden ist.

    Breker: Das heißt, Investitionen wären sinnvoller?

    Bofinger: Also es wäre auf jeden Fall sinnvoll, alles zu tun, das man a) diese Abwärtsbewegung stoppt und dass man b) sich fragt, wie kann man Impulse setzen, dass die Länder aus der Krise wieder herauskommen.

    Breker: Der Wirtschaftsweise Peter Bofinger im Deutschlandfunk.