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Boris Beckers Triumph

Er gilt als die "hässlichste Salatschüssel der Welt": der Davis-Pokal. Gestiftet 1900, sollte er ursprünglich als Nationenwanderpokal einmal jährlich zwischen englischen und amerikanischen Tennisherren ausgespielt werden. Nach und nach mischten weitere Staaten mit und das Prestige wuchs. Am 18. Dezember 1988 gewann erstmals eine deutsche Tennismannschaft den Davis-Cup, zu den Siegern gehörte Boris Becker.

Von Hartmut Goege | 18.12.2008
    "Fehler beim ersten Aufschlag. Unfaire Geste jetzt des Publikums. Einige klatschen bei diesem Fehler. Das sollte man nicht machen. Soviel Sportsgeist sollte man haben. Zweiter Aufschlag ist jetzt gekommen. Becker macht den Punkt, Becker macht den Punkt. Deutschland gewinnt den Davis-Pokal 1988. Ja, ist denn das zu fassen."

    Unbeschreibliche Szenen spielten sich jetzt im Göteborger Skandinavium ab. Boris Becker und Eric Jelen lagen sich in den Armen, Patrick Kühnen sprang am Spielfeldrand auf. Carl-Uwe Steeb hatte Tränen in den Augen. Selbst der ansonsten so ruhige Trainer Nikola Pilic jubelte überschwänglich. Tausende deutsche Schlachtenbummler feierten Fähnchen schwingend ihre Idole.

    "Da gehen sie vom Platz. Boris Becker, Carl-Uwe Steeb, Patrick Kühnen. Machen sie eine Ehrenrunde? Sie machen die Ehrenrunde, sie machen die Ehrenrunde, jawohl. Da müssen auch wir klatschen."

    Mit diesem Sieg im Doppel ging die deutsche Mannschaft sensationell mit 3:0 gegen die favorisierten Schweden in Führung. Und damit hatte sie frühzeitig das Finale für sich entschieden; die beiden letzten Spiele waren somit bedeutungslos. Dabei waren die Schweden gewarnt. Schon die Siege im Viertel- und Halbfinale gegen Dänemark und Jugoslawien waren mit jeweils 5:0 überraschend deutlich herausgespielt worden. Den Grundstock für den Finalsieg hatte Carl-Uwe Steeb einen Tag zuvor mit seinem Match gegen den Weltranglisten-Ersten Mats Wilander gelegt.

    "Speziell gegen Wilander ist es wichtig, dass man den ersten oder den zweiten Satz zumindest gewinnt, weil sonst die Chance relativ gering wird, das Match zu gewinnen, weil er sehr fit ist, und weil er kaum Fehler macht, und jeder Punkt für mich kraftraubend ist. Aber ich konnte dann frei aufspielen nach 0:2 Sätzen und zum Glück dann auch in fünf Sätzen gewinnen."

    Niemand hatte dem 21-Jährigen diesen Erfolg zugetraut. In einer dramatischen Schlussphase wuchs Steeb über sich hinaus. Das Match steigerte sich zum Spiel seines Lebens.

    "Jetzt kommt der Ball, hochgeworfen, geschnitten, auf die Vorhand von Steeb. Steeb riskiert, der Ball ist gut, jetzt noch einmal hinterher, Steeb kommt nach vorne, und gewinnt das Netz, jetzt hat er die Chance, der Ball tippt auf. Und das Spiel ist zu Ende."

    Ohne Boris Becker aber wäre auch dieser Überraschungssieg wenig Wert gewesen. Der Leimener war einmal mehr Garant für den deutschen Erfolg.
    Im zweiten Spiel des Tages ließ er seinem Gegenspieler Stefan Edberg keine Chance. Routiniert konterte er ihn in drei Sätzen aus. Selbst der Reporter war sich Beckers Sieg sicher und ging seinem Geschäft diesmal weniger aufgeregt nach.

    "Lässt sich jetzt Zeit, trocknet sich das Gesicht ab da drüben, lässt sich dann die Bälle zuwerfen. Zwei Punkte noch, Boris, und dann hast du nicht nur dieses Spiel gewonnen, sondern auch die deutsche Mannschaft mit 2:0 in Führung gebracht. Und wer hätte das vor dem Beginn der heutigen Spiele zu prophezeien gewagt."

    Seit drei Jahren befand sich das deutsche Tennis im Sog des von Boris Becker ausgelösten Booms. Seit seinem Wimbledonsieg 1985 träumten hierzulande Tausende von tennisbegeisterten Eltern von einer goldenen Zukunft ihrer Sprösslinge. Wie weit man kommen kann, hatten Becker und bei den Damen Steffi Graf eindrucksvoll vorgemacht. 1987/88 gewannen die beiden deutschen Ausnahmespieler fast sämtliche wichtigen Turniere auf der Welt. Von diesen Erfolgen profitierten - da war sich Boris Becker sicher - auch seine Mitspieler in den Mannschaftswettbewerben.

    "Wir sind alle um die 22 Jahre alt. Wir können noch gut vier, fünf Jahre zusammen um den Davis-Cup spielen, vielleicht sogar noch länger. Wir kennen uns schon aus der Jugend, seit wir etwa zehn Jahre alt sind. Und jeder auch hat dieses Jahr bewiesen, dass er als einzelner Spieler die Fähigkeit hat, wirklich große Spieler zu schlagen. Ich will das Beispiel jetzt nicht sagen. Aber jeder hatte wirklich ganz große Siege dieses Jahr. Und das schweißt zusammen, das gibt Mut, und das gibt Hoffnung."

    Ein Jahr zuvor schon hatten die Damen um Steffi Graf erstmals den Federation Cup gewonnen, das Pendant zum Davis-Cup bei den Herren. Und nun am 18. Dezember 1988 sollte dieser Pokal, der im Jahr 1900 als Nationen-Wanderpokal von dem amerikanischen Tennisspieler Dwight Davis gestiftet wurde, der krönende Abschluss werden. Carl-Uwe Steeb:

    "Wir wissen alle bis jetzt noch nicht, wie wir den Sieg einschätzen müssen oder einschätzen können. Ich glaube, das kommt ein paar Wochen später, das kommt in einem halben Jahr, wenn es heißt, ihr habt den Davis-Cup gewonnen. Es kommt auch noch ein paar Jahre später. Wir sind jetzt erst die neunte Nation, die ihn gewonnen hat. Zum allerersten Mal haben die Deutschen gewonnen. Und wir alle wissen, glaube ich, noch gar nicht so ganz, was wir gemacht haben."

    Die Erfolgsgeschichte ging weiter. Ein Jahr später konnte die deutsche Mannschaft in der gleichen Besetzung und wieder gegen Schweden diesen Triumph wiederholen.