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Bohren im ewigen Eis der Antarktis

Wer findet als Erster Leben in Seen tief unter dem antarktischen Eis? Das Forscherteam aus Russland hat bereits eine Wasserprobe aus dem Lake Vostock geborgen, die Briten haben Lake Ellsworth nicht erreicht. Und die Amerikaner machen sich - gutes Flugwetter vorausgesetzt - jetzt erst auf den Weg zum Lake Whillans.

Von Dagmar Röhrlich | 21.01.2013
    Fliegt man über den Whillans Eisstrom in der Westantarktis, ist von einem See nichts zu erkennen, denn der verbirgt sich unter dem Eis. Geophysikalische Untersuchungen verrieten, dass Lake Whillans vier bis fünf Kilometer lang und rund zehn Meter tief ist. Im Grunde ist er eine Süßwasserblase: Oben und an den Seiten umgibt ihn Eis, und unten liegen Sedimente. Ende 2012 haben Spezialtraktoren die Ausrüstung für das Bohrprojekt über 1000 Kilometer hinweg von der US-Station McMurdo herangeschleppt:

    "Die wichtigste Fragestellung unseres Projekts ist, ob es in diesen Seen unter dem Eis Leben gibt. Es gibt gute Indizien, aber der Beweis steht aus. Wir hoffen, als erste Mikroorganismen im See und in den Sedimenten zu finden und nachweisen zu können, dass sie nicht nur konserviert sind, sondern im Seewasser leben. Außerdem wollen wir herausfinden, wovon sie leben: ob von anorganischen Verbindungen aus den Sedimenten oder von organischen Kohlenstoffquellen."

    John Priscu von der Montana State University in Bozeman. Falls das Wetter mitspielt und alles klappt, wird die Bohrung die Krönung einer zehnjährigen Planung, erläutert Slawek Tulaczyk von der University of California, Santa Cruz:

    "Wir setzen heißes, unter hohem Druck stehendes Wasser ein, das wir über große Schläuche unter die Oberfläche pumpen. Dieses Wasser ist zuvor gefiltert, fast bis zum Kochen erhitzt und mit UV-Strahlung sterilisiert worden, um Kontaminationen zu verhindern. Wir gewinnen es, in dem wir Eis schmelzen. Dann führen wir es im Kreislauf, wobei wir es immer wieder sterilisieren. Um den See zu erreichen, müssen wir uns durch 800 Meter Eis schmelzen."

    Das Verfahren gleicht dem der Briten am Lake Ellsworth, die vor wenigen Tagen gescheitert sind. Allerdings liegt ihr See mit drei Kilometern auch sehr viel tiefer. Die Russen hatten bei ihrer Bohrung in den unter rund 4000 Metern Eis begrabenen Lake Vostok das Gros der Strecke Kerosin eingesetzt. Nur das letzte Stück legten sie mit einem thermischen Bohrkopf und sterilen Silikonölen als Bohrflüssigkeit zurück. Die Proben wurden jetzt erst gezogen, und zwar aus dem gefrorenen Seewasser, das Anfang 2012 kontrolliert im Bohrloch aufgestiegen war. John Priscu:

    "Wir erwarten, in Lake Whillans eine etwas andere Umwelt anzutreffen als in Lake Ellsworth und Lake Vostok. Denn während das Wasser im Lake Vostok rund alle 10.000 Jahre und im Lake Ellsworth etwa alle 700 Jahre ausgetauscht ist, wird Lake Whillans alle paar Jahre durchgespült. Dieses System hat mehr etwas von einem Fluss, der aus den Bergen kommt und auf seinem Weg ins Meer durch Seen fließt."

    Das Projekt der Amerikaner, das der NASA für ihr Programm zur Suche nach Leben auf anderen Planeten als "Experimentierfeld" dient, setzt auf Hightech bei den Messungen. Unter anderem wird eine Art ferngesteuertes Mini-U-Boot den See untersuchen: Einen Meter lang und faustdick, soll dieses Mini-U-Boot über ein Glasfaserkabel Bilder vor allem des Untergrunds liefern. Andere Sensoren sollen den Temperatur- und Salzgehalt messen oder Strömungen und wie viel Sediment im Wasser schwebt. Dazu kommt ein erprobtes Bohrsystem, erklärt der Geologe Ross Powell von der Northern Illinois University in DeKalb:

    "Wir werden einen Bohrer einsetzen, in dem aus zwei Meter Höhe ein mehr als vier Zentner schweres Gewicht hinabfällt und ein fünf Meter langes Rohr ins Sediment treibt. Wir wollen erfahren, welche Bestandteile der Sedimente Mikroorganismen als Lebensgrundlage dienen könnten oder wie stark die Sedimente den Eisstrom "schmieren". Weil der Westantarktische Eisschild seit dem Ende der jüngsten Eiszeit zurückweicht, hoffen wir so mehr über seine Dynamik zu lernen und wie er sich unter dem Einfluss des Klimawandels verhalten wird."

    Ob das ehrgeizige Projekt gelingt und die Amerikaner das Wettrennen um den ersten Beweis für Leben in den subantarktischen Seen gewinnen, wird sich bald zeigen: Bis zum 31. Januar läuft ihre Frist. Das Wetter bereitet zwar Probleme, aber heute konnten erneut Personal und empfindliche Ausrüstung per Flugzeug abgesetzt werden. Morgen und übermorgen soll der Rest folgen. Notfalls reicht den Forschern ein Tag am Bohrloch. Falls ihnen das Wetter einen Strich durch die Rechnung macht, startet der nächste Versuch in der kommenden Saison.