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Bombenräumung in Laos
Tödliches Erbe

Millionen kleiner Sprengsätze stecken im Boden von Laos - Blindgänger der amerikanischen Streitkräfte aus dem Vietnamkrieg vor vierzig Jahren. Durch Explosionen sterben bis heute jedes Jahr hunderte Menschen. Räumungstrupps versuchen das Land von seinem tödlichen Erbe zu befreien. Eine gefährliche Arbeit - die noch Jahrzehnte dauern kann.

Von Lena Bodewein | 15.10.2016
    Eine Angestellte der Tourismusabteilung der Provinz Xiengkhoang zeigt unterschiedliche US-Bomben
    Rund 250 Millionen Streubomben warfen die US-Streitkräfte während des Vietnamkriegs über Laos ab - die Auswirkungen verfolgen das Land bis heute. (AFP)
    Ein Kinderlied aus Laos: "Blindgänger sind gefährlich, sei vorsichtig, fass sie nicht an, beweg sie nicht – denn wenn sie explodieren, gibt es Tote und Verletzte!"
    Die elf Frauen vom Bombenräumteam haben es selbst schon vor vielen Jahren in der Schule gelernt. Gerade für Kinder lauert im Boden von Laos eine tödliche Gefahr: 80 Millionen US-Bomben, die nicht explodiert sind, liegen im Boden von Laos, Relikte aus den Zeiten des Vietnamkrieges. Die Laoten sind bis heute am schwersten betroffen von einem Krieg, mit dem sie wenig zu tun hatten. Einem Krieg, den es nie gab, denn niemand hat Laos je den Krieg erklärt; niemand hat der amerikanischen Öffentlichkeit davon berichtet
    Einen US-Präsidenten in Laos zu haben, wäre einst unvorstellbar gewesen. So sprach Barack Obama bei seinem ersten Besuch in Laos, dem ersten Besuch eines US-Präsidenten überhaupt. In einem geheimen Krieg haben die USA zwischen 1964 und 1973 mehr als zwei Millionen Tonnen Bomben auf Laos abgeworfen, mehr als auf Deutschland und Japan zusammen.
    Millionen kleiner Sprengsätze liegen noch immer im Boden
    Dieser alte Mann kann sich wie viele in den Dörfern von Nordlaos noch daran erinnern, wie es war, als die Bomben regneten, die Landschaft in ein Kraterfeld verwandelten und den Tod brachten, in einer Gegend, in der es außer ein paar Häusern auf Stelzen und Reisfeldern nichts gab – nur das Gerücht, dass sich hier die Kommunisten versteckt hielten, die mit den Nordvietnamesen zusammenarbeiteten. Weiter im Süden, verlief der Ho-Chi-Minh-Pfad, der Nachschubweg für die Vietcong. Überall verteilten die Amerikaner Streubomben, in fast 600.000 Einsätzen, und dokumentierten es in Filmaufnahmen:
    "Kämpfer, Treibstoff, Maschinen für die Nordvietnamesen – der Ho chi Minh-Pfad ist eine Lebensader, die durchtrennt werden muss. Und wenn sie repariert wird – was sie wird – dann muss sie erneut durchtrennt werden" – Historischer O-Ton -
    Wenn die Bomber nicht alle Geschosse auf Ziele in Vietnam abwerfen konnten, gab es so genannte Free Load Areas in Laos, auf die sie einfach den Rest warfen, weil es für die Flieger zu gefährlich war, mit vollen Bombenschächten zu landen, öffneten sie ihre Bäuche und spuckten die tödlichen Waffen aus, riesige Streubomben, gefüllt mit hunderten kleineren Sprengsätzen, "bombies" genannt. Millionen von ihnen liegen immer noch ungezündet im Boden. Es gab 20.000 Explosionen in den vergangenen 40 Jahren, Tausende von Toten, mehr als die Hälfte sind Kinder; Männer, denen die Hände fehlen, Kinder ohne Beine, Frauen mit einem Arm – das ist ein alltäglicher Anblick in Laos.
    Khnu Sai hat mit neun Jahren seinen Unfall gehabt und kann seitdem seinen linken Arm und sein linkes Bein kaum noch gebrauchen, es passierte, als die Familie auf der Farm an einem Baumstumpf grub:
    "In meinem Dorf hat es auch viele Kinder getroffen, auf ihrem Schulweg finden sie die Bombies und halten die runden Kugeln für Spielzeug, Farmer, die im Garten oder auf dem Feld gearbeitet haben werden verletzt, auch die Tiere, die grasen, treten manchmal auf eine Bombe…"
    Viele Bomben-Opfer werden depressiv oder bringen sich um
    Suembuakham ist 50 Jahre alt, bisher war sie Bäuerin – wie alle ihre Kolleginnen – dann ist sie zu "MAG" gekommen, einer Organisation, die Bomben und Minen räumt – und in Laos in mehreren Provinzen im Einsatz ist. Wie auch hier in Phonsavan. Die umliegende Provinz ist besonders stark bombardiert worden, die Karte im hiesigen Quartier von "MAG" zeigt zigtausende von Einsätzen; an der einzigen größeren Straße gibt es Kneipen mit so galgenhumorigen Namen wie "Bombies" oder "Zum Krater"
    Um die Ecke bietet Lue Han seine Dienste an. Er hat sein Augenlicht verloren, als er sein Reisfeld pflügte und ein Blindgänger explodierte; seine Frau lernte Schweine zu züchten, sie sparten und damit bezahlte Lue schließlich seine Umschulung zum Masseur. Sie haben mit Willensstärke und Talent durchgehalten; viele andere Opfer, die eine Bombe verstümmelt, haben diese mentale Kraft nicht – viele werden depressiv oder bringen sich um, weil sie sich nutzlos vorkommen, wenn sie Arme, Beine oder Sehkraft verloren haben. Passende Prothesen sind ein fast unbezahlbarer Luxus in dem armen Land. Laos ist eines der am wenigsten entwickelten Länder, und auch zu diesem Zustand haben die Bomben beigetragen:
    Quadratmeter für Quadratmeter soll Laos von Sprengsätzen befreit werden
    Ohne Bombenräumung können keine Felder bestellt, Schulen gebaut oder Wasserleitungen gelegt, keine Fischteiche, Baugruben oder Bewässerungskanäle ausgehoben werden. "Wir wollen unserem Land helfen, es ist unfair, dass dieses friedliche Land nicht alle Ressourcen nutzen kann, die es hat", sagt Bhutsaydee, 30 Jahre alt, sie führt die Bombenräumerinnen an. In blauen Overalls wandern sie mit dem Detektor über abgesteckte Felder, während nebenan ein Reisbauer arbeitet. Immer zu zweit, so tragen sie zwei quadratische Loops, eine Art Gestell, wenn sie ein Signal bekommen, markieren sie die Stelle mit einem roten Block, gehen mit einem Einzeldetektor noch einmal darüber und legen es vorsichtig frei. Sieht es verdächtig aus, wird es am Ende des Tages gesprengt.
    Eine unglaubliche Arbeit, gefährlich und mühsam, Quadratmeter für Quadratmeter soll Laos von dem tödlichen Erbe befreit werden – in diesem Tempo kann es noch Jahrzehnte dauern. Doch wo es einmal geschafft ist, wie in dem Dorf, in dem Su Sayphon lebt, sind die Menschen dankbar:
    "Bisher konnte ich nur vorsichtig arbeiten und wenig Reis anbauen, weil ich immer auf Bomben gestoßen bin, ich musste neue Bereiche suchen, viel Land brachliegen lassen, jetzt kann ich viel Reis anbauen. Mehr als 200 Bomben haben sie in meinen Feldern gefunden. Das ist jetzt ein neues Leben für uns, für mich und meine Mutter."
    Genau deshalb haben Bhutsaydee, Suembuakham und die anderen ihr Leben als Farmerinnen eingetauscht gegen das einer Bombenräumerin. "Es ist gefährlich, deshalb bin ich oft ängstlich, ich weiß, dass viel passieren kann" , sagt Swam Pek. "Aber wir haben eine gute Ausbildung bekommen und können so unserem Land helfen."
    Und wenn sie zusammen sind, ist die Angst auch nicht so groß.