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Bosbach möchte Landesverfassungsämter reduzieren

Wolfgang Bosbach, Mitglied des Bundestags (CDU) und Vorsitzender des Innenausschusses, möchte nicht alle Macht in einer zentralen Bundesverfassungsbehörde bündeln. Aber er spekuliert, dass neun bis zehn Landesverfassungsämter reichen würden.

Wolfgang Bosbach im Gespräch mit Bettina Klein | 21.11.2011
    Bettina Klein: Mitgehört hat Wolfgang Bosbach, Vorsitzender des Innenausschusses des Deutschen Bundestages, der heute zu einer Sondersitzung zusammenkommen wird. Ich grüße Sie, Herr Bosbach.

    Wolfgang Bosbach: Guten Morgen.

    Klein: Was ist, wenn man eine Reihenfolge bilden will, für Sie die wichtigste Frage, die heute beantwortet werden muss aus Ihrer Sicht?

    Bosbach: Die wichtigste Frage kann ich schon beantworten: Warum sind die anderen Landesämter für Verfassungsschutz nicht eingeladen worden? – Selbstverständlich sind sie eingeladen worden. Es kommen auch die Landesverfassungsschutzämter nicht nur aus Thüringen, sondern auch aus Niedersachsen und aus anderen Bundesländern. Also, das ist schon mal geklärt.
    Es gibt zwei Punkte, die heute von überragender Bedeutung sind: Erstens Klarheit, also einen Überblick über den derzeitigen Stand der Ermittlungen. Und zweitens Konsequenz - was muss in Zukunft organisatorisch und möglicherweise auch gesetzgeberisch getan werden, damit sich Derartiges nicht wiederholen kann. Und über allem steht natürlich die Frage: Hätte diese dramatische Mordserie nicht gestoppt werden können, hätte man nicht viel früher erkennen können, wo die drei mutmaßlichen Mörder leben?

    Klein: Eine Überlegung haben wir gerade schon gehört und ich glaube, dass Sie sich dem auch anschließen, nämlich bei der Frage Zusammenlegung von Verfassungsschutzämtern. Zu rechnen ist mit Widerstand aus den Ländern. Wie wollen Sie die überzeugen?

    Bosbach: Durch gute Sachargumente. Und dennoch ist es richtig, was Sie sagen: Das können nur die Länder selber entscheiden, das kann der Bund nicht anordnen. Es geht ja nicht um die großen Flächenstaaten wie Baden-Württemberg, Bayern, NRW, sondern es geht darum, dass wir eine, bundesweit einheitliche Aufgabe, nämlich Schutz unserer Verfassung, so organisieren, dass sie optimal, also effizient wahrgenommen werden kann. Ich sehe im Moment nicht, was so schwierig daran sein sollte oder gar unüberwindbar, dass Ämter zusammengelegt werden dort, wo es sehr regionale enge Verzahnungen gibt. Berlin und Brandenburg, oder Bremen und Hamburg und Niedersachsen, oder Saarland, Hessen, Rheinland-Pfalz - damit wir dort schlagkräftige Einheiten bekommen, damit es nicht Reibungsverluste oder sogar Informationsverluste gibt in einer einzigen Region. Ich halte es auch nicht für optimal, wenn man nur ein riesiges Bundesamt für Verfassungsschutz in Köln hätte. Orts- und Personenkenntnis, also ortsnahe Kenntnis von den Problemen, von den Organisationen kann auch wichtig sein.

    Klein: Wie viele sollten denn übrig bleiben idealerweise Ihrer Meinung nach, wie viele Ämter?

    Bosbach: Also ich habe jetzt keine Zahl parat, aber acht oder neun Ämter dezentral plus Bundesamt für Verfassungsschutz, das könnte eine Größenordnung sein, mit der wir die Aufgabe, Schutz der Verfassung, optimal wahrnehmen können.

    Klein: Inwieweit, Herr Bosbach, ist es denn tatsächlich eine Frage der Strukturen, die verändert gehören, oder eine Frage von Mentalitäten? Denn wenn wir uns zum Beispiel Thüringen anschauen, sind Informationen nicht weitergegeben worden, man ist einem Verdachtsmoment nicht nachgegangen. Also da ist ja auch ein Stück weit persönliche Verantwortung, begründet möglicherweise in einer bestimmten Geisteshaltung. Und die Frage ist ja auch, wie ist die zu verändern.

    Bosbach: Entscheidend sind zwei Dinge, jedenfalls nach dem derzeitigen Ermittlungsstand. Erstens: Keine Behörde darf die Haltung einnehmen, ich weiß etwas, was du nicht weißt. In den aller-, allermeisten Fällen geht es ja um den Austausch von Informationen und nicht um Schutz von V-Leuten. Das ist ja ganz selbstverständlich. Aber wenn wir in 16 dezentralen Ämtern plus einem großen Bundesamt eine Fülle von Informationen, Hinweisen, Beweisen, Indizien sammeln und speichern und sie nicht miteinander verzahnen, und zwar kontinuierlich, dann wird es kaum möglich sein, bundesweite Lagebilder zu erstellen und zu einer gemeinsamen Beurteilung zu kommen. Und das Zweite ist: Wir brauchen glasklare Regeln für Einsatz und für die Führung von V-Leuten. Das ist ja bundesweit einheitlich nicht geregelt.

    Klein: Stichwort V-Leute und die Möglichkeit eines neuen NPD-Verbotsverfahrens. Es klang gerade auch an im Gespräch mit Fritz Rudolf Körper, der meinte, wir brauchen ein stimmiges Gesamtbild. Wie schätzen Sie die Mehrheiten im Augenblick ein, Herr Bosbach? Wird so ein Verbotsverfahren kommen und wenn ja, unter welchen Bedingungen? Heißt das in jedem Fall Abzug der V-Leute, sonst ist es gar nicht möglich und man braucht es eigentlich gar nicht zu versuchen?

    Bosbach: Das sowieso. Karlsruhe verlangt von uns vor einem erneuten Antrag den Abzug aller V-Leute. Und wer glaubt, er könne die NPD nur mit öffentlich zugänglichen Quellen oder mit technischen Hilfsmitteln beobachten, der macht einen Fehler. Der komplette Verzicht auf menschliche Quellen, die geführt werden und berichten aus dem Innenleben der Partei, kann sich als gravierender Fehler erweisen. Wissen Sie, würde sich ein Verfahren über zwei, drei Monate hinziehen, wäre das damit verbundene Risiko, bei einem Abzug aller V-Leute vertretbar, aber wir sprechen hier von zwei bis drei Jahren. Dann wären wir während der gesamten Verfahrensdauer von Informationen aus dem Innenleben der Partei abgeschnitten. Und selbst wenn die NPD verboten würde, hätten wir ja überhaupt keine Änderung bei der rechtsextremen Gesinnung oder der Gewaltbereitschaft ihrer Mitglieder. Die würden doch nicht verschwinden, die gehen doch nicht alle geschlossen zum Roten Kreuz, sondern die werden abtauchen in freie Kameradschaften, in möglicherweise auch die gewaltbereite Neonazi-Szene. Möglicherweise sind sie dann noch schwerer zu beobachten als jetzt in der Organisationsstruktur einer Partei. Und an ein Scheitern des Verfahrens darf man gar nicht denken.

    Klein: Was schlagen Sie denn vor, wenn nicht ein NPD-Verbot, um diese Gesinnung, die Sie gerade beschrieben haben, in den Griff zu bekommen oder wünschenswerterweise zu verändern?

    Bosbach: Der Kampf gegen den Rechtsradikalismus, gegen politischen Extremismus, in welchem Gewand er auch immer daherkommt, ist nicht alleine eine staatliche Aufgabe, das ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe. Daneben ist natürlich von überragender Bedeutung der permanente Fahndungsdruck. Dafür brauchen wir allerdings Informationen. Um eine Gefahr abwehren zu können, muss man sie zunächst einmal erkennen. Das heißt, wir brauchen die richtige personelle Ausstattung, die richtige Organisationsform, aber auch das rechtliche Instrumentarium, um eine Aufgabe wahrnehmen zu können.

    Klein: Wolfgang Bosbach war das, der Vorsitzende des Innenausschusses des Deutschen Bundestages, der heute zu einer Sondersitzung zusammenkommt. Ich bedanke mich für das Gespräch, Herr Bosbach.

    Bosbach: Ich danke Ihnen.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.