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Ökonom Ota Šik
Der Kommunist mit marktwirtschaftlicher Gesinnung

Zwar war der tschechische Ökonom Ota Šik überzeugter Kommunist, doch die Korruption und der Gesinnungsterror in der Prager Parteiorganisation stießen ihn ab. Er entwickelte das Modell eines „Dritten Weges“ zwischen Sozialismus und Marktwirtschaft, das politisch jedoch kaum Anklang fand.

Von Bert-Oliver Manig | 11.09.2019
    CSSR, Land und Leute. Alltag in einem Land unter kommunistischer Herrschaft. Prag 01.05.1981. Wenzelsplatz.
    Der Tscheche Ota Šik suchte einen Dritten Weg zwischen sozialistischer Planwirtschaft und freier Marktwirtschaft (picture alliance / dpa / Klaus Rose)
    Als Ota Šik 1945 aus dem NS-Konzentrationslager Mauthausen, wo er die mörderischen Arbeitsbedingungen im berüchtigten Steinbruch überlebt hatte, nach Prag zurückkehrte, war er ein überzeugter Kommunist:
    "Ich hab einfach die Vorstellungen vom Sozialismus, wie wahrscheinlich viele Leute meiner Generation, sehr idealistisch aufgenommen. Ich hab mir wirklich gedacht, also jetzt entsteht eine Gesellschaft, wo es keine großen Klassenunterschiede geben wird, es wird keine Arbeitslosen mehr geben und wir werden einfach eine gerechtere Gesellschaft aufbauen."
    Die Ungerechtigkeit der Klassengesellschaft hatte der am 11. September 1919 in Pilsen geborene Ota Šik schon früh selbst erfahren: In der Weltwirtschaftskrise zerstörte die Arbeitslosigkeit erst das Selbstwertgefühl des Vaters, dann die Ehe der Eltern und schließlich auch die Hoffnungen des begabten Ota auf ein Studium an der Kunstakademie, der stattdessen mit 17 Jahren als angelernter Büroangestellter zum Familienunterhalt beitragen musste. Als junger Kommunist geriet er während der deutschen Besatzung in die Fänge der Gestapo.
    Abgestoßen von Korruption und Opportunismus
    1945 übernahm Ota Šik ein Amt in der Prager Parteiorganisation. Doch schon bald stießen ihn Korruption, Opportunismus und Gesinnungsterror der Parteielite ab. Šik begann ein Studium der Ökonomie.
    Die Parteiführung konnte den desolaten Zustand der sozialistischen Planwirtschaft in der einstmals wohlhabenden Tschechoslowakei nicht ignorieren. 1963 wurde Ota Šik zum Vorsitzenden einer Reformkommission der Partei berufen. Er plädierte für eine weitgehende Autonomie der Betriebe und marktwirtschaftliche Preisbildung. Zum Hoffnungsträger wurde Šik, als er in seinem Referat auf dem 13. Parteitag der KPĈ im Juni 1966 zum Entsetzen der Parteiführung auch eine Demokratisierung der Staatsorgane ins Spiel brachte:
    "Als ich endete und zu meinem Platz ging, begann ein Riesenbeifall. Das war, klar, nicht ein normaler Beifall, sondern das war eine politische Demonstration. Es war zu sehen, wie die Stimmung ist unter den Delegierten, und ich war schon längst an meinem Platz, und der ganze Saal hat immer noch applaudiert."
    Exil in der Schweiz
    Im April 1968 wurde Šik stellvertretender Ministerpräsident und Koordinator der Wirtschaftsreformen in der Regierung Dubček. Doch die rasche Niederschlagung des "Prager Frühlings" bereitete den Hoffnungen auf einen "Sozialismus mit menschlichem Antlitz" ein jähes Ende. Šik fand Exil in der Schweiz, wo er nach einigen Jahren an die Hochschule in St. Gallen berufen wurde. Ausgerechnet an dieser Kaderschmiede des Kapitalismus entwickelte er sein Modell eines "Dritten Weges" zwischen Sozialismus und Marktwirtschaft, deren überlegene Effektivität er zwar anerkannte, mit deren Mängeln er sich aber nicht abfand:
    "Es geht mir um die weitere Vertiefung und Erweiterung der Selbstbestimmung des Volkes, nicht nur sozusagen seiner Möglichkeit einer demokratischen Wahl in der politischen Sphäre, sondern einer Einführung, einer Mitbestimmung, Mitentscheidung in der Wirtschaftssphäre innerhalb der Betriebe und Unternehmen als auch in der ganzen volkswirtschaftlichen Entwicklung."
    Šiks Ideen blieben politisch heimatlos
    Mit seiner Kritik an der Konzentration wirtschaftlicher Macht im Kapitalismus und seinem Eintreten für weitreichende Mitbestimmungsrechte der Arbeitnehmer lag Šik Anfang der 70er-Jahre scheinbar im linken Trend. Doch sein von technokratischen Zügen nicht freies Plädoyer für eine Gesamtplanung von Produktion, Kreditschöpfung und Lohnquote zur Vermeidung von Wirtschaftskrisen und Inflation war den pragmatischen Sozialdemokraten und Gewerkschaftern nicht geheuer.
    So blieben seine Ideen einer "Humanen Wirtschaftsdemokratie" – so der Titel seines Hauptwerks -politisch heimatlos. Auch als 1989 in Ostmitteleuropa der Kommunismus zusammenbrach, griff man nicht auf Šiks Ideen zurück. Ota Šik veröffentlichte seit 1992 keine ökonomischen Studien mehr, sondern widmete sich der Malerei. 2004 starb er in seiner zweiten Heimat St. Gallen.