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Bologna-Nachfolgekonferenz in Eriwan
"Wir bilden nicht aus für einen bestimmten Arbeitsplatz"

Die Frage nach der Berufsbefähigung von Studenten spielte auf dem Treffen europäischen Bildungsminister in Armenien eine zentrale Rolle. Der Vertreter der Hochschulrektorenkonferenz, Holger Burckhart, wehrte sich im DLF gegen eine Ausrichtung von Studiengängen auf bestimmte Arbeitsplätze. Er forderte einen Runden Tisch, um das Problem auf höchster Ebene zu diskutieren.

Holger Burckhart im Gespräch mit Kate Maleike | 15.05.2015
    Begrüßung der Erstsemester an der Westfälische-Wilhelms-Universität in Münster. 5400 Studenten haben zum Wintersemester 2014/2015 ihr Studium aufgenommen
    "Es geht um eine Berufsbefähigung und nicht um eine Arbeitsplatzbefähigung", betonte Burckhart. (imago / Rüdiger Wölk)
    Kate Maleike: Eriwan, die Hauptstadt Armeniens, ist seit gestern Spielort der Bologna-Nachfolgekonferenz, zu der sich ja Vertreter von Bildungsministerien, Hochschulen und Studierenden alle drei Jahre treffen. Und das Ziel ist dabei eigentlich klar: nachfragen und erörtern, wo denn der gemeinsame europäische Hochschulraum steht, der bis 2020 Realität sein soll. Doch bei den inzwischen 47 Ländern, die im Bologna-Prozess eingebunden sind, gibt es natürlich unterschiedliche Tempi und nationale Problemlagen, die Verzögerungen mit sich bringen können. Verantwortlich für die deutsche Hochschulrektorenkonferenz ist Professor Holger Burckhart. Er ist bei der HRK Vizepräsident für Lehre, Studium, Lehrerbildung und Weiterbildung. Guten Tag, Herr Burckhart!
    Holger Burckhart: Guten Tag, Frau Maleike!
    Maleike: Was wurde auf der Konferenz in Armenien denn für die Weiterentwicklung des gemeinsamen europäischen Hochschulraums beschlossen?
    Burckhart: Als Kernbotschaften muss man sagen, Bologna ist unterwegs. Aber Bologna hat nach wie vor instrumentelle Probleme. Ganz wie Sie eben anmoderierten, einerseits was die unterschiedlichen Tempi angeht, aber andererseits durchaus auch, was unterschiedliche Verständnisse von gewissen Punkten wie Employability beispielsweise angeht.
    Maleike: Also die Berufsbefähigung.
    Burckhart: Die Berufsbefähigung ist ein Kernpunkt, der auch im Vorfeld dieser Konferenz eine Rolle gespielt hat, schon als das Dokument in den Entwurfsfassungen war, gibt es eine unmittelbare oder eine mittelbare Verpflichtung zur Herbeiführung von Berufsbefähigung seitens der Hochschulen und ist die nach Hochschularten differenziert et cetera, also die bekannte Fragestellung, aber die jetzt noch mal vor der unterschiedlichen Auslegung nationalstaatlicher Perspektiven war schon ein Kernpunkt der Diskussion. Neben Mobilität, neben Student Life Cycle, also, was können wir in der Studieneingangsphase beispielsweise oder im Übergang Bachelor-Master noch Besonderes tun.
    "Im Vordergrund steht nach wie vor die wissenschaftliche Ausbildung"
    Maleike: Das heißt, im Großen und Ganzen muss man dafür sorgen, jetzt im Hochschulraum, der entstehen soll, dass Studium berufsqualifizierender wird?
    Burckhart: Ja, es geht jetzt - und das entspricht auch unseren Forderungen hier aus Deutschland heraus -, dass es um eine Berufsbefähigung geht und nicht um eine Arbeitsplatzbefähigung. Diese Differenz, wenn man sie so einfach formulieren darf, wird auch im Dokument sehr, sehr deutlich. Wenn man den Emplementation Report liest, dann sieht man, dass so von 2012 aus das Signal doch stärker gegangen ist, dass die Berufsbefähigung noch konzentrierter auf bestimmte Arbeitsplätze hin, Arbeitsfelder, viel stärker fokussiert sein sollte. Und gerade wir aus Deutschland heraus haben immer wieder betont, dass die akademische, die wissenschaftliche Ausbildung zwar eine Berufsbefähigung für universitäre und außeruniversitäre gesellschaftliche, wirtschaftliche Karrieren ermöglichen soll, aber nicht auf einen bestimmten Arbeitsplatz hin ausgerichtet sein darf. Denn im Vordergrund steht nach wie vor die wissenschaftliche Ausbildung, die fachlich, auf der Basis von Fachlichkeit und damit von Forschungsständen aufsetzen soll und nicht gerichtet ist auf einen bestimmten Arbeitsplatz.
    Maleike: Ich finde das gut, dass Sie das sagen, weil es ja gerade in den letzten Wochen eine große Diskussion gegeben hatte, nachdem der Deutsche Industrie- und Handelskammertag eine Umfrage, sagen wir mal, in die Medien gebracht hatte, wo drin stand, dass der Bachelor doch nicht so berufsqualifizierend sei, wie sich das die Unternehmen gewünscht hätten, und es war von Praxisferne die Rede. Ich könnte mir vorstellen, Herr Burckhardt, dass jetzt wieder die alte Diskussion aufbricht, die es von Anfang an beim Bologna-Prozess gegeben hat um das Wort "berufsqualifizierend".
    Burckhart: Das sehe ich auch so. Wir haben gerade, was Sie sagen, die von der DIHK jetzt angestoßene Debatte haben wir innerhalb Deutschland auch noch mal aufbelebt und ich beabsichtige innerhalb meines Ressorts, jetzt mal zu einem runden Tisch einzuladen, auf höchster Ebene, um dieses Problem noch einmal zu adressieren. Und zwar in dem Sinne, wie ich es eben formuliert habe, nämlich dass die Aufgaben der Hochschulen - und hier meine ich völlig indifferent Fachhochschulen, Universitäten, Hochschulen für angewandte Wissenschaften, Technische Universitäten, Technische Hochschulen, aber auch Kunst-, Musikhochschulen -, wir alle bilden irgendwo für Berufsfelder aus, aber eben auf einem, wenn Sie so wollen, abstrakteren Niveau. Es ist die Kompetenz, Berufe ausüben zu können, aber wir bilden nicht aus für einen bestimmten Arbeitsplatz. Das wäre eine Verkennung der Aufgabe des Deutschen Hochschulwesens. Und dagegen werden wir uns weiterhin wehren. Und ich stelle mich dieser Diskussion gerne und hatte das auch genau bei diesem Kommunikee im Hinterkopf und bei den Vordiskussionen dazu.
    "Wohin geht eigentlich die Bildungsidee Bologna?"
    Maleike: Ein runder Tisch mit wem?
    Burckhart: Mit Wirtschaft, mit gesellschaftlichen Vertretern, aber durchaus auf jeden Fall auch mit der Politik und natürlich mit den Hochschulen jetzt.
    Maleike: Trügt der Eindruck, dass die vielleicht zwischenzeitlich eingetretene Bologna-Müdigkeit nach 15 Jahren Prozess jetzt wieder an Fahrt gewinnt?
    Burckhart: Ich glaube, der Eindruck trügt nicht. Das kommt durch zwei Dinge. Ich glaube, einerseits sind wir mittlerweile, was die operative Ebene angeht, also die Umsetzung von Bachelor-, Masterstrukturen, sind wir so weit, dass wir sie einigermaßen beherrschen, wir haben sie technisch im Griff. Jetzt stellt sich zunehmend die Frage, wohin geht eigentlich die Bildungsidee Bologna? Sozusagen nach dem ersten Schock, der sich da eingab, dass die Politik uns vorgegeben hat Bologna umzusetzen und wir dann in Deutschland eigentlich zunächst sehr „gehorsam" die Umsetzung betrieben haben und uns damit auch selber politisch etwas lahmgelegt haben, wächst jetzt so langsam die Frage, was können wir denn mit Bologna - und jetzt kommt das Schöne, wofür ich jedenfalls auch stehe - auch positiv erreichen für die jungen Menschen, unter der Perspektive Bildung? Also die Frage nach, wie bildungsintensiv können die Bologna-Strukturen genutzt werden und wo müssen wir hier jetzt noch mal nachbessern? Das bringt neue Fahrt ins System und das finde ich auch sehr schön.
    Und es ist Deutschland, glaube ich, gelungen, diese Idee in Europa zu platzieren. Also, geht weg bloß von der operativ-instrumentellen Perspektive, noch einmal zu dieser grundsätzlichen Frage, welche politische Vision können wir denn im europäischen Hochschulraum verwirklichen und hier bei Bologna benutzen? Also diese Frage nach der Vision. Und auch das kennzeichnet dieses Kommuniqé, und zwar in den letzten Abschnitten, wo gefragt wird, was passiert denn, wenn 20 Jahre vorbei sind, der Prozess abgeschlossen ist, um was kümmern wir uns denn dann? Weiter um die Instrumente oder verfolgen wir dann Visionen, dass der europäische Hochschulraum beispielsweise sich mal der Heterogenität, der Frage friedlicher Koexistenz, der Frage von Inklusion, der Frage von Internationalisierung, der Frage von Akademisierung ganzer Jahrgänge und so weiter zuwendet und hierauf dann mit Bologna möglicherweise eine Antwort gibt, weil Bologna hierfür vielleicht Strukturen zur Verfügung stellt.
    Maleike: Professor Holger Burckhardt war das, der Vizepräsident der Hochschulrektorenkonferenz, zu den Ergebnissen der Bologna-Nachfolgekonferenz. Vielen Dank!
    Burckhart: Sehr gerne!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.