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Bohrschlamm
Gefährliche Fracht im Lkw

Vor einigen Jahren hat der Lkw-Fahrer Markus M. in der Sondermülldeponie Hürth-Knapsack bei Köln regelmäßig Bohrschlamm aus Niedersachsen abgeladen. Dass dieser Schlamm Stoffe wie Quecksilber, Arsen, Benzol oder Radium enthielt, wusste er damals nicht. Erst durch Medienberichte erfuhr er davon.

Von Jürgen Döschner | 05.04.2016
    Ein Lkw auf einer Autobahnbrücke.
    Nicht nur die Lkw-Fahrer wurden durch den Bohrschlamm Gefahren ausgesetzt. (imago/blickwinkel)
    Als wir uns vor dem Tor der Sondermülldeponie in Hürth-Knapsack treffen, ist Markus M. aufgewühlt. Vor einigen Jahren ist er regelmäßig mit seinem LKW hier gewesen. Hat Bohrschlamm aus Eydelstedt in Niedersachsen hier abgeladen.
    "Ab der Plane, was man da sieht, ungefähr noch 20, 30 Meter hierhin, war damals ein Loch. So muss man sich das vorstellen. Und alles, was tiefer gelegen ist, ist alles mit Bohrschlamm aufgefüllt worden. Und das geht ungefähr 100 bis 200 Meter rein in den Bereich rein, die ganze Deponie."
    Markus M. will nicht öffentlich erkannt werden. Deshalb haben wir seine Aussagen nachgesprochen. Denn was er schildert, ist brisant. Sein Arbeitgeber hatte ihn über die Brisanz seiner Ladung nicht aufgeklärt.
    "Ich war nur in Kenntnis gesetzt worden, dass es Bohrschlamm ist. Was dieser Bohrschlamm letzten Endes in sich trug? Ich wusste nur, dass der mit Zement abgebunden worden ist, damit dieser angedickt wurde. Wir haben Papiere mitbekommen, Begleitscheine, wo draufgestanden hat, welche Gefahrstoffe es angeblich wären, womit wir als Fahrer aber nichts anfangen konnten."
    Krebserregende Ölrückstände, Quecksilber, radioaktives Radium
    Erst nach den Berichten von WDR und NDR ahnte Markus M., wie gefährlich seine Ladung damals war. Krebserregende Ölrückstände, Quecksilber, radioaktives Radium – diese und andere Giftstoffe finden sich üblicherweise in Bohrschlämmen. Eben Sondermüll. Aber er und seine Kollegen gingen damit um, als sei es einfach Sand.
    "Nachdem wir abgekippt haben mussten wir hinten auf den LKW draufklettern, sauber machen. Und je nachdem, was für ein Wetter wir gehabt haben, haben wir kurze Hose angehabt, T-Shirt angehabt - war für uns ganz normal zu dem Zeitpunkt - und haben dann das Fahrzeug sauber gemacht. Es war für uns einfach nur Dreck."
    Manchmal klebten fast zwei Tonnen des Schlamms im Kipper, berichtet Markus M, zwei Tonnen, die er mit einer Schaufel von der Ladefläche schaffen musste. Ohne jeden Schutz. Nicht einmal Gummistiefel gab es.
    "Schutzkleidung in dem Sinne haben wir nie bekommen. Es hat auch kein Zwang bestanden, Schutzkleidung zu tragen. Ist auch in der Firma nie was von gesagt worden, dass wir für diese Materialien Schutzkleidung brauchen."
    Aber nicht nur er und seine Kollegen wurden durch den Bohrschlamm Gefahren ausgesetzt. Die mehr als zehntausend Fuhren waren auch ein Risiko für Umwelt und Unbeteiligte, etwa bei einem Unfall. Denn die Fahrzeuge waren nach Aussage von Markus M. nicht als Gefahrguttransporte zu erkennen.
    "Nein, gar nichts. Wir hatten Keine Auszeichnung am Fahrzeug selber. Wir hatten kein Abfall-Schild, nichts an diesem Fahrzeug dran. Es war von außen nicht zu erkennen, was dieser Wagen geladen hat. Kein Gefahrgutzeichen, nichts."
    Gesundheitliche Beschwerden traten auf
    Markus M. musste auch keine besondere Qualifikation für diese Transporte vorweisen, etwa den üblichen Gefahrgut-Schein. Der Führerschein Klasse zwei reichte. So war es nach seiner Aussage auch bei seinen Kollegen. Über mögliche Folgen für seine Gesundheit hat er sich damals keine Gedanken gemacht. Obwohl die ersten Beschwerden recht bald nach dem Einsatz auftraten.
    "Seit dieser Zeit habe ich vermehrt Kopfschmerzen und meine Gelenke tun mir weh. Und ich muss schwere Medikamente nehmen, Migränetabletten, damit ich die einigermaßen im Griff habe."
    Lange hat er die Beschwerden als Schicksal hingenommen. Nun will er mit Hilfe von Ärzten der Ursache auf den Grund gehen. Auch der Frage, ob es vielleicht einen Zusammenhang mit den Giftschlämmen gibt. Aber wie auch immer die Antwort ausfällt. In einem ist sich Markus M. sicher: Einen solchen Auftrag würde er nie wieder annehmen.
    "Wenn ich mein Wissen von heute damals gehabt hätte, hätte ich diese Touren mit Sicherheit verneint, ich wär‘ se nicht gefahren. Die nachfolgenden Fahrer, die noch mal diese Sachen transportieren, die sollen wirklich aufpassen, was sie machen. Die sollen nachfragen, die sollen wirklich überlegen, ist es wirklich das Richtige, kann ich meine Arbeit verweigern. Es gibt genügend andere Sachen, die man fahren kann. Man muss so einen Scheiß nicht fahren."