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Bohumil Hrabal
Tschechische Großmacht des Erzählens

Der tschechische Dichter Bohumil Hrabal wäre in diesem Jahr 100 Jahre alt geworden. Aufgewachsen ist er in dem tschechischen Städtchen Nymburk, nordöstlich von Prag an der Elbe. Dort kann man entlang des Hrabal-Wegs Schauplätze seines Lebens und seiner Bücher entdecken.

Von Iris Riedel | 30.03.2014
    Der tschechische Autor Bohumil Hrabal.
    Der tschechische Autor Bohumil Hrabal. (picture-alliance / dpa / CTK / Karel Kestner)
    "Ich blickte in den flachen, von Hügeln und Wäldern umsäumten Nymburker Kessel, richtete sodann den Blick auf unser Städtchen und sah..., dass man nur über Wasserläufe hineingelangte, es war eigentlich ein Inselstädtchen, unser Nymburk, denn oberhalb der Ansiedlung teilte sich die Elbe, umfing mit beiden Armen die mauerbewehrten Wälle und vereinigte sich unterhalb des Städtchens wieder." (aus: "Die Schur")
    "Städtchen, in dem die Zeit stehen geblieben ist" nannte der tschechische Schriftsteller Bohumil Hrabal seine Heimatstadt Nymburk. Und tatsächlich: Langsam schlendert man hier durch die engen Gassen, hält ein Schwätzchen oder lauscht dem Stadtrundfunk. Nur der Zahn der Zeit hat unermüdlich weiter an den Fassaden der hübschen Häuschen genagt. Auch das Heimatmuseum könnte einen neuen Anstrich vertragen. "Bis 28. März geschlossen" verkündet ein Zettel auf der schweren Holztür.
    Dahinter wird geräumt, geplant und geputzt. Kreuz und quer stehen leere Vitrinen und Exponate. In einer Woche soll die Ausstellung zu Ehren des berühmten Sohnes der Stadt eröffnet werden. Das Museum besitzt eine Reihe persönlicher Gegenstände des Dichters. Museumsleiter Petr Šorm kann es kaum erwarten, Hrabals Wohnung und Umfeld wiedererstehen zu lassen.
    "Hier entsteht Hrabals Arbeitszimmer. Wir werden auch den Schreibtisch wieder so bestücken, wie er bei Hrabal ausgesehen hat, mit seiner Schreibmaschine und natürlich Schere und Leim, denn diese beiden Dinge sind aus seinem Schaffen nicht wegzudenken. Wenn er einen Text geschrieben hatte, zerschnitt er ihn und begann, die Textteile zu verschieben und neu zu kombinieren, sodass eine literarische Collage entstand."
    Eine Großmacht des Erzählens
    An der Wand lehnt Hrabals winziges Klapprad und im Hof steht sein knallroter Ford. Sogar sein Kachelöfchen hat es ins Museum geschafft. Bohumil Hrabal ist einer der bedeutendsten tschechischen Schriftsteller des 20. Jahrhunderts, eine Großmacht des Erzählens, ein Meister der Kurzgeschichte und inoffizieller Stadtschreiber. Denn fast alle seine Geschichten und Romane spielen in der Umgebung von Nymburk. Die Stadt weiß, was sie an ihm und den Besuchern hat, die kommen, um auf seinen Spuren zu wandeln. Die nächste Station auf dem Hrabal-Weg liegt am anderen Elbufer. Es ist die kleine Brauerei Postřižiny, benannt nach einem seiner Romane. 1920 zog die Familie auf das Brauereigelände, weil der Vater des kleinen Bohumils hier eine Stelle als Verwalter antrat.
    "Ich stand früh auf und schaute zu, wie die Kutscher langsam den Pferden die Geschirre anlegten und dann gemächlich zu Bierausgabe gingen. Dort sah ich, wie die Brauereimitarbeiter die Fässer herausrollten und die Kutscher sie auf die schweren Wagen stapelten. … Und weil Onkel Pepin zu uns kam und mälzte, lernte ich auch die Malztenne kennen und dort war es am schönsten... Die keimende Gerste duftete und ich konnte mich in sie hineinlegen und spürte die Wärme der Gerste..." (aus: "Můj pivovárek")
    gelbes Haus, hinter einem Zaun ein Hund
    Die Brauerei in Nymburk (Deutschlandradio/Iris Riedel)
    Bohumil Valenta ist heute Brauer in Nymburk. Er führt mich in eine ebenerdige Gewölbehalle mit grünen gusseisernen Säulen. Zwischen den Säulen sind lange flache Beete aus Gerste angehäuft. Es riecht feucht und würzig.
    "Heute ist die Malztenne fast ein Museum. Das Prinzip des Mälzens ist natürlich noch dasselbe, aber die modernen Mälzereien machen das viel schneller und in größeren Mengen. Tschechien ist eines der wenigen Länder, wo traditionelle Mälzereien überlebt haben. Weltweit gibt es noch zwölf Brauereien, die ihr eigenes Malz herstellen, zehn davon in Tschechien."
    Zurück im Hof deutet Brauer Valenta auf eine kleine Messingtafel, die auf Kniehöhe an die ockerfarbene Brauereiwand geschraubt ist.
    "Zu Ehren Hrabals sollte in Prag eine Tafel in den Bürgersteig vor seinem ehemaligen Wohnhaus eingelassen werden. Aber er hat das abgelehnt. Wenn es unbedingt eine Tafel sein müsste, dann in der Brauerei in Nymburk auf der Höhe, wohin die Hunde pinkeln."
    Die Lebensgeschichte eines Kellners
    Wir gehen ins Lager und Valenta zieht aus einem Kasten eine Flasche mit dem Konterfei des Schriftstellers auf dem Etikett. Das Jubiläumsbier habe er ganz nach Hrabals Geschmack gebraut, ein helles, hopfiges Lagerbier. Bier ist der goldbraune Faden, der sich durch das Leben von Bohumil Hrabal zieht. Die Kneipe war sein Nähboden. Dort traf er sich mit Freunden zum Debattieren, dort hörte er seine Geschichten. So etwa im Hotel Blauer Stern ein paar Dörfer weiter elbabwärts. Veilchenduft begleitet mich auf dem Weg dorthin. Streckenweise führt er durch Kiefernwälder, in denen die Sonne Streifen auf den bemoosten sandigen Boden malt und die Nadeln in der Frühlingshitze knistern.
    Im Gastraum des Blauen Sterns hängt der Rauch in Schwaden vor dem laufenden Fernseher. Der mürrische Kellner nickt in Richtung eines Tisches am Fenster, von wo aus mich sechs ältere Damen skeptisch beäugen. Er wisse nur, dass Hrabal dort gesessen und gesoffen habe, sagt er und gibt mir zu verstehen, dass ihn die Legende um diesen Ort nicht die Bohne interessiert. Hrabal, so erzählen seine Freunde, soll hier eine ganze Nacht gesessen und der Lebensgeschichte des Kellners Josef Vaníček gelauscht haben. Wieder daheim in seinem Haus im Nachbarort Kersko hat er innerhalb von 18 Tagen den Roman "Ich habe den englischen König bedient" niedergeschrieben. Es ist sein wohl bekanntestes Werk, das als Film auch über deutsche Leinwände lief.
    Blick auf ein Hotel, helles altes Gebäude vor blauem Himmel
    Das Hotel Blauer Stern in Nymburk (Deutschlandradio/Iris Riedel)
    "Jeden morgen um sechs waren wir an Ort und Stelle…, der Herr Hotelier erschien... und schritt unsere Front ab und guckte nach, ob wir saubere Hemdbrüste und Frackkragen hatten und ... ob keine Knöpfe fehlten und ob die Schuhe geputzt waren, und er bückte sich, um zu schnuppern, ob wir uns auch die Füße gewaschen hätten, und dann sagte er: "Guten Tag, die Herren, guten Tag, die Damen!" (aus: "Ich habe den englischen König bedient")
    "In den 70er Jahren kam der Kellner Vaníček uns Kindern sehr merkwürdig vor, weil er so zugeknöpft war. Er hatte eine Weste mit einer Taschenuhr und über die Hand ein Tuch gelegt. Er war sehr klein und besonders höflich, küsste den Damen die Hand oder verbeugte sich. Das war in dieser Zeit nicht mehr so üblich."
    "Er konnte ziemlich grob sein"
    Jana Kubová und ihr Mann betreiben im benachbarten Kersko ihr Waldatelier mit einer Töpferei und einer Galerie. Hier laufen die Fäden um Hrabal zusammen. Die beiden organisieren das jährliche Hrabal-Festival und pflegen sein Erbe in Kersko. Zum Beispiel, indem sie die Erinnerungen der Bewohner der Waldsiedlung sammeln und aufschreiben.
    Zu den ehemaligen Weggefährten in Kersko gehört auch Věra Kutifelová. Die füllige, gemütliche Frau erzählt wie ein Wasserfall. Hrabal erfand für dieses liebenswerte Geschwätz der Leute das Wort "bafeln".
    "Es könnte noch schöner hier sein, wenn nicht die Schafssintflut über mich hereinbräche. Drei Jahre lang liquidiere ich schon die Schafe, doch jedes Frühjahr habe ich sechs Stück mehr. Mein Bock Bombo und mein ältestes Mutterschaf Vojanda, die gucken sich bloß an und sind auch schon verliebt mit allen Folgen..." (aus: "Schneeglöckchenfeste")
    Ließ Hrabal den Vater von Věra Kutifelová in "Schneeglöckchenfeste" bafeln. Sie bafelt von den alten Zeiten, als man in Kersko zusammenhielt. Als man sich abends im "Forsthaus" traf, wo noch heute Wildbraten mit Hagebuttensoße gereicht wird. Inzwischen ist sie selbst ein Denkmal, denn sie hat mit Hrabal viel erlebt und berichtet gern darüber:
    "Er konnte ziemlich grob sein. Als er älter und kränker wurde, habe ich ihm öfter Kartoffelpuffer vorbeigebracht. Und er sagte dann: "Stecken sie sich das sonst wo hin. Ich will sterben, lassen sie mich in Ruhe sterben." Und als mein Mann zwanzig Minuten später vom Bus nach Hause kam, hat er ihm den leeren Teller mitgegeben."
    "...als wäre Hrabal nur kurz weggegangen"
    Endpunkt des Hrabal-Wegs ist sein Sommerhaus im Kiefernwald von Kersko. Es ist weiß mit grün gestrichenen Türen und Fensterläden. Vor meinem inneren Auge sehe ich Hrabal an dem langen Tisch im Garten sitzen und auf der Schreibmaschine tippen. Gerade so schnell, dass die Sätze geradewegs aus seinem Kopf auf das Papier fließen. Um seine Beine streichen Dutzende Kätzchen. Am 3. Februar 1997 stürzte Bohumil Hrabal beim Taubenfüttern aus dem fünften Stock eines Prager Krankenhauses. Seine geliebten Katzen in Kersko sind nicht mehr da. Aber die Menschen hier sind noch wie damals, meint Jana Kubová.
    "Wenn Sie am Freitagabend in die Kneipe in Kersko gehen, wohin auch Hrabal ging, dann sitzen die Leute da, am gleichen Tisch und unterhalten sich, gerade so als wäre Hrabal nur kurz weggegangen."
    Weißes Haus mit grünen Türen und Holzbalkon in einem Garten
    Bohumil Hrabals Sommerhaus in Kersko (Deutschlandradio/Iris Riedel)