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Bosbach: Merkel ist "wirklich im Mark erschüttert"

Die Beteuerung der US-Regierung, die Bundeskanzlerin werde aktuell und in Zukunft nicht abgehört, sei nicht zufriedenstellend, kritisiert der CDU-Innenpolitiker Wolfgang Bosbach. Die Enttäuschung bei Angela Merkel sei wegen des bisher vertrauensvollen Verhältnisses zu Barack Obama besonders groß.

Wolfgang Bosbach im Gespräch mit Peter Kapern | 24.10.2013
    Peter Kapern: Ob da bei Angela Merkel wohl Erinnerungen wach werden an ihr Vorleben in der Stasi-Republik DDR? Der US-Geheimdienst soll ihr Handy abgehört haben. Berlin ist empört!
    Bei uns am Telefon ist Wolfgang Bosbach von der CDU, langjähriger Vorsitzender des Innenausschusses des Bundestages. Guten Morgen.

    Wolfgang Bosbach: Guten Morgen, Herr Kapern.

    Kapern: Herr Bosbach, als Sie von der ganzen Sache gehört haben, waren Sie da auch so überrascht wie ich? Erst erklärt Kanzleramtsminister Pofalla die NSA-Affäre für beendet und ein paar Monate später erfährt die Kanzlerin, dass sie offensichtlich abgehört worden ist.

    Bosbach: Überrascht ist eine sehr vornehme zurückhaltende Formulierung. Ich glaube, wir sind alle partei- und fraktionsübergreifend empört, und das gilt auch für die amerikanische Erwiderung, das Handy der Kanzlerin wird nicht abgehört, denn dieser Satz sagt nichts darüber aus, ob die Kanzlerin in der Vergangenheit überwacht worden ist. Das ist nicht nur völlig indiskutabel, das kann man auch unter keinem Gesichtspunkt mit dem Kampf gegen den internationalen Terrorismus oder mit Gefahrenabwehr begründen. Deswegen ist das ein sehr, sehr ernst zu nehmender Vorgang.

    Kapern: …, auf den wie geantwortet werden muss?

    Bosbach: Ich fürchte, dass es mit der routinemäßigen Einbestellung des Botschafters der Vereinigten Staaten von Amerika nicht getan ist. Es geht zunächst einmal darum, dass die USA jetzt zügig, umfassend und wahrheitsgemäß den langen Fragenkatalog beantworten, der schon vor Monaten abgesandt worden ist an die USA. Sie wissen, dass der Bundesinnenminister selber in Washington war. Damals ist ihm gesagt worden, die erbetenen Auskünfte können wir erst dann erteilen, wenn die Fakten deklassifiziert worden sind. Das ist eine notwendige Maßnahme, bevor Ausländer überhaupt informiert werden dürfen. Liebe Leute, das ist jetzt Monate her, die Deklassifizierung muss längst abgeschlossen sein.

    Dann geht es um ein No-Spy-Abkommen. Da genügt allerdings nicht der Abschluss des Abkommens, sondern da müssen die USA auch glaubhaft machen, dass sie sich auch in Zukunft nicht nur an die Buchstaben, sondern auch an den Geist des Abkommens halten werden. Und bei dem Freihandelsabkommen, was zurzeit verhandelt wird zwischen den USA und Europa, brauchen wir auch ein Kapitel Datenschutz und Datensicherheit.

    Kapern: Die Verhandlungen sollen weitergehen? Es gibt ja schon Forderungen nach deren Aussetzung.

    Bosbach: Dann machen wir die Sache ja nicht besser. Wichtig ist, dass die Verhandlungen zügig fortgesetzt werden und dass wir zu klaren Übereinkünften kommen.

    Hier geht es ja "nicht nur" um die Überwachung der privaten Telekommunikation, hier geht es auch um Schutz von Betriebs- und von Geschäftsgeheimnissen, die einen enormen Wert für die Unternehmen darstellen können. Und wenn die USA routinemäßig sagen, wir achten in der Bundesrepublik Deutschland das deutsche Recht, dann beruhigt das mich in keiner Weise, denn Grundrechtsverletzungen zum Nachteil von deutschen Grundrechtsträgern, die kann man nicht nur auf dem Territorium der Bundesrepublik vornehmen, sondern auch außerhalb. Wenn außerhalb Deutschlands Glasfaser-Kabel angezapft werden beim interkontinentalen Kommunikationsverkehr, wenn Knotenpunkte angegriffen werden, dann sind das Grundrechtsverletzungen, die zwar nicht auf unserem Territorium stattfinden, aber zum Nachteil der Bürgerinnen und Bürger in Deutschland.

    Kapern: Erklärt sich, Herr Bosbach, die bislang zögerliche Reaktion der Bundesregierung auf diese Grundrechtsverletzungen auch dadurch, dass vielleicht die Auffassung vorherrscht, das sei einfach der Preis, den wir dafür bezahlen müssen, dass Deutschland von den Erkenntnissen der US-Dienste beim Kampf gegen den Terrorismus auch profitiert?

    Bosbach: Nein, denn wir können nicht die Freiheit dadurch verteidigen, indem wir sie schrittweise abschaffen. Es ist ein fundamentaler Unterschied, ob ich Telekommunikation überwache bei begründetem Tatverdacht zum Zwecke der Gefahrenabwehr, oder ob ich weltweit Daten sammele, und zwar völlig unabhängig davon, ob ein Verdacht vorliegt oder nicht, nach dem Motto, wenn ich den gesamten Telekommunikationsverkehr überwache, auch von völlig unbelasteten unschuldigen Bürgerinnen und Bürgern, dann werden schon die Informationen dabei sein, die wir zur Gefahrenabwehr brauchen.

    Genau so geht es nicht und ich glaube, dass die Bundesregierung und die Bundeskanzlerin auch deshalb so empört sind, weil gerade die Bundesregierung doch in ihren Reaktionen eher zurückhaltend war. Andere Staaten wie zuletzt Frankreich haben wesentlich härter reagiert als die Bundesrepublik Deutschland. Die Bundeskanzlerin ist so zurückhaltend und besonnen. Wenn sie mit diesen Informationen an die Öffentlichkeit geht, dann wird sie erstens die Hinweise sehr, sehr ernst nehmen, also seriöse Quelle und handfeste Belege für die Vermutung, und zweitens: dann ist sie auch wirklich im Mark erschüttert.

    Kapern: Sie haben eben den Fragenkatalog angesprochen, den die Bundesregierung in Washington abgeliefert hat mit der Bitte um Beantwortung. Diese Antworten hat es bislang nicht gegeben. Das lässt doch eigentlich nur den Rückschluss zu, dass in Washington nach der Devise verfahren wird, rutscht uns doch den Buckel runter.

    Bosbach: Diesen Schluss kann man natürlich ziehen. Ich glaube allerdings nicht, dass die USA da gut beraten sind, so zu verfahren, denn mittlerweile bildet sich ja auch eine internationale Allianz gegen die Abhörpraktiken der USA. Wichtig ist allerdings, dass die Europäische Union geschlossen in und gegen die USA bei diesem Punkt auftritt. Wenn ein Land nach dem anderen nebeneinander unabgestimmt bei den USA vorstellig werden, dann werden wir nicht eine solche Schlagkraft erzielen, als wenn sich die 28 Staaten der Europäischen Union in diesem Punkt einig sind.

    Kapern: Nun steht ja möglicherweise die Kanzlerin, die in den vergangenen Monaten, um es vornehm auszudrücken, sehr zurückhaltend auf diese NSA-Enthüllungen reagiert hat, als diejenige da, die monatelang abwiegelt und nichts tut und erst dann aktiv wird, wenn es um ihr eigenes Handy geht.

    Bosbach: Abgewiegelt ist sicherlich keine zutreffende Formulierung. Ich weiß ja auch aus unseren internen Beratungen, dass die Bundesregierung, auch die Bundeskanzlerin das Thema sehr, sehr ernst nicht nur nimmt, sondern auch in der Vergangenheit genommen hat. Gleichzeitig hat man allerdings auch alles unterlassen, das traditionell gute deutsch-amerikanische Verhältnis zu belasten, und man sollte auch daran denken, dass Barack Obama schon vor Amtsantritt gerade in Deutschland eine enorme Welle der Sympathie entgegengebracht wurde, dass er ein hohes Maß an Vertrauen verdient oder verdient hat und dass deshalb die Enttäuschung bei der Kanzlerin und bei der Bundesregierung besonders groß ist.

    Kapern: Trotzdem entsteht der Eindruck, dass das Handy der Kanzlerin möglicherweise aus rechtlicher Sicht als schützenswerter erachtet wird als Ihres oder meines.

    Bosbach: Wenn es um Grundrechtsverletzungen geht, kennt unsere Verfassung keinen Unterschied. Natürlich, Herr Kapern, ist das ein qualitativer Unterschied, ob wir beide privat miteinander telefonieren, oder ob wir, wie gestern Abend, für heute Morgen einen Interview-Termin verabreden. Das wird die Amerikaner nun nicht so sehr interessieren wie vertrauliche Gespräche, die die Bundeskanzlerin führt.

    Kapern: Wer weiß!

    Bosbach: Aber die Grundrechte, da gibt es keine Abstufung. Die Grundrechte von Schmitz, Müller, Kapern und Bosbach sind genauso schützenswert wie die der Bundeskanzlerin.

    Kapern: Muss sich die Bundesregierung, die ja jetzt nur noch geschäftsführend im Amt ist, nachträglich dafür rechtfertigen, dass sie von Medien-Hysterie gesprochen hat, dass der Bundesinnenminister sogar im Laufe der Diskussion das Supergrundrecht auf Sicherheit erfunden hat?

    Bosbach: Der Staat hat eine doppelte Schutzpflicht. Er hat die Pflicht, die Bürgerinnen und Bürger vor Gefahren aller Art zu schützen, dort wo immer er es kann. Er hat allerdings auch die Pflicht, die Grundrechte der Bürgerinnen und Bürger zu schützen, und natürlich sind Gefahren von Leib und Leben besonders gravierend. Und wenn der Staat sich darum bemüht, die Bürger in besonderer Weise vor schweren Gefahren zu schützen, dann ist das legitim. Jetzt muss die Bundesregierung auch zeigen, dass sie nicht nur, aber gerade im Verhältnis zu den USA mit der gleichen Nachdrücklichkeit die Grundrechte der Bürger verteidigt.

    Kapern: Der langjährige Vorsitzende des Innenausschusses im Bundestag, Wolfgang Bosbach. Das Gespräch haben wir vor einer Stunde aufgezeichnet.


    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.