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Bofinger: Verflechtungen im Banksektor massiv abbauen

Der Wirtschaftssachverständige Peter Bofinger fordert eine "konsequente" Entzerrung des Banksektors. Durch die hohe Verflechtung seien Bankenpleiten bislang ohne Marktturbulenzen kaum möglich. Ziel der Bankenregulierung müsse jedoch sein, "dass theoretisch eine Bank wie die Deutsche Bank insolvent werden kann", so Bofinger.

Peter Bofinger im Gespräch mit Jürgen Zurheide | 21.07.2012
    Jürgen Zurheide: Es gibt gefühlt das hundertste Rettungspaket – wenn man wirklich nachzählt, ist es das zehnte Rettungspaket in Europa, und immer wieder sagen die Politiker, jetzt haben wir es. Das Jüngste geht Richtung Banken in Spanien, 100 Milliarden, der Bundestag hat den Weg freigemacht, die Euro-Finanzminister haben den Weg freigemacht, die Bedingungen im Kleingedruckten sind allerdings noch schwierig. Wo stehen wir bei der Eurorettung? Darüber wollen wir reden, und ich begrüße dazu am Telefon den Wirtschaftsweisen Peter Bofinger. Guten Morgen, Herr Bofinger!

    Peter Bofinger: Morgen, Herr Zurheide!

    Zurheide: Herr Bofinger, 100 Milliarden für die spanischen Banken, möglicherweise, aber wer haftet dafür? Diese Unklarheit, dass da im Kleingedruckten immer noch etwas nicht klar ist, wie problematisch ist das?

    Bofinger: Ja, grundsätzlich gibt es da Probleme, aber ich würde sagen, das Entscheidende ist ja, dass es auch im Interesse Deutschlands liegt, dass wir einen stabilen Euroraum haben, dass wir ein stabiles Finanzsystem des Euroraums haben, und die spanischen Banken sind nun mal in einer schwierigen Lage durch die Immobilienkrise, aber auch durch die schlechte Konjunktur, die ja die Probleme jetzt auch noch verschärft. Und ich glaube, da müssen wir in Deutschland ein ganz klares Interesse daran haben, dass die spanischen Banken durch diese Krise kommen, und müssen da vielleicht auch in Kauf nehmen, dass der eine oder andere Punkt nicht abschließend geklärt ist.

    Zurheide: Das heißt, bei der Haftung, über die wir jetzt gerade dann in dem Fall reden, da sagen Sie, die Deutschen müssen mehr verstehen, dass es am Ende gar nicht so sehr um die Spanier geht, sondern um sie, um unsere Wirtschaft hier selbst – oder wie habe ich Sie da gerade zu verstehen?

    Bofinger: Ja, ich glaube, das ist ja bei der ganzen Diskussion über die Krise entscheidend, dass man sich fragt, sitzen wir alle in einem Boot, in einem gemeinsamen Boot, und leiden wir da nicht auch ganz massiv darunter, wenn dieses gemeinsame Boot untergeht, oder haben wir nur einen Geleitzug von Booten, wo eben die Spanier im spanischen Boot sitzen, die Italiener im italienischen, die Deutschen im deutschen Boot, und wenn dann eben das spanische Boot untergeht, das ist dann bedauerlich, aber es macht uns nichts aus. Mein Eindruck ist, dass wir eben im gemeinsamen Boot sitzen, dass wir wirtschaftlich, aber auch finanziell sehr, sehr eng miteinander verbunden sind, und wenn die spanische Wirtschaft, wenn die spanischen Banken dann erhebliche Probleme haben, wenn es da massive Bankenzusammenbrüche gibt, dann schadet uns das am Ende ganz massiv.

    Zurheide: Also um es dann auf den Punkt zu bringen, wir schmeißen den faulen Südländern kein Geld hinterher – das war jetzt polemisch zugespitzt, so wird ja hin und wieder argumentiert –, wen retten wir? Wir retten am Ende unsere Exporte, die Deutschen, und auch die deutschen Banken?

    Bofinger: Ich glaube, zunächst mal ist ja ganz entscheidend, dass in diesen Ländern ja enorme Anstrengungen gemacht werden zu sparen, dass den Menschen in den Ländern auch enorme Einsparungen zugemutet werden bei den Löhnen, bei den Renten, im öffentlichen Dienst, dass also da ganz, ganz viel getan wird, um die Lage zu verbessern. Dass sich das nicht so richtig auszahlt, liegt eben daran, dass diese Sparprogramme als Nebenwirkung ganz erhebliche Effekte auf die Konjunktur haben. Spanien ist in der Rezession, Italien ist in der Rezession, Portugal ist in der Rezession, und das macht jetzt wiederum die Situation bei den Banken schwieriger, und deswegen muss man eben versuchen, gemeinsam die Lage zu stabilisieren, und ich glaube, das ist dann auch zu erreichen.

    Zurheide: Der Internationale Währungsfonds hat in dieser Woche noch mal das Hü und Hott kritisiert, dass die Maßnahmen am Ende nicht wirklich systemisch angelegt werden. Sie haben ähnliche Kritik geäußert. Was müsste denn eigentlich passieren, wenn man das Ganze systemisch angeht?

    Bofinger: Ja, wir sehen ja zunächst mal das Grundproblem, dass in Spanien, in Italien sehr, sehr viel gespart worden ist. Italien ist heute nach Deutschland das zweitsolideste G7-Land, aber die Märkte honorieren das nicht, Italien muss sehr, sehr hohe Zinsen bezahlen. Diese hohen Zinsen belasten dann auch wieder den Versuch, die öffentlichen Finanzen zu stabilisieren. Genau so ist es in Spanien, Spanien zahlt heute deutlich mehr Zinsen als jemals zuvor in seiner Mitgliedschaft in der Währungsunion, das heißt, die hohen Zinsen laufen nun diesem Sparprogramm entgegen, und wenn man will, dass die Länder erfolgreich sind, dass sie ihre öffentlichen Finanzen in den Griff bekommen, dann muss man ihnen helfen, dass sie ihre öffentlichen Haushalte zu vernünftigen Zinsen refinanzieren können. Denken Sie daran, dass zum Beispiel in Großbritannien, in den Vereinigten Staaten der Staat zu anderthalb Prozent das Geld bekommt, in Deutschland kriegt der Staat es fast umsonst. Und das ist eben das, was man als die systemische Lösung anspricht, das heißt, man muss versuchen, gemeinsam Geld aufzunehmen, in einer gemeinsamen Haftung Geld aufzunehmen, damit Länder wie Spanien und Italien eben tatsächlich auch die Vorteile Ihrer Sparpolitik durch niedrige Zinsen in Empfang nehmen können.

    Zurheide: Auf der anderen Seite haben sie lange Zeit zu niedrige Zinsen gehabt, das war auch ein Teil des Problems. Ich will noch mal auf einen anderen Punkt kommen, die Märkte honorieren das nicht, haben Sie gerade gesagt. Der SPD-Parteivorsitzende Sigmar Gabriel hat heute eine sehr heftige Philippika gegen die Banken und gegen diesen ganzen Bankensektor geritten. Was müsste denn da möglicherweise passieren, oder liegt Gabriel da komplett falsch?

    Bofinger: Nein, wir haben natürlich nach wie vor das Problem, dass die Position der Banken sehr stark ist, und diese Stärke der Banken ergibt sich daraus, dass es im Augenblick sehr, sehr schwierig ist, eine Bank in die Insolvenz gehen zu lassen. Und Insolvenz ist ja ein ganz wichtiger Bestandteil der Marktwirtschaft, und wir können das nur erreichen, wenn wir die Verflechtung zwischen den Banken reduzieren. In dieser Richtung ist ja bisher sehr wenig geschehen bei den ganzen Reformbemühungen. Wir müssen dafür sorgen, dass eben es nicht mehr der Fall ist, das eine einzelne Bank zu groß ist, um insolvent zu werden, und das kann man eben dadurch erreichen, dass man ganz konsequent die Verflechtungen, die zwischen Banken bestehen, da ist bisher relativ wenig gemacht worden, da, glaube ich, sollte man ansetzen. Und dann kann man auch durchaus sagen, Banken müssen insolvent werden, denn es gehört natürlich zum Wesen der Marktwirtschaft, dass man auch für falsches Handeln haftet durch die Insolvenz.

    Zurheide: Wen sehen Sie denn – kann das auf Bundesebene passieren, oder muss die europäische Ebene so etwas durchsetzen? Ist das die Bankenaufsicht, über die wir da gerade diskutieren, oder geht die da nicht weit genug?

    Bofinger: Nein, das ist ja keine Frage der Bankaufsicht, sondern es ist eine Frage der Bankenregulierung, die eben dann vorschreibt, dass bestimmte Obergrenzen bestehen für Kredite an andere Banken, für Geschäfte an andere Banken, und im Extremfall oder im Ergebnis muss es dann eben so sein, dass theoretisch eine Bank wie die Deutsche Bank insolvent werden kann, ohne dass das die Stabilität aller anderen Banken gefährdet, und dazu müssen eben wirklich die Verflechtungen ganz massiv abgebaut werden.

    Zurheide: Die Eurokrise und die Banken – das waren Einschätzungen und Analysen von Peter Bofinger, dem Wirtschaftsweisen. Herr Bofinger, ich bedanke mich für das Gespräch, danke schön!

    Bofinger: Ja, danke!


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