Mittwoch, 24. April 2024

Archiv


Bordelle versus Straßenstrich

In Italien gibt es seit knapp 50 Jahren keine Bordelle mehr. Ein Gesetz hatte 1958 die Prostitution in Häusern verboten. Doch weil Straßenstriche zunehmend den Unmut von Anwohnern hervorrufen, denken Politiker darüber nach, das älteste Gewerbe der Welt wieder in Wohnungen anzusiedeln. Alexandra Barone berichtet aus Rom.

20.12.2006
    Wie jeden Abend steht Ornella Peroni an der Via Tiburtina in Rom. Trotz der Kälte trägt sie einen Leder-Minirock und ein aufreizendes Top, darüber eine Lederjacke.

    "Ich habe in einem Hotel gearbeitet, dann haben sie mir nach zwei Jahren gekündigt. Ich brauchte Geld für die Prozesskosten, also habe ich mir eine Arbeit gesucht, aber nichts gefunden. Dann habe ich mich an das Sozialamt gewandt in der Hoffnung, eventuell eine Sozialwohnung zu bekommen oder irgendeine Hilfe. Sie haben mir gesagt, ich könnte für 90 Tage in der Mensa der Caritas essen und auch dort schlafen - dann aber müsste ich mir etwas anderes suchen. Als mich eines Tages ein Mann angesprochen und mir Geld angeboten hat , habe ich nicht lange überlegt."

    Ornella arbeitet seit über fünf Jahren als Prostituierte. Ihren richtigen Namen will sie lieber nicht nennen. Die 35-Jährige ist eine von Tausenden von Prostituierten, die täglich auf den Straßen Roms stehen - morgens, nachmittags und abends. Denn in Italien ist die Prostitution an sich erlaubt, aber nicht in so genannten geschlossenen Häusern, in Bordellen. Das möchte die rechtsnationale Partei Alleanza Nazionale (AN) nun ändern und hat einen entsprechenden Gesetzesvorschlag ins Parlament eingebracht. Der AN-Politiker Piergiorgio Benvenuti erklärt, warum:

    "Ich glaube nicht an die Videoüberwachung, die von der Stadt eingeführt werden soll, weil die Prostituierten dann einfach in eine andere Straße weiterziehen. Ich glaube nicht an die Einführung von Rotlichtvierteln, weil es schwierig wird, diese Viertel auszusuchen. Ich denke vielmehr, dass das Parlament über eine Wiedereinführung der Bordelle beratschlagen sollte."

    Davon hält Francesco Carchedi allerdings nicht viel. Er arbeitet bei der römischen Vereinigung Parsec-Consortium. Gemeinsam mit anderen Sozialarbeitern spricht Francesco die Frauen direkt auf der Straße an:

    "Uns ist es lieber, wenn sie auf der Straße arbeiten, weil wir ihnen dann besser helfen können. Bordelle wollen vor allem die Konservativen einführen, damit das Problem der Prostitution nicht mehr sichtbar ist. Wir Hilfsorganisationen wollen keine Bordelle, denn das macht den persönlichen Kontakt und somit die Hilfe viel schwieriger."

    Die meisten Prostituierten in Rom sind illegal eingewandert und ohne Papiere. Sie sind ihren Zuhältern, die sie auf die Straße zwingen, hilflos ausgeliefert. Aber Bordelle, sagt Francesco Carchedi, würden die Situation nur noch verschlimmern. Ganz im Gegenteil, meint hingegen AN-Politiker Benvenuti:

    "Die Huren werden dadurch kontrolliert. Vor allem können wir dann die Zwangsprostituierten erkennen und strafrechtlich verfolgen. Außerdem wäre eine steuerliche und eine Gesundheitskontrolle möglich."

    Viele ihrer osteuropäischen Kolleginnen sind nicht freiwillig in Italien, erklärt Ornella, die aus der Region Kalabrien stammt. Sie würden gezwungen, den Freiern zu Diensten zu sein und alle ihre Wünsche zu erfüllen. Dies ruiniere allerdings die Preise der restlichen Prostituierten, protestiert Ornella:

    "Sie wissen nicht, was Würde ist. Sie denken, dass es das Wichtigste ist, einem Mann zu gefallen. Es ist sinnlos, mit ihnen zu reden. Sie kennen nur den Gehorsam. Sie haben nicht den kulturellen Hintergrund wie ich zum Beispiel, der ihnen eine Wahl lässt."

    Ornella fordert von Regierung und Gesellschaft, dass ihre Rechte als Mensch und Frau bewahrt werden, und sie fordert auch die Anerkennung ihrer Arbeit:

    "Als ich bemerkt habe, dass ich als Prostituierte benachteiligt wurde, habe ich mir gesagt, hier muss etwas passieren. Ich habe die gleichen Rechte wie jede andere Bürgerin Italiens: das Recht auf Leben und auf die Bewahrung meiner physischen und psychischen Sicherheit. Das steht mir zu, auch wenn ich Prostituierte bin."