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Boris Pasternak
Romancier mit Lyrik-Berufung

Er stammte aus einem künstlerischen Elternhaus und erlebte die klassische Kultur als lebendig und fruchtbar. Ohne mit der Tradition zu brechen, wurde Boris Pasternak zu einem der wichtigsten Lyriker der jungen Sowjetunion. Sein großer Roman "Doktor Schiwago" führte zum Skandal. Vor 125 Jahren wurde Pasternak in Moskau geboren.

Von Florian Ehrich | 10.02.2015
    Der russische Schriftsteller Boris Pasternak in einer undatierten Aufnahme
    Der russische Schriftsteller Boris Pasternak in einer undatierten Aufnahme (picture-alliance / dpa- Tass)
    "Ein großer, grauhaariger Mann stand in der geöffneten Haustür und winkte enthusiastisch: 'Herein! Herein!' Er gestikulierte mit beiden Armen und lachte mir zu, während ich den verschneiten Weg durch seinen Garten entlangschritt. Dieser Dichter Boris Pasternak, der seit 20 Jahren zurückgezogen am Rande von Moskau lebt, ist kein verbitterter Mann. Er ist ein Optimist, ein tief religiöser Mensch, der an das Leben glaubt und an die Kraft des Lebens, die immer stärker sein wird als Theorien und Dogmen",
    so der ARD-Korrespondent Gerd Ruge 1958 in einem Radiobeitrag über Boris Pasternak. Als der Journalist den Dichter in Moskau besucht, hat dieser gerade im westlichen Ausland seinen Roman "Doktor Shiwago" veröffentlicht und sieht sich nun massiven Anfeindungen der sowjetischen Parteipresse ausgesetzt. Den Nobelpreis für Literatur muss er unter Drohungen, ausgebürgert zu werden, ablehnen.
    Boris Pasternak wurde am 10. Februar 1890 in Moskau geboren. Als Sohn eines bekannten Malers und einer gefeierten Pianistin, wuchs er in einem intellektuellen, hochkultivierten Milieu auf. Gäste des Hauses waren Leo Tolstoi, Rainer Maria Rilke oder der Komponist Alexander Skrjabin, der Pasternaks musikalisches Talent förderte und dessen erste Kompositionen lobte.
    Inspirationsquelle Futurismus
    Die Musik blieb jedoch Episode, denn der vielfältig begabte Künstler geht 1912 nach Marburg, um Philosophie zu studieren, bevor ihn die Begegnung mit moderner Lyrik zu seiner wahren Berufung führt, wie Susanne Frank, Professorin für Ostslawische Literaturen an der Berliner Humboldt-Universität, erklärt:
    "Der Futurismus war eigentlich eine erste ganz wichtige Etappe, er war sehr, sehr inspiriert von Majakowski in den 10er-Jahren, und hat versucht, dann angeregt durch die futuristischen Gedichte, selbst zu schreiben. Aber so richtig futuristisch wurde das eigentlich nicht, weil es zu wenig experimentell, zu wenig krass experimentell war."
    Einen ganz eigenen Ton findet er mit dem Band "Meine Schwester, das Leben". Die Sammlung entsteht im Sommer 1917 zwischen Februaraufstand und Oktoberrevolution, kann jedoch erst 1922 nach den Wirren des Bürgerkriegs veröffentlicht werden. Diese Gedichte voller kühner Bilder treffen bei Kritik und Publikum auf begeisterte Zustimmung:
    Eine schwüle Nacht
    "Es tröpfelte, doch standen stille
    Die Gräser im Gewittersack,
    Der Staub nur schluckte es zu Pillen,
    Eisen in sachtem Pulver nackt.
    Nicht hoffte da sein Heil zu finden
    Das Dorf, Mohn war wie Ohnmacht tief.
    Der Roggen brannte in Entzündung,
    Gott schwoll im Ausschlag, fieberte."
    In den Jahren des stalinistischen Terrors lebt Pasternak von Übersetzungen fremdsprachiger Literaturen. So bemüht er sich um Dichtung aus dem Kaukasus, jener beinahe mythischen Gegend, die in der klassischen russischen Literatur des 19. Jahrhunderts eine so wichtige Rolle gespielt hat:
    "Er hat viele Texte der deutschen Klassik ins Russische übertragen, englische Klassiker auch, aber er hat auch georgische Dichtung, zeitgenössische georgische Dichtung, ins Russische übersetzt und zwar von Autoren, die kurz danach dem Stalinismus zum Opfer gefallen sind. Und mit seiner Beschäftigung mit Georgien, auch in seiner eigenen Lyrik, zum Beispiel in seinem Lyrikzyklus "Wellen", hat er wesentlich dazu beigetragen, dieses Georgien als einen Raum der russischen Literatur weiterhin zu bearbeiten in der Tradition von Puschkin, Tolstoi und Lermontow."
    Ab 1947 arbeitet Pasternak an seinem großen Revolutionsroman. "Doktor Shiwago", in vielem eine autobiografische Figur, verkündet Pasternaks religiös gefärbte Idee des Lebens, das größer ist als zeitgebundene politische Ideologien. Shiwagos Tod ist sinnbildlich: Er erleidet einen Herzschlag, als er gerade versucht, durch die fest verschlossenen Fenster einer Moskauer Straßenbahn frische Luft zu lassen. Weil der Roman trotz der Tauwetterpolitik Chruschtschows nicht veröffentlicht wird, gibt ihn Pasternak einem italienischen Verleger. Die darauf folgende Hetzkampagne trifft den Dichter, der sich nie offen gegen die Parteidiktatur gestellt hat, schwer. Boris Pasternak stirbt im Mai 1960. Seine Wiederentdeckung in Russland vollzieht sich erst im Rahmen der gesellschaftlichen Öffnung in den späten 80er-Jahren:
    "In der Perestroika war Pasternak natürlich sehr wichtig. 1988 wurde sein Roman publiziert, in einer Zeit, in der nicht nur Pasternak, sondern sehr viele Autoren, Mandelstam zum Beispiel, in den letzten Jahren der Sowjetunion richtig entdeckt wurden. Und seither hat er natürlich den Status eines Klassikers, er ist fester Bestandteil jetzt der russischen Literaturgeschichte."