Freitag, 29. März 2024

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"Bonhoeffer wollte nicht sterben, er wollte etwas tun"

Anlässlich des kommenden hundertsten Geburtstages des Widerstandskämpfers und Theologen Dietrich Bonhoeffer hat sein Neffe, der frühere Bürgermeister von Hamburg, Klaus von Dohnanyi, ihn als "große Figur der protestantischen Kirche" gewürdigt. Er sei Widerständler gegen das Regime Hitlers und gleichzeitig Patriot gewesen. Deshalb sei Bonhoeffer von einem USA-Aufenthalt im Sommer 1939 wieder nach Deutschland zurückgekehrt, um sich der Widerstandsgruppe um Admiral Canaris anzuschließen.

Moderation: Rainer-Berthold Schossig | 29.01.2006
    Rainer-Berthold Schossig: In wenigen Tagen jährt sich der Geburtstag von Dietrich Bonhoeffer zum hundertsten Mal. Der Theologe war während des Nationalsozialismus im Widerstand; er wandte sich früh auch gegen die Judenverfolgung; wurde von den Nationalsozialisten mit Lehr-, Rede- und Schreibverbot belegt; von der Gestapo verhaftet und 1945 hingerichtet. Am Telefon jetzt der frühere Bürgermeister von Hamburg, Klaus von Dohnanyi. Herr von Dohnanyi, welche persönliche Erinnerung haben Sie an Ihren Onkel Dietrich Bonhoeffer?

    Klaus von Dohnanyi: Dietrich Bonhoeffer war ja der Bruder meiner Mutter und die Familie Bonhoeffer hatte einen sehr, sehr engen inneren Bezug. Und Dietrich Bonhoeffer war außerdem ja seit ’33 - wie auch mein Vater - im Gegensatz und Widerstand zu den Nazis. Und mein Vater hat ihn ja dann 1938/39 einbezogen in die damals bereits beginnenden Attentats-, Staatsstreichversuche und -bemühungen und dann auch einbezogen in die Gruppe bei Admiral Canaris, also in der Abwehr, wo mein Vater während des Krieges diese Tätigkeit dann fortgesetzt hat. Und Bonhoeffer war sehr, sehr viel in unserem Haus und ich erinnere ihn sozusagen doppelt: Ich erinnere ihn einmal natürlich jetzt sehr stark aus der Erinnerung, die ich mit der Welt, sage ich mal, teile, dieses ungewöhnlichen Mannes im Widerspruch und Widerstand zu den Nazis; aber ich erinnere ihn auch als den fast kumpelhaften Onkel, mit dem wir Ski gelaufen sind, mit dem wir Tischtennis gespielt haben, der mit meinem Bruder sehr viel musiziert hat. Also, es ist eine sehr persönliche Erinnerung und natürlich inzwischen eine zunehmend auch politische.

    Schossig: Kaum ein Mann des deutschen Widerstandes hat ja so tiefe Spuren im Geist der Christenheit, ja man könnte vielleicht sogar sagen: der christlichen Menschheit, hinterlassen wie dieser Theologe Bonhoeffer. Woran liegt das? Er hat doch eigentlich, anders als Paul Tillich etwa oder Karl Barth, die großen Entmythologisierer, kein geschlossenes Werk geschaffen.

    von Dohnanyi: Er war ja auch noch sehr jung. Dietrich Bonhoeffer wurde am selben Tage - fast zur selben Stunde - wie mein Vater verhaftet und am selben Tage wie mein Vater im Konzentrationslager hingerichtet. Er war ja noch nicht einmal 40, als er verhaftet wurde. Und das darf man natürlich nicht vergessen. Zum anderen hat er wohl auch eine theologische Auffassung gehabt, die sehr viel mehr in das gelebte Christentum hineingedacht hat als in ein nur dogmatisch-theologisches Konzept.

    Schossig: Bonhoeffer gehörte zu den ganz wenigen in der bekennenden Kirche, die den Rassismus nicht akzeptierten. Es gab ja auch dort die Wirkung des Arierparagraphen in der Kirche. War er isoliert unter den bekennenden Christen?

    von Dohnanyi: Ja Sie müssen das noch viel weiter zurückverfolgen: Bonhoeffer war ja Anfang der 30er Jahre - also vor den Nazis - in den USA und schrieb damals an seinen Bruder, Karl Friedrich Bonhoeffer, er könne die USA nicht aushalten wegen ihres Schwarzen-Rassismus; es sei ein unerträglicher Zustand. Und da antwortete ihm sein älterer Bruder, der Physiker Karl Friedrich Bonhoeffer, dieser Rassismus in den USA sei der Grund gewesen, warum er - Karl Friedrich Bonhoeffer, der Physiker - einen Ruf nach Harvard nicht angenommen habe. Also, Bonhoeffer war sehr empfindlich in dieser Frage, längst bevor die Judenverfolgung in Deutschland begann.

    Schossig: Also er war eigentlich ein Außenseiter? Was sich erst posthum änderte in Deutschland, nach ’45, da wurde er dann rasch zu einer Art Märtyrer umgedeutet. Wurde er benutzt, um von der Anpassung größerer Teile des Protestantismus an das nationalsozialistische Herrschaftssystem abzulenken?

    von Dohnanyi: Glaube ich eigentlich nicht, weil - mein Eindruck ist, dass Eberhard Bethge, der Freund von Bonhoeffer, der ja auch dann diese große Biografie über Dietrich Bonhoeffer geschrieben hat, nach dem Krieg, dass er, Eberhard Bethge selber, als Mitglied dieser bekennenden Kirche, Gruppierung um Bonhoeffer herum, nach dem Krieg noch Schwierigkeiten hatte mit seinen theologischen Kollegen. Weil ein erheblicher Teil der theologischen Kollegen nach 1945 Bonhoeffer immer noch nicht akzeptierten. Und das lag natürlich unter anderem daran, dass die Amtskirche, also die offizielle protestantische Kirche, sich ja nicht sehr tapfer verhalten hatte gegenüber Adolf Hitler. Und ich denke, dass viele der auch nach 1945 noch etwas kritisch auf Bonhoeffer schauenden Kollegen sich vermutlich geschämt haben für ihr eigenes Verhalten, für den geringeren Mut, den sie gezeigt hatten in den Jahren nach 1933. Und insofern glaube ich nicht, dass man Bonhoeffer nach dem Kriege benutzt hat. Sondern er hat sich gewissermaßen als die große Figur der protestantischen Kirche, des protestantisch-christlichen Glaubens in Deutschland sozusagen aus seinem Leben und seinem Schreiben, auch aus seinen Gedichten und aus seinem Verhalten im Gefängnis dann selbst sozusagen dorthin entwickelt. Es ist nicht so, dass man sagen kann: Nach 1945 war die protestantische Kirche sofort für Bonhoeffer.

    Schossig: Bonhoeffer hatte die Chance - Sie haben es erwähnt: Er hatte Kontakte in die USA; er hatte damals einen USA-Aufenthalt, im Sommer ’39 auch -, er hätte die Chance gehabt, sich dorthin zu retten, dort zu bleiben. Und nach kurzem Ringen - wie man sagt - mit dem eigenen Gewissen, habe er dies verworfen. Warum eigentlich? Wählte er das Martyrium bewusst? Wollte er zum Märtyrer werden?

    von Dohnanyi: Nein, nein. Nein, nein. Das ist eine ganz falsche Interpretation. Bonhoeffer wollte nicht sterben. Er wollte etwas tun. Und Bonhoeffer war auch - wie auch mein Vater, wie viele des Widerstandes - ein Patriot. Und er war einfach der Meinung, wie er damals gesagt hat, er muss in diesen schweren Stunden bei seinen Leuten sein. Und das heißt ja nicht nur sozusagen, bei seinen Leuten zu sein, wenn es denen gut geht, sondern auch, wenn sie diesen bitteren Weg in den von Deutschland begonnenen Krieg und dann die damit verbundenen Konsequenzen, Verbrechen, aber auch die Leiden der Deutschen, wenn man diese sozusagen auch mit auf sich nehmen muss. Also Bonhoeffer ist ganz bestimmt nicht nach Deutschland gegangen, um hier als Märtyrer zu sterben.

    Schossig: Bonhoeffer wurde im April 1945 in Flossenbürg gehängt. Er war damals keine 40 Jahre - Sie haben es erwähnt. Zeitgleich wurde im Konzentrationslager Sachsenhausen sein Schwager, Hans von Dohnanyi, Ihr Vater, ermordet. Sie waren damals - wenn ich nachrechne - so ungefähr 17 Jahre alt. Können Sie sagen, wie diese doppelte Tragödie Sie geprägt hat?

    von Dohnanyi: Ja, ich meine mich hat das natürlich schon 1943 mit der Haft, mit der Verhaftung meines Vaters, meiner Mutter, alle, und Bonhoeffers alle, faktisch zur selben Stunde, am 5. April 1943, hat mich das natürlich schon entsprechend bewegt. Und es ist für mein eigenes Leben der - wie soll ich sagen? -, der Angelpunkt geworden. Auch für mein Verständnis von Politik. Sie dürfen nicht vergessen, wie überparteilich damals auch der Widerstand war und wie wenig man darauf achtete, ob jemand katholisch oder protestantisch war. Und diese Gemeinsamkeit im Interesse von Menschlichkeit und auch Vaterlandsliebe, die hat, glaube ich, mich am stärksten geprägt. Und insofern habe ich das natürlich in meinem auch inzwischen ja langen Leben nicht vergessen.

    Schossig: Heute zählt Dietrich Bonhoeffer zu den bekanntesten evangelischen Theologen überhaupt, könnte man sagen. Und seine in Stein gehauene Statue steht - das ist etwas äußerst Seltenes - zusammen mit der von neun anderen christlichen Märtyrern des 20. Jahrhunderts über dem Portal von Westminster Abbey, in London. Beim heutigen Gedenkgottesdienst in der Berliner Matthäus-Kirche, wo Bonhoeffer ordiniert wurde, will der Erzbischof von Canterbury auf Deutsch predigen. Bonhoeffer hat ja in den 30er Jahren zwei deutschsprachige Gemeinden in London auch unter anderem betreut - kann man sagen, Herr von Dohnanyi, dass er eine Art früher Europäer war?

    von Dohnanyi: Na ja, sicherlich. Also das gilt für meinen Vater, das gilt für Bonhoeffer, das gilt für die Familie Bonhoeffer, das gilt - sage ich mir - für diese Gruppierung von Menschen in Deutschland damals. Aber Bonhoeffer kam ja auch zu..., mein Vater hat ihn ja in diesen aktiven, in diesen konspirativen, in den auf Staatsstreich und Attentat ausgerichteten Widerstand gewissermaßen hineingeholt - sich übrigens dann später auch große Vorwürfe darüber gemacht, dass er da sozusagen die Ursache gewesen sei. Und es ist so, dass, ich glaube, wenn man den Gesamtzusammenhang sieht, dann ist die Rolle, die Bonhoeffer hier gespielt hat, eine Rolle, die über das Theologische hinausgeht. Und dass er da als einziger Deutscher dort in Westminster Abbey sozusagen gezeigt wird, das ist schon ergreifend.

    Schossig: So weit Klaus von Dohnanyi mit Erinnerungen an seinen Onkel, den Theologen Dietrich Bonhoeffer. Und dessen Geburtstag jährt sich am 4. Februar zum hundertsten Mal.