Dienstag, 19. März 2024

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Bolivien und Peru
Don Benito und die "dunkle Jungfrau"

Mitte des 16. Jahrhunderts ermordeten die spanischen Eroberer den letzten Inkakönig Atahualpa, das Inka-Reich, einst von Kolumbien bis ins südliche Chile ausgedehnt, zerbrach. Heute strömen Touristen von der Sonneninsel zum "Herzen der Welt", den traditionellen Inkastätten in Bolivien und Peru.

Von Erika Harzer | 25.01.2015
    Isla del Sol - Eine Familie wartet auf das Boot
    Isla del Sol - Eine Familie wartet auf das Boot (Erika Harzer)
    Vor Urzeiten wohnten an den Ufern des Titicacasees unzivilisierte Menschen. Menschen, die weder Religion noch Gerechtigkeit kannten und die nicht wussten, wie sie das Land um sich herum bearbeiten könnten, um sich davon zu ernähren.
    Inti, der Sonnengott und Urvater der Inkas, bat seinen Sohn Manco Capac und dessen Schwester Frau Mama Ocllo zu diesen Menschen hinabzusteigen und das von ihm gewünschte Imperium zu gründen. An der Isla del Sol, der Sonneninsel, tauchten die beiden aus den Wassern des Titicacasee hervor und machten sich auf ihren Weg,
    Glaubt man dieser Legende, begann so im 12. Jahrhundert das Inka Reich. Die Sonneninsel und der Titicacasee gelten seither als heilige Orte. Sie sind Stationen auf meiner Reise durchs Andenhochland Südamerikas.
    "In der Inka Epoche sind hier auf der Sonneninsel Mama Ocllo und Manco Cápac geboren. Wir sprechen hier alle Aymara, daher heißt die Sonneninsel Inti Wat'a."
    Zu den älteren Bewohnern der Sonneninsel gehört Benito Choque. Man kennt ihn als Don Benito. Mit seinen 74 Jahren weiß er viele Geschichten zu erzählen, die er schon als Kind von den Großeltern erzählt bekam. Seit mehreren Generationen wohnt seine Familie auf dieser bolivianischen Insel inmitten des Titicacasees. In über 3.800 Meter Höhe. Sie sind Aymara, so wie die meisten langjährigen Bewohner der Insel.
    Der Blick ist auf das Wasser gerichtet
    Den blauen Filzhut auf seinem ergrauten Kopf sitzt er in seinem Vorgarten. Sein Blick ist auf's Wasser gerichtet. Auf die kleine malerische Bucht. Don Benito ist Reiseführer. Vertraut mit all den heiligen Stätten, die auf der Sonneninsel an die Zeiten des Inka Imperiums erinnern.
    Mitte des 16. Jahrhunderts ermordeten die spanischen Eroberer den letzten Inkakönig Atahualpa. Das Inka Reich, das sich von Kolumbien bis hinab ins südliche Chile ausgedehnt hatte, zerbrach. Don Benito erzählt mir von den archäologischen Stätten der Sonneninsel. Von den Resten des Tempels, in dem jungfräuliche Mädchen dem Sonnengott gewidmet wurden. Von der Roca Sagrada - dem "heiligen Fels", von dem aus der Legende nach Manco Capac und Mama Ocllo aufbrachen, um die Stadt Cuzco zu gründen. In diesem Stein sehe man das Gesicht des Pumas, des Condors und des Wiracocha, des Gottes der Schöpfung, erzählt er mir beinahe andächtig.
    Dann wird es hektisch. Die ersten Boote kommen kurz nach 10 Uhr morgens aus Copacabana über den tiefblau schimmernden See angefahren. Trotz Nebensaison sind es doch 6 Boote, die jeweils über 50 Touristen an einer kleinen, beinahe behelfsmäßigen Anlegestelle an Land lassen. Die Passagiere von den Oberdecks wirken durchfroren, trotz Alpakamützen und Handschuhen, trotz dicker Pullis und Schals. Denn sobald Wolken die Sonne bedecken, ist es kühl auf dem mit mehr als 8500 Quadratkilometer größten und von Bergketten umgebenen Binnensees Südamerikas.
    Einige Touristen gehen zielstrebig an der Gruppe der wartenden lokalen Reiseführer vorbei. An ihren Rucksäcken hängen Kochgeschirr, Schlafsäcke, Zelte. Sie kennen ihr Ziel. Es ist der kleine Strand gut 200 m von der Anlegestelle entfernt. Dort campen die jungen Menschen aus den Nachbarländern.
    Männer mit Musikinstrumenten
    Während Don Benito mir erzählt, dass Cha'llapampa in Aymara weißer Sand bedeutet, kommt noch ein Boot mit Einheimischen aus Copacabana angefahren. Einige Männer haben Musikinstrumente bei sich. Pauken und Trompeten. Die Frauen der Gruppe, die Cholas oder Cholitas, tragen bunte, durch mehrere Unterröcke ausgestellte Röcke und Tücher über den Schultern. In einigen der Tücher liegen Kleinkinder, die, wenn sie nicht schlafen, mit großen Augen die Welt betrachten. Zu den Cholas gehört auch der Bowlerhut, diese für die Andenregion typische steife Melone. Zielstrebig bewegen sie sich einen Hügel hinauf, versammeln sich dort auf einer Wiese, während Don Benito unterhalb von ihnen an einer Versammlung der Männer des Ortes teilnimmt. Kinder spielen und überall ist das Wasser zu hören.
    "Wir haben hier keinen Verwalter oder Bürgermeister, nur einen Generalsekretär. Er koordiniert alles. Daher haben wir eine gut funktionierende Organisation. Zum Beispiel sind wir alle morgens dabei, den Strand zu säubern. Hier sieht man keinen Müll."
    Verrückte Welt, denk ich mir und beobachte die neu angekommen Freaks beim Aufbau ihrer Zelte am Strand. Ein paar von ihnen wagen sich in die kalten Fluten des Titicacasees. Vor einem Zelt spielen ein paar chilenische Studenten Gitarre. Melodien der Beatles und lateinamerikanischer Liedermacher wehen zu mir herüber.
    Die Männer debattieren unbeeindruckt weiter und oben am Hügel beginnen die Aymaras mit ihrer Zeremonie. Ihre rituellen Gesänge fließen wie Stimmen aus der Ferne hinunter in die Geräuschkulisse des Strandes. Mit den Booten aus Copacabana kamen auch die Tagesausflügler. Die größte Gruppe unter den Touristen. Ihre Zeit ist knapp. Sie haben weniger als 3 Stunden für die Besichtigung der archäologischen Stätten, die nur zu Fuß auf zum Teil schwierigen, steilen Pfaden zu erreichen sind.
    Über schmale Pfade schlängeln sich die Gruppen mit lokalen Führern zu den Chincana Ruinen – diesen Überresten von labyrinthisch angelegten Zimmern mit unterirdischen Kultstätten. Auf den Pfaden dorthin bieten Inselkinder und Jugendliche typische Handarbeiten dieser Region an. Mützen, Handschuhe, Socken aus Alpaka. Ein paar Kleinkinder versuchen ihr Glück mit Steinen. Nur einen Boliviano, rufen sie den vorbei Hastenden zu, jeder heilige Stein nur einen Boliviano.
    Auf dieser heiligen Insel treffen Menschen mit unterschiedlichsten Weltanschauungen und Traditionen aufeinander. Da sind die Quetschuas und die Aymaras, die seit Generationen auf der Insel leben. Viele von ihnen bitten noch heute vor dem Betreten der Insel die Götter um Erlaubnis dafür. Daneben die Zeltenden. Sie akzeptieren die aufgestellten Regeln und arrangieren sich irgendwie mit den Bewohnern. Und doch bewegen sich viele von ihnen in ihrer eigenen Welt, genießen die Freizügigkeit und das Mystische der Insel. Dazu kommen dann noch die Tagestouristen, einzig interessiert an den Geschichten der Steine. Sie haben weder die Zeit noch das Interesse, etwas vom Leben der Inselbewohner zu erfahren.
    "Unsere Großeltern lebten ausschließlich von Landwirtschaft. Einige waren Fischer, fischten Forellen. Da gab es noch keine Touristen. Die kommen erst seit etwa 30 Jahren. Heute leben wir von den Touristen. Fische gibt es keine mehr so wie früher."
    Die "dunkle Jungfrau"
    Das Hafenstädtchen Copacabana, nicht zu verwechseln mit dem Traumstrand von Rio, zieht sich vom Seeufer einen kleinen Hügel hinauf. Es liegt unweit der peruanischen Grenze und ist durch seine Kathedrale auch ein bekannter bolivianischer Wallfahrtsort. Die Basílica de la Virgen de la Candelaria ist im maurischen Stil erbaut. Sie ist Standort der aus dunklem Holz geschnitzten Schutzheiligen von Copacabana, die wegen ihrer Holzfarbe als "Dunkle Jungfrau" bekannt ist. Auf dem Vorplatz der Kathedrale warten täglich bunt geschmückte Autos mit ihren feierlich herausgeputzten Insassen auf den Segen der Mönche im Namen der Schutzheiligen. Meist ganze Familien, einschließlich Großeltern und Neugeborene. Der "dunklen Jungfrau" wird die Fähigkeit zugesprochen, Fahrzeuge mitsamt ihrer Insassen vor Schaden zu bewahren. Dafür legen Autofahrer schon auch mal mehrere Hundert Kilometer zurück. Sie kommen aus allen Ecken Boliviens und manche sogar aus den Nachbarländern. Aus Peru, aus Argentinien oder Chile, nur um von den Mönchen mit etwas Weihwasser diesen Segen für ihre Autos zu bekommen.
    Offene Kapellen, die sogenannten Indio-Kapellen, wurden in der Basilika für die indigene Bevölkerung gebaut, die es gewohnt war, ihre traditionellen religiösen Zeremonien im Freien zu zelebrieren. Wie sich die Basilika über das Zentrum der Stadt erhebt, demonstriert sie Macht und Reichtum.
    "In Copacabana gibt es zwei Kulturen. Eine davon ist die seit der spanischen Invasion vorherrschende Religion, die andere ist die traditionelle Religion der Aymaras mit den Zeremonien für die Pachamama. Früher war es eher die Inkakultur oder eben von anderen Völkern. Mit der Ankunft der Spanier bauten sie die heutige Kirche direkt auf dem alten Kultplatz."
    Der 25 jährige Celso Vicente Ramos vertritt in Copacabana ein Tourismus Netzwerk, das touristische Exkurse mit den jeweiligen Aymara Gemeinden abstimmt. Direkte Einblicke ins traditionelle dörfliche Leben werden angeboten. Eine Alternative zum Pauschalurlaub.
    "Wir kooperieren mit fünf Gemeinden. An diese fließen direkt die Einnahmen unserer Agentur. Wir versuchen deren Traditionen wieder auszugraben und zu schützen. Daher unser Name Apthapi. In Spanisch bedeutet der Name Ernten oder Teilen – das kann sich auf die Gemeinden selbst oder deren Produkte beziehen."
    WLAN- Zonen und Happy Hours
    Sonntags kommen aus den umliegenden Dörfern die Bäuerinnen und Bauern auf den Markt. Die Ärmeren legen ihre Produkte in den Straßen neben der Markthalle auf Decken oder Plastikfolien aus. Sie verkaufen unterschiedlichste Kartoffelsorten, frisches Gemüse, Obst und Kokablätter, die für Tee oder zum Dauerkauen in die Backe gesteckt werden. Ihre Welt wirkt abgetrennt von der sich immer breiter entwickelnden touristischen Welt Copacabanas, deren Hauptattraktionen die überall angepriesenen WLAN- Zonen und Happy Hours zu sein scheinen. Seinen beiden Gesandten hatte Inti, der Sonnengott, einen goldenen Stab mit auf den Weg gegeben. Diesen sollten sie bei jeder Rast in die Erde zu drücken versuchen. Nach tagelanger Wanderung erreichten die beiden ein wunderschönes, von majestätischen Bergen umgebenes Tal, in dem der goldene Stab mühelos in die Erde eindrang. Dort wurde die Hauptstadt des Reiches der Sonne, wurde Cuzco erbaut - "der Nabel der Welt".
    "Mit der Kultur, hab ich's erst nach und nach immer mehr schätzen gelernt, bis hin zu dem Punkt, dass ich unglaublich froh darüber bin, hier leben zu können, gerade in Cusco."
    In Cusco begegne ich Heinz Kolmans. Er kommt vom Niederrhein und war sein Leben lang als Entwicklungshelfer in Lateinamerika unterwegs. Als Rentner führt er die Pension Alemana, ein kleines, steil am Hang gelegenes Hotel in einer dieser vielen schmalen Gassen des historischen Stadtteils San Blas.
    "Im Alltagsleben ist diese Gegenseitigkeit, das ist ne Grundlage der andinen Weltanschauung. Alles gibt und alles nimmt und alles hängt voneinander ab. Es ist nicht das kommerzielle Denken und das einseitige lineare Wirtschafts-Entwicklungsdenken, was hier vorherrscht. Gegenseitigkeit besteht nicht nur zwischen den Menschen, sondern auch zwischen Mensch und Natur und dem Universum. Das heißt, Gegenseitigkeit macht den Menschen als ein Teil vom Ganzen aber nicht den beherrschenden Teil. Und das gefällt mir sehr an dieser Weltanschauung, weil ich glaube aus der westlich-christlichen Weltanschauung ist der Mensch eben das herausragende Geschöpf und das beherrschende Geschöpf und dementsprechend auch sehr übermäßig und sehr arrogant geht es mit anderen Menschen und der Natur um."
    Die auf über 3.300 Metern gelegene Inka-Hauptstadt Cusco ist die älteste, ständig bewohnte Siedlung und die archäologische Hauptstadt des Kontinents. Beeindruckend sind die Spaziergänge durch die engen gepflasterten, zum Teil sehr steilen Gassen. Viele mit eingebautem offenem Wasserkanalsystem, mit Häusern, deren Wände aus großen, kunstfertig ineinander verwobenen Steinbrocken hochgezogen wurden. Die charakteristische Inka Bauweise. In den Gassen und auf den Plätzen bieten Händler die vielfarbigen handwerklichen Produkte des Anden Hochlandes an. Im Zentrum, dem damaligen Herz der Inka Hauptstadt, der heutigen Plaza de Armas, dominiert auch hier eine Kathedrale. "Die Kirche hat ihre großen Tempel und Kathedralen auf die alten Monumente gesetzt. Cusco war der zentrale Mittelpunkt, eine Pilgerstätte des ganzen Inka Reichs. Und das ist einfach besetzt worden und es gab dann diese Austreibung des Heidentums über mehrere Jahrhunderte und es wurde verfolgt und es wurde einfach die katholische Religion der traditionellen Religion übergestülpt."
    Reisen ins Heilige Tal
    Cusco ist auch Ausgangspunkt für Reisen ins Heilige Tal oder zur alten Inka Zitadelle Machu Picchu, die majestätisch auf einem schmalen Grat oberhalb des Urubamba Flusses thront. In knapp 2.500 Metern Höhe. Jährlich Hunderttausende von Besuchern aus aller Welt sind von diesen Jahrhunderte alten Ruinen beeindruckt. Von deren Baustil, bei dem Steinquader absolut passend ohne Mörtel aufeinander gesetzt wurden. Von dem Kanalsystem, mit dem sie aus Flüssen und Bächen in gleichmäßigen Strömungen Wasser durch steinerne Kanäle hindurch zum fließen brachten und für die Bewässerung ihrer terrassenförmig angelegten Felder benutzten. Welche Funktion die Festung Machu Picchu im damaligen Inka Reich besaß, ist bis heute ein Rätsel. Mich auf diesen durch und durch organisierten Weg als eine von Tausenden zu begeben, hat mich doch auch etwas Überwindung gekostet. Aber allein am frühen Morgen die abziehenden Nebelschwaden über den umliegenden Bergkuppen mit zu erleben und danach den freien Blick auf die Ruinenstadt zu genießen, das ist ein magischer, unvergesslicher Moment. Vor allem dann, wenn bis dahin erst wenige Touristenbusse ihre Ladungen am Eingang abladen konnten. Geübte Wanderer können in vier Tagen von Cusco aus den Machu Picchu über den Inca Trail zu Fuß erreichen. Die Mehrheit der Touristen nimmt einen der unzähligen Züge. Startbahnhof ist das Dorf Ollantaytambo. Knapp 3.000 Meter hoch und inmitten des Heiligen Tals.
    Im frühen 15. Jahrhundert verliebt sich Ollantay, ein Krieger einfachster Herkunft in Prinzessin Cusi Coyllur, die Tochter des bedeutenden Inkaherrschers Pachacútec. Pachacútec hatte durch kriegerische Eroberungsfeldzüge das Inkareich von der unbedeutenden Regionalmacht in ein gigantisches Imperium verwandelt. Die Prinzessin wird schwanger. Ollantay nimmt allen Mut zusammen und hält um Cusi Coyllurs Hand an. Erzürnt darüber, verbannt Pachacútec Ollantay aus Cusco und steckt Cusi in ein Klostergefängnis. Dort kommt ihre Tochter zur Welt. Der verstoßene Ollantay nimmt von Ollantaytambo den Kampf gegen Pachacútec auf. Jahre später gelingt es dem Paar tatsächlich zusammen zu leben.
    Die Geschichte von Ollantay gilt als eines der großen Epen der Quechua Literatur, das im heutigen Ollantaytambo gerne erzählt wird. Mein Vermieter Roberto Cana Luna erzählt auch gerne Geschichten aus dem Heiligen Tal.
    "Cusco ist bekannt als der Nabel der Welt. Ollantaytambo gilt als das Herz und Machu Picchu als der Kopf der Welt. Von Machu Picchu bis nach Cusco verläuft das Heilige Tal der Incas. Warum ist Ollantaytambo auch das Herz der Erde? Durch jede Gasse fließt hier Wasser. Das ist wie die energetische Verbindung zu den Apus, deren Schutz. Apu ist unser Name für Gott."
    Nur mit Fahrradrikschas befahrene Gassen aus Kopfsteinpflaster
    1536 mussten die spanischen Eroberer unter Pizarro in Ollantaytambo zunächst eine Niederlage einstecken, bevor sie dann mit einer vierfach größeren Truppe die Inkas besiegten. Heute ist Ollantaytambo ein kleines touristisches Juwel. Kleine massive Steinhäuser mit Gärten. Schmale, zum Teil nur mit Fahrradrikschas befahrene Gassen aus Kopfsteinpflaster. Darin verwoben die Wasserkanäle. Rechts und links auf den Hügeln die Inka Ruinen.
    Wie schon Don Benito auf der Sonneninsel, sieht auch Roberto Cana in den Hügeln und Felsen rings um Ollantaytambo die Götter. Siehst du dort oben, auf den Hügeln liegend die Pachamama - die über alles wachende Mutter? - fragt er mich und fordert meine Fantasie heraus. Daneben der sich ausruhende Vater. Auf einer Seite des Tales sieht er in den Felsen die Gesichter der Tochter und des Sohnes und von der anderen Seite aus blickt steinern geworden Wiracocha übers Tal.
    "Die Sonne und das Wasser und die Wasserkanäle waren eine heilig. Wasser war Leben. Es gab keinen einzigen Ort, durch den nicht das Wasser geflossen wäre. Selbst in Gassen zwischen Monumentalbauten findet man das Wasser. Sowohl wegen der Schönheit als auch der Versorgung."
    Rolando Padomino beschreibt mir eher nüchtern einige Besonderheiten des heiligen Tals. Er ist als Mitarbeiter des Kulturministeriums zuständig für die Verwaltung der archäologischen Stätte von Ollantaytambo und beschäftigt sich auch mit den wenigen heute noch lebenden Menschen jener Kulturen.
    "Um Ollantaytambo gibt es zwei bedeutende Gemeinden, in denen noch heute ihre Traditionen präsent sind. In Willoq tragen rund 70 Prozent die traditionelle Bekleidung in intensivem Rot. Dort wird traditionell Quetschua gesprochen. So bewahren sie sich ihre Identität. Ältere Menschen sprechen dort kein spanisch, die Jüngeren allerdings schon."
    Einen Cappuccino schlürfend sitze ich am Zentralplatz von Ollantaytambo und beobachte das Treiben an diesem Ort voller Traditionen und Widersprüchen inmitten des heiligen Tales. Dessen touristische Anziehungskraft scheint zu boomen. Ein Tourismus, in dem die Besichtigungen der Ruinen von Machu Picchu oder Ollantaytambo zentraler Faktor sind und den das aktuelle Leben der indigenen Bevölkerung wenig interessiert. Höchstens als exotische Fotomotive. Immer wieder fragen mich kleine Kinder in indianischen Trachten, ob ich sie für ein paar Soles fotografieren möchte. Im Buhlen um zahlende Gäste dominiert am Zentralplatz die englische Sprache gemeinsam mit unzähligen WLAN-Schildern.
    "Dass so zwei Kulturen als Tourismuskultur und die traditionelle Kultur nebeneinander her leben und sich nicht berühren und nicht kommunizieren ist eigentlich schade. Wir suchen ja auch jetzt weltweit und besonders in den Industrieländern nach neuen Paradigmen und neuen Gesellschaftsentwicklungskonzepten auch wirtschaftlich, wie der nach nachhaltigen Entwicklung und einer ökologischen Entwicklung. Und die ist einfach ein Grundbestandteil dieser andinen Weltanschauung und der Lebensweise der Menschen. Ich find es einfach schade, dass so viele Menschen hier hinkommen und diese Kommunikation nicht stattfinden kann."
    "Es gibt tatsächlich auch Tourismusangebote, die einfach nur auf die archäologischen Stätten ausgerichtet sind, aber nicht auf die Menschen und die Kultur, die es nach wie vor gibt. Und diese Steine, die sind ja nicht nur Steine, die sagen ja irgendwas. Ich denke da gibt's noch eine Herausforderung."