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Boomende Regionen
Aufblühende Landschaften in Brandenburg

Ländliche Kommunen rund um wirtschaftlich starke Großstädte erleben einen regelrechten Boom. Dies gilt in Brandenburg vor allem für die Region um Berlin. In Stuttgart ist das Umland schon lange ein beliebter Wohnort. Allerdings wird es im Speckgürtel der baden-württembergischen Landeshauptstadt langsam eng.

Von Vanja Budde und Uschi Götz | 23.07.2018
    Das Luftbild zeigt eine große Einfamilienhaussiedlung am südlichen Berliner Stadtring, aufgenommen am 19.04.2012.
    Großstädte wie Berlin oder Stuttgart haben Speckgürtel (picture alliance / ZB / Patrick Pleul)
    Von der engen Großstadt ins grüne Umland: Immer mehr Familien ziehen von Berlin nach Brandenburg. Die Kommunen im Speckgürtel blühen auf - und stehen angesichts des Bevölkerungszuwachses vor neuen Herausforderungen. Was in Brandenburg gerade beginnt, ist rund um Stuttgart schon seit Jahren zu beobachten. Seelenlose Schlafstädte wandeln sich hier und dort zu selbstbewussten Vororten. Der rasant wachsende Bedarf an Wohnraum und Gewerbeflächen zwingt vielerorts zu schnellen Lösungen.
    Eine schmucklose Halle in einem kleinen Gewerbegebiet in Dahlewitz, Landkreis-Teltow-Fläming, 30 Kilometer südlich vom Berliner Alexanderplatz: "Jouis Nour" hat der umtriebige Gründer Bernhard Klapproth seine Bio-Lebensmittelproduktion genannt. Heute wird das funkelnagelneue Werk eingeweiht - in Anwesenheit des Brandenburger Finanzministers. Auch Vertreter des Landkreises und der Gemeinde sind gekommen.
    "In Berlin hat es lang gedauert"
    Bernhard Klapproth trägt zu diesem feierlichen Anlass einen Trachten-Janker seiner bayerischen Heimat. Warum er mit seinem Betrieb nach Dahlewitz gegangen ist? "Brandenburg hat sich aus meiner Sicht unheimlich gemausert. Wir haben angefragt in Berlin, auch angefragt in Brandenburg. In Berlin hat es lang gedauert, in Brandenburg ging es einfach schnell. Die Genehmigung ging innerhalb von vier, sechs Wochen durch. Die Leute waren innovativ, die hatten Interesse an gesunden Produkten, die hatten Interesse an dem, was wir tun und natürlich auch an den Arbeitsplätzen, das ist klar. Aber so sind wir hier gelandet und sind ganz glücklich damit."
    Finanzminister Christian Görke von der Linken freut sich, denn es ist ein Termin nach seinem Geschmack. Ein Unternehmer aus der Trendbranche Bio-Food, der jetzt auch noch vor versammelter Mannschaft die rot-rote Landesregierung lobt: "Jedes Mal, wenn ich was brauche hier in Brandenburg, kriege ich es schnell und effizient. Von Genehmigungen über auch natürlich Unterstützung durchs Land Brandenburg selbst. Wir sind zum Beispiel GRW gefördert worden und Ähnliches. Alles ging reibungslos und sehr gut. Da möchte ich mich auch mal für bedanken."
    Der brandenburgische Finanzminister Christian Görke.
    Der brandenburgische Finanzminister Christian Görke (picture alliance / dpa / Ralf Hirschberger)
    GRW - das ist ein Wachstumsprogramm für kleine Unternehmen der Investitionsbank des Landes. Klapproths "Jouis Nour" produziert hier in Dahlewitz Tiefkühl-Snacks in Bio-Qualität und Salate zum Mitnehmen. "To go": auch so ein Trend.
    Unternehmer sieht "Riesenmarkt"
    Klapproth: "Da ist ein Riesenmarkt zu machen und deswegen haben wir hier auch kräftig investiert, wie Sie hier gleich sehen werden. Wir werden einen kleinen Rundgang machen im Anschluss. Klar ist unser Werk mit 1.400 Quadratmeter reine Netto-Produktionsfläche noch kein gigantisches Werk, aber für die Bio-Branche ist es groß und leistungsfähig, so muss man es sehen."
    Unter den zur Werkseinweihung Geladenen ist auch Björn Fromm, der Präsident des Handelsverbandes Berlin-Brandenburg. Damit auch der Speckgürtel immer größer und leistungsfähiger werden kann, müssten Brandenburg und Berlin eng zusammen arbeiten, schlägt er vor. Schließlich gäbe es klare gemeinsame Interessen.
    "Da ist noch einiges zu tun für die nächsten Jahre und das ist die Chance auch für Berlin, dass sie sozusagen diese Vororte haben, aber auch für Brandenburg als Metropolregion da heranzuwachsen. Und das ist die Chance für Brandenburg, und die strahlt natürlich auch auf die Gemeinden sicherlich ein wenig sternförmig aus, weil nun mal in der Mitte irgendwo auch Berlin liegt, aber auch für alle Landkreise ist das eine Chance, daran teilzuhaben, zu gucken: Wo entstehen Wohnräume, wo entstehen Handelsstrukturen?", sagt Fromm.
    Entwicklung nach Stuttgarter Vorbild?
    Diese Fragen führten bereits Mitte der 1990er Jahren in der baden-württembergischen Landeshauptstadt zur Gründung des Verbands ‚Region Stuttgart‘. Fünf Landkreise und die Landeshauptstadt sind unter dem Dach dieses Verbandes vereint, der vor allem die Bereiche Verkehr, Regionalplanung und Wirtschaftsförderung koordiniert. Gemeinsam bilden sie eines der wirtschaftsstärksten Zentren Europas. Walter Rogg ist Geschäftsführer der Wirtschaftsförderung‚ Region Stuttgart‘ und somit Teil des Verbands.
    "Ein Charakteristikum ist ganz sicher, dass es jetzt hier nicht eine Molochstadt ist, sondern, dass es tatsächlich ein Konglomerat von 179 großen, mittleren und kleineren Städten und Gemeinden ist. Zwei Drittel der Wertschöpfung findet außerhalb von Stuttgart statt. Durch die politische Organisation als Region mit der direkt gewählten Regionalversammlung und für die Zuständigkeit für regional bedeutsame Politikthemen auf regionaler Ebene, ist es schon eine Organisationsform, die glaube ich, zukunftsweisend ist. Also es ist nicht mehr dieses gegeneinander der Landkreise und der Städte und Gemeinden, sondern es ist schon eine politisch legitimierte Art und Weise der Politik."
    Im Vergleich zu anderen Metropolregionen in Deutschland wächst der Speckgürtel um Stuttgart, ähnlich stark wie Brandenburg rund um Berlin, immer noch kräftig weiter. Rund 2,75 Millionen Einwohner zählt die Metropolregion mittlerweile, rund 600.000 Menschen leben in Stuttgart. Längst fehlt es überall an Platz. Das gilt für Wohnraum ebenso für neue Gewerbegebiete.
    Walter Rogg: "Wir können nicht alle bedienen, weil, und das ist auch typisch für einen Ballungsraum, die zur Verfügung stehenden, marktfähigen Gewerbeflächen halt weniger werden. Werden weniger, sind zu wenig, reichen noch ein Jahr. Wir müssen die Gemeinde und Städte, die Gemeinderäte und die Bürgerinitiativen davon überzeugen, dass die nächsten fünf Jahre wichtig sind, dass wir dort neue Flächen brauchen. Weil eben in den nächsten fünf Jahren, neue innovative Produkte getestet und hergestellt werden."
    Weltunternehmen vor den Toren der Stadt
    Es ist ein Wettlauf mit der Zeit, der sich im Speckgürtel von Stuttgart vollzieht. Weltweit agierende Unternehmen haben vor den Toren Stuttgarts ihre Zentralen. Jeder Fünfte arbeitet im Fahrzeugbau. Wie andere Industriebereiche stehen auch die Autobauer und Zulieferer vor einem epochalen Wandel. Neue, digitale Prozesse, erfordern entsprechende Flächen, um weitere Geschäftsfelder zu erschließen. Doch diese gibt es nicht mehr.
    Der Verband ‚Region Stuttgart‘ kündigte jüngst ein Aktionsprogramm zur Entwicklung von Gewerbeflächen im Großraum an. Nicola Schelling ist Regionaldirektorin des Verbands ‚Region Stuttgart‘ und außerdem Präsidentin von Metrex, einem Netzwerk europäischer Regionen und Ballungsräume: "Die Gefahr besteht, dass sich Zukunft andernorts abspielt. Weil wenn gerade neue Produktionen, und die Produktion neuer Produkte nicht mehr in der Region Stuttgart stattfinden, dann sind die modernen Entwicklungen an einem Ort, den wir nicht mehr beeinflussen können, wo wir nicht wissen, wo die Arbeitsplätze geschaffen werden und wo möglicherweise auch das Zentrum eines Unternehmens irgendwann hinzieht. Wenn die die Koffer packen, wissen wir nicht, wo die Unternehmen die Koffer wieder auspacken."
    Gerade im Speckgürtel von Stuttgart versuchen immer mehr Bürgerinitiativen, neue Gewerbeflächen zu verhindern. Die Region habe ein Luxusproblem, bestätigt Schelling: "Es haben sich viele Gemeinden darauf eingerichtet, an sich abgeschlossen zu haben mit Wachstum. Hier genau setzt unsere regionale Arbeit wieder an, das Bewusstsein wieder zu schaffen und zu schärfen."
    Gewerbeflächen fehlen, doch genauso rar ist bezahlbarer Wohnraum. Im Speckgürtel von Stuttgart gibt es kaum noch Wohnungen, die sich Familien leisten können. Die Region kommt der guten wirtschaftlichen Entwicklung längst nicht mehr hinterher.
    "Lage im Grünen und doch sehr zentral"
    Die Große Kreisstadt Remseck am Neckar liegt an den Grenzen zur Landeshauptstadt Stuttgart und zum Rems-Murr-Kreis. Dirk Schöneborn ist seit 2014 Oberbürgermeister dieser Stadt: "Wir liegen sehr zentral, in der Schnittstelle zwischen Ludwigsburg, Waiblingen, Kornwestheim, Fellbach und natürlich der Landeshauptstadt Stuttgart. Wir haben die Stadtbahn U12, wir sind hier 12 Kilometer vom Hauptbahnhof Stuttgart entfernt und in 20 Minuten bin ich direkt am Hauptbahnhof Stuttgart, somit ist das eine Lage im Grünen und doch sehr zentral."
    Der parteilose Rathauschef versprach bei seinem Amtsantritt unter anderem für eine Neue Mitte zu sorgen. In den 1970er Jahren hatten sich im Zuge der Kommunalreform fünf Dörfer zusammengeschlossen, 1992 kam noch Pattonville, ein früheres Gelände der US-Armee als Wohnsiedlung hinzu. Bürgermeister Schöneborn: "Also die Einwohnerzahl steigt stetig: 1996 hatte man 18.000, 2004 wurden wir zur Großen Kreisstadt erhoben und aktuell sind wir bei über 26.000."
    Vor allem immer mehr junge Familien zieht es nach Remseck. Mit seiner einzigartigen Lage an den beiden Flüssen Neckar und Rems hat der Ort im Sommer einen zentralen Treffpunkt, den Neckarstrand. Allerdings fehlt noch ein richtiger Ortskern. Diese Lücke wird nun geschlossen: "Was wir jetzt hier draußen sehen, ist die neue Mitte. Das ist das Zentrum von Remseck; Remseck hat kein Zentrum. Und das sind wir jetzt dabei zu entwickeln. Da wird die öffentliche Infrastruktur mit einem zentralen Rathaus, das die Verwaltung effektiver arbeiten kann, mit einer Stadthalle, für die große Kreisstadt und einer Mediathek, da wird auch die VHS, die Volkshochschule sein, und, und, und."
    Noch müssen Oberbürgermeister Schöneborn und die Verwaltung in einem Gebäude mit Nachtspeicheröfen ausharren. Erst 2020 wird die neue Mitte fertig sein. Noch ein paar Jahre länger wird es dauern bis auch ein Areal mit Wohnungen für rund 800 Menschen hinter dem neuen Rathaus bezugsfertig ist.
    Doch schon heute streifen Städte und Gemeinden in den Speckgürteln ihr Image als Trabanten- oder Schlafstädte nach und nach ab. Das gilt für die Region Stuttgart ebenso wie für Brandenburg. Jenseits der Zentren herrscht ein anderer Takt. Viele sehen darin mehr Lebensqualität und auch bessere Bedingungen für ihre Firmen.
    Brandenburgs Finanzminister Christian Görke von der Linken bestätigt: "Wir haben die Entwicklung, dass wir zahlreiche Unternehmen haben, denen Berlin zu eng, zu laut, zu kompliziert ist. Das ist jetzt keine Anti-Kampagne, sondern das ist einfach so. Und insofern haben wir zu beobachten, dass viele Unternehmen sich jetzt aus der Stadt in das Umland bewegen, so wie hier in Dahlewitz - und es ist kein Einzelfall."
    2.000 neue Ansiedelungen allein 2017
    Die Landesregierung betreibe keine Rosinenpickerei, meint Görke, wer sich ansiedeln wolle, sei willkommen. Ein Angebot, auf das immer mehr Unternehmer eingehen. Allein das westliche Brandenburg zählte im vergangenen Jahr 2.000 neue Ansiedelungen. Finanzminister Görke: "Wir haben keinen Schrumpfungsschmerz, wir haben Wachstumsschmerzen, und zwar erhebliche, und nicht nur im Berlin nahen Gebiet, sondern auch in unseren Regionen. Und ich komme ja selber aus einer Region, aus dem Westhavelland, wo wir das merken. Es geht richtig aufwärts. Und wir müssen aufpassen, dass wir die Achillesfersen beachten. Und das ist einmal die Mobilität, das ist das Thema Fachkräfte und es sind die Investitionen in nachhaltige Strukturen. Und das müssen wir sowohl in den Berlin nahen als auch in den ferneren Regionen machen."
    Das sagt der Minister, weil nicht wenige Kritiker der Landesregierung vorwerfen, sich nur auf den Speckgürtel zu konzentrieren und die Peripherie darüber zu vergessen. Finanzminister Görke weist das zurück.
    Unternehmer Bernhard Klapproth im brandenburgischen Dahlewitz zeigt den Besuchern stolz sein Werk: 50 Mitarbeiter verpacken von Hand Salate und wickeln an Förderbändern Knusperstangen auf. Klapproth sucht händeringend mehr Leute. Seine gesamte Mannschaft hat er aus Berlin mitgebracht: "Was sehr wichtig ist, dass man hier Ansiedelungspolitik treibt, wenn man hier den Speckgürtel stärken will. Weil, das Hauptproblem aller Unternehmer - oder fast aller Unternehmer - ist ja wirklich, dass sie keine Kollegen mehr finden. Da sehe ich die Herausforderung hier in der Region: Qualifikation und Mitarbeiter und Kollegen. Das sind so die Schlüsselthemen der Zukunft für mich."
    Klapproths Angestellte pendeln aus Berlin nach Dahlewitz. Zukunftsthema Nummer zwei für den Speckgürtel: bessere Bildung. Nummer drei: Infrastruktur: Straßen, Busse, S-Bahnen und Regionalzüge.
    "Tausendmal umsteigen" bei der Anreise aus Berlin
    "Wenn Leute aus Berlin kommen, die müssen tausendmal umsteigen. Da ist noch Handlungsbedarf. Da kann man noch was verbessern, vor allem, wenn man die Region hier so wachsen lassen will, ja", sagt der Unternehmer.
    Brandenburg ist schon lange ein Pendlerland, und je mehr Menschen ins Umland ziehen, aber weiter in Berlin arbeiten, desto größer ist der Druck auf das Verkehrssystem. Die Landesregierung habe diese Entwicklung lange verschlafen, meint die oppositionelle CDU. Nun seien Sitzplätze in Regionalzügen auf vielen Strecken Mangelware. Zumindest in den Stoßzeiten. Infrastrukturministerin Kathrin Schneider will mit einem neuen Nahverkehrsplan reagieren.
    "Wir haben Korridoruntersuchungen gemacht, da gehen die Steigerungen teilweise bis auf 60, 80 Prozent. Und das ist natürlich enorm, und darauf muss man sich vorbereiten und reagieren. Und das tun wir mit neuen Linien, mit zusätzlichen Zügen, mit längeren Zügen und mit besserer Qualität."
    Sternförmig strebt der öffentliche Nahverkehr aus Berlin hinaus ins grüne Brandenburger Umland. Nach Teltow im Landkreis Potsdam-Mittelmark zum Beispiel kommt man vom Potsdamer Platz in 24 Minuten, ohne Umsteigen.
    Vom Stuttgarter Hauptbahnhof fährt die U 12 in zwanzig Minuten direkt nach Remseck. Mit dieser Verbindung wurde der Ort im Speckgürtel von Stuttgart besonders attraktiv, in der Folge stiegen allerdings auch die Mieten. Eine 80 Quadratmeter große Wohnung kostet mittlerweile bis zu 1. 000 Euro. Für Normalverdiener mit Kindern kaum noch bezahlbar.
    Hauptbahnhof Stuttgart
    Am Hauptbahnhof Stuttgart müssen die Fahrgäste weite Wege gehen, um zu den Bahnsteigen zu gelangen.  (imago / Arnulf Hettrich)
    "Viele reiche Leute"
    "Hier leben viele reiche Leute", sagt Kurt Goldmann, SPD Gemeinderat in Remseck: "Also Remseck ist die 14 teuerste Mietstadt in der ganzen Bundesrepublik. Wir liegen in Remseck weit über Hamburger Verhältnisse. Also das ist wirklich dem Speckgürtel Stuttgart geschuldet."
    Gemeinderat und lokale Prominenz stehen am Neckarufer. Mit einem symbolischen Spatenstich fällt heute der Startschuss zu einer städteübergreifenden Gartenschau im kommenden Jahr. Rainer Plessing, Schlosser mit eigenem Betrieb, sitzt für die Freien Wähler im Gemeinderat: "Und haben Beschäftigte, die nicht sonderlich viel verdienen und für die ist es schon schwierig, da bezahlbaren Wohnraum zu finden. Und wenn man da nicht über Beziehungen mal günstig an eine Wohnung käme, das wäre schon schwierig."
    Und doch ist Remseck vor allem für Familien ideal, sagt Gemeinderat Kurt Goldmann. Es gibt am Ort alle Schularten: "Das ist eben das, warum viele Leute hier herziehen. Weil eben alles, vom Kindergarten, Grundschule, bis weiterführende Schulen alles vorhanden ist. Und das macht es attraktiv. So schnell kann man gar keine Wohngebiete entwickeln, wie der Druck zunimmt."
    Mit Blick auf den Bau von Wohnungen in der neu entstehenden Mitte von Remseck fügt Gemeinderat Goldmann hinzu: "Da werden wir gerade als SPD gucken, dass nicht bloß hochwertiger Wohnungsbau, sondern Sozialwohnungsbau stattfinden kann."
    Der Verband ‚Region Stuttgart‘ sucht händeringend Gewerbeflächen im Großraum, Familien bezahlbaren Wohnraum. Die Situation spitzt sich zu, und führt längst zu sozialen Verschiebungen. Sozial Schwächere werden immer weiter ins Umland gedrängt. Zu schnell gewachsen? Wie definiert man prosperierende Entwicklung, fragt man sich indes in Brandenburg.
    Infrastrukturministerin Kathrin Schneider: "Nur mit Zuzug oder mit guter Stadtentwicklung? Es hat was mit der Frage zu tun, wie ich Siedlungsentwicklung mache. Wann ist eine Stadt, wann ist eine Siedlung attraktiv? Wann möchte ich dort leben? Diese Fragen sich zu stellen finde ich dabei ganz wichtig. Natürlich könnte man auch einfacher rangehen und sagen: Jeder Kopf, der zusätzlich in Brandenburg lebt, bringt Brandenburg auch zusätzliche Steuereinnahmen. Ja, das stimmt. Aber unser Interesse ist doch, dass die Menschen, die zu uns kommen, sich auch als Brandenburger fühlen und nicht nur hier ihre Schlafstatt haben, sondern in Brandenburg leben."
    Und dazu brauche es attraktive Städte und Gemeinden mit Ortszentren, meint die SPD-Politikerin, mit Einkaufsmöglichkeiten, ohne Verkehrsprobleme.
    Teltows Bürgermeister Thomas Schmidt von der SPD ist im Oktober zum zweiten Mal wiedergewählt worden. Er ist auf dem Weg zur Baustelle des künftigen Stadthafens am Teltow-Kanal: "Also wir haben nach der Wende angefangen mit 17.000 Einwohnern und sind jetzt bei knapp 28.000. Das macht mal so ein bisschen deutlich, wie die Steigerungsrate aussieht. Wir haben vor zwei Jahren die Information bekommen, das haben wir nicht etwa in Auftrag gegeben, sondern wir bekamen die Information, dass wir die schnellst wachsende Mittelstadt Deutschlands sind."
    Die Infrastruktur der einstigen Industriestadt muss entsprechend schnell ausgebaut werden. Das Verkehrsentwicklungskonzept sieht vor, einen weiteren Umkreis, um die Altstadt vom Durchgangsverkehr zu befreien. Drei neue Schulen gibt es schon, zwei weitere sind geplant.
    Demografischer Wandel mal anders
    Bürgermeister Schmidt: "Wir sind in diesem sogenannten demografischen Wandel völlig anders unterwegs: Also wir schließen keine Schulen, sondern hier wird jetzt auch noch eine große Schule neu gebaut. Wir müssen Kitas bauen, weil wir sagen: 'Wir wollen eben auch für die nächste Generation ein Zuhause sein'. Und insofern ist das mit den damit zusammenhängenden Kosten eine echte Aufgabe."
    Eine größere Kita koste schnell vier Millionen Euro, rechnet Bürgermeister Schmidt vor. Zum Glück ist Teltow kaum verschuldet, und die vielen neuen Einwohner spülen ja auch mehr Steuereinnahmen in die Kassen. Dennoch: "Das kostet Geld und ja, bringt natürlich auch den einen oder anderen Diskussionspunkt in der Stadt mit sich, weil, wo fängt man an und wo hört man auf, wenn es um Infrastruktur geht?"
    Auch Wohnraum ist längst knapp: Noch sind die Mieten in Teltow mit 5,80 Euro pro Quadratmeter im kommunalen Wohnungsbau bezahlbar. Aber es gibt auch Neubauprojekte von Privatinvestoren, die mehr als zehn Euro verlangen. Kalt.
    "Der Wohnungsmarkt ist extrem angespannt, soll heißen: ‚Ich fahre jetzt mal nach Teltow und miete mir eine Wohnung‘ sieht eher schlecht aus. Man sollte dann in seiner bisherigen Heimat nicht den Wohnraum kündigen. Sie werden hier eine Weile suchen."
    Gleichzeitig steigen die Grundstückspreise. Statt Einfamilienhäusern müssten darum mehrgeschossige Wohngebäude her, sagt Schmidt. Sonst würde man des Andrangs nicht Herr. Seit der Wende hat die Stadtverwaltung 56 Bebauungsplanverfahren abgewickelt. Vor allem, als 2005 die S-Bahn-Anbindung kam, ging es wie im baden-württembergischen Remseck auch mit dem Ansturm auf Teltow richtig los.
    Bürgermeister Schmidt weiter: "Zum Beispiel ein Baugebiet, das sogenannte Mühlendorf bei uns, das seinerzeit von einem kanadischen Investor initiiert wurde. Die ersten großen Bauplakate, die dort dranhingen, waren: 'Ihr neues Zuhause mit S-Bahn-Anschluss'. Das ist ein Vermarktungspotenzial."
    Mittlerweile fährt die S-Bahn von und nach Berlin im Zehnminutentakt. Reicht nicht, sagt Bürgermeister Thomas Schmidt. Die Stadt investiert mehr als 100.000 Euro im Jahr in zusätzliche Busse. Doch Teltows teuerste Baustelle ist der neue Stadthafen.
    Der Hafen ist neben Hallenbad und Mehrzweckhalle Teltows wichtigstes Projekt. Mit 39 Liegeplätzen soll der Stadthafen Paddler und Bootsfahrer anlocken, und so den Teltow-Kanal und die nahe Altstadt touristisch erschließen. Seine zweite wichtige Aufgabe: Er soll Treffpunkt für die alteingesessenen und neuen Bürger werden.
    "Nicht für Gutbetuchte, die hier ihr Bötchen abstellen – die dürfen das natürlich auch, das ist ganz klar – aber es wird eben dann mit Gastronomie, mit Freiflächen, natürlich mit dem Wasser, das dann erlebbar wird, auch im wahrsten Sinne des Wortes eine Erlebnisfläche für alle."
    Davon ist hinter einem Maschendrahtzaun noch nicht viel zu sehen. Derzeit ruht die Baustelle, wegen technischer Probleme. Der Hafenbau ist unter den Stadtverordneten durchaus umstritten: Ähnlich wie beim nahen neuen Hauptstadtflughafen BER, nur in viel kleinerem Maßstab, haben sich die Kosten in den vergangenen drei Jahren auf 15 Millionen Euro verdreifacht.
    Doch Bürgermeister Thomas Schmidt gibt sich optimistisch: Im nächsten Jahr soll die neue Flaniermeile eröffnet werden, damit Teltow mehr wird als eine Schlafstadt für Pendler nach Berlin.