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Bosbach-Rückzug
"Zweifellos einer unserer Besten"

Der CDU-Europapolitiker Christian Freiherr von Stetten hat im DLF den Rücktritt seines Parteikollegen Wolfgang Bosbach als Vorsitzender des Bundestags-Innenausschusses verteidigt. Dennoch habe Bosbach eine Verantwortung gegenüber seinem Wahlkreis und müsse deshalb als Parlamentarier erhalten bleiben.

Christian Freiherr von Stetten im Gespräch mit Tobias Armbrüster | 24.07.2015
    Der CDU-Politiker Christian Freiherr von Stetten.
    "Ich glaube auch, dass bei der nächsten Abstimmung mehrere mit Nein-Stimmen, ohne dass sie ihr Amt im Anschluss zur Verfügung stellen werden": Der CDU-Politiker Christian Freiherr von Stetten im Deutschlandfunk-Interview. (imago / Müller-Stauffenberg)
    Von Stetten bezeichnete Bosbach als "zweifellos einer unserer Besten". Er gehe davon aus, dass es bei der nächsten Abstimmung zu Griechenland "noch einige Nein-Stimmen mehr werden", sagte der CDU-Politiker im Interview mit dem Deutschlandfunk. Auch er selbst glaube nicht, dass die Reformen im griechischen Parlament ausreichen werden: "Ich habe da jede Hoffnung aufgegeben. In diese Regierung hab ich kein Vertrauen". Ein Grexit auf Zeit wäre daher "der richtige Weg" gewesen, betonte von Stetten. Er vertraue darauf, dass dieser Vorschlag von Wolfgang Schäuble weiterhin mit verhandelt werde.
    "Grexit auf Zeit sollte weiter verhandelt werden"
    Der CDU-Politiker Bosbach hatte gestern sein Amt als Vorsitzender des Bundestags-Innenausschusses niedergelegt. Bosbach begründete dies mit dem Kurs der Bundesregierung in der Griechenland-Politik. Sein Bundestagmandat werde er aber behalten, teilte der 63-Jährige in seinem Wahlkreis im nordrhein-westfälischen Bergisch Gladbach mit. Bosbach hatte vor knapp einer Woche gegen den Antrag der Regierung gestimmt, mit Athen über ein drittes Kreditprogramm zu verhandeln.

    Das Interview in voller Länge:
    Tobias Armbrüster: Es ist für die CDU zumindest ein personeller Einschnitt: Wolfgang Bosbach, Bundestagsabgeordneter der Union seit mehr als 20 Jahren, hat gestern angekündigt, seinen Posten als Vorsitzender des Innenausschusses im Bundestag niederzulegen. Grund dafür ist seine Ablehnung der Griechenland-Rettungspakete.
    Wolfgang Bosbach: Wir gehen spätestens mit dem dritten Rettungspaket für Griechenland mit Riesenschritten in Richtung Transferunion und diesen Weg kann und will ich nicht mitgehen. Nicht aus Bockigkeit oder aus Sturheit, sondern aus Überzeugung.
    Armbrüster: Wolfgang Bosbach. Der ist natürlich nicht der einzige Unionspolitiker, der die Eurorettungspolitik kritisiert, zu seinen Mitstreitern in der Union gehört der CDU-Abgeordnete Christian Freiherr von Stetten, auch jemand der immer wieder Nein sagt zu den Griechenland-Hilfen. Schönen guten Morgen, Herr Freiherr von Stetten!
    Christian von Stetten: Guten Morgen, ich grüße Sie!
    Armbrüster: Kam dieser Schritt von Wolfgang Bosbach gestern für Sie überraschend?
    von Stetten: Nein, Wolfgang Bosbach ist zweifellos einer unserer Besten im Parlament im Deutschen Bundestag und er hat klar angekündigt: Für den Fall, dass er erneut in einen Gewissenskonflikt kommt zwischen Loyalität und seinem Abstimmungsverhalten, dass er dann Konsequenzen zieht. Und die hat er gestern gezogen, indem er zurückgetreten ist als Vorsitzender des Innenausschusses.
    "Als Parlamentarier muss Bosbach uns erhalten bleiben"
    Armbrüster: Aber ein wirklich konsequenter Schritt hätte ja anders ausgesehen?
    von Stetten: Nein, das hängt damit zusammen, dass viele mit ihm natürlich das Gespräch gesucht haben, ihm auch klargemacht haben, dass er jetzt nicht aufhören darf als Bundestagsabgeordneter.
    Erstens hat er seine Verantwortung gegenüber seinem Wahlkreis und viele Kollegen haben ihn auch bestärkt, zwar vielleicht das Mandat abzugeben als Vorsitzender Innenausschuss, aber als Parlamentarier muss er uns erhalten bleiben. Und deswegen bin ich auch sehr glücklich, dass er das so gewählt hat.
    Armbrüster: Wenn sich nun Wolfgang Bosbach aus der vorderen Reihe der Politik verabschiedet, heißt das dann auch, dass die Kritiker der Rettungspakete für Griechenland jetzt an Gewicht verlieren?
    von Stetten: Nein. Wolfgang Bosbach hat seine Stellungnahme immer abgegeben als frei gewählter Bundestagsabgeordneter und so ist es auch zu erklären, seine klare Haltung. Und ich gehe davon aus, dass er in den nächsten Wochen und Monaten dies auch tun wird. Wir werden ja wahrscheinlich in diesem Monat in einer Sondersitzung erneut in Berlin entscheiden müssen, wie es weitergeht.
    Armbrüster: Aber es ist schon ein ernster Schritt für Sie, wenn Sie sich da mal als Gruppe in der Union definieren, wenn einer von Ihnen dieses hochrangige Amt abgibt und sozusagen einen Schritt zurücktritt?
    von Stetten: Ja. Aber es ist im Prinzip so, unsere Parteiführung hat natürlich das Recht, Loyalität von ihren Funktionären einzufordern, aber ich glaube, die Entscheidung von Wolfgang Bosbach macht jetzt auch klar, dass eine kluge Parteiführung dieses letzte Mittel der Disziplinierung [Anmerkung der Redaktion: Diese Stelle ist unverständlich] nur dann anwendet, wenn Abgeordneten auch möglich ist, ihr zu folgen. Und die Aufforderung, bei der Griechenland-Hilfe jetzt eventuell vielleicht sogar gegen europäische Verträge zu brechen und den ESM zu missbrauchen, wäre für viele andere Parlamentarier auch zu viel verlangt. Und deswegen kann es gut sein, dass bei der nächsten Abstimmung es noch einige Nein-Stimmen mehr werden.
    "Wolfgang Bosbach hat völlig recht, dass er hier nicht zustimmen kann"
    Armbrüster: Aber wer definiert denn eigentlich innerhalb der Union, was nun loyal ist und was nicht? Wolfgang Bosbach selbst hat ja gestern gesagt, er vertritt eigentlich konsequent eine Linie, die die Union schon vor 20 Jahren vertreten hat.
    von Stetten: Das ist richtig und das muss jeder Abgeordnete für sich selber entscheiden. Es gibt natürlich den Anspruch der Parteiführung, dass nicht bei jedem kleinen Punkt, der im Deutschen Bundestag abgestimmt hat ... Sie können nicht mit allem einverstanden sein, was die Regierung vorlegt, aber Sie müssen dann ab und zu bei manchen Themen eben auch einen Punkt machen und sagen, hier geht es nicht weiter. Und jetzt bei der Griechenland-Hilfe ist es eben einfach so, wir dürfen den ESM nur anzapfen, wenn zwei Punkte erfüllt sind, erstens muss die Systemrelevanz Griechenlands gegeben sein für die gesamte Eurozone und zweitens die Schuldentragfähigkeit gegeben sein. Und beides ist in diesem Fall nicht gegeben, deswegen hat Wolfgang Bosbach völlig recht, dass er hier nicht zustimmen kann.
    Armbrüster: Und wer diese Position so konsequent vertritt, der kann in der Union oder in der Bundestagsfraktion auch keinen hochrangigen Posten mehr besetzen, ist das so?
    von Stetten: Doch, das kann er selbstverständlich, das muss jeder Abgeordnete für sich selber entscheiden. Es ist natürlich so, wenn Sie Funktionsträger sind, eine andere Funktion innerhalb der Fraktion haben oder des Bundestags, wird natürlich auf Sie etwas intensiver geschaut. Und Wolfgang Bosbach hat für sich entschieden, dass er dieses Amt zurückgibt. Aber das muss jeder andere auch entscheiden.
    Ich glaube auch, dass bei der nächsten Abstimmung mehrere Funktionsträger innerhalb der Fraktion mit Nein stimmen werden, ohne dass sie ihr Amt dann anschließend zur Verfügung stellen werden.
    Armbrüster: Mit wie viel Abweichlern rechnen Sie da?
    von Stetten: Das kommt darauf an, was die Bundesregierung vorlegt Mitte August dann zur Abstimmung. Momentan wird ja verhandelt. Und es kommt auch darauf an, ob es den Griechen gelingt, ihre Schuldentragfähigkeit nachzuweisen.
    Es gibt ja jetzt einige Reformen im griechischen Parlament, ich glaube nicht, dass es ausreicht, aber es sind ja noch einige Wochen Zeit, wo noch einiges verhandelt werden kann. Aber sollte die Schuldentragfähigkeit nicht gegeben sein und damit auch klar sein, dass die Griechen ihren Schuldenverpflichtungen nicht nachkommen können, kann doch noch einiges dazukommen an Nein-Stimmen.
    Armbrüster: Können Sie sich denn vorstellen, auch mit Ja zu stimmen?
    von Stetten: Ich kann mir natürlich vorstellen, mit Ja zu stimmen, sollte die griechische Regierung einen hundertprozentigen Turnover machen. Nur, ich habe da jede Hoffnung aufgegeben, in diese Regierung habe ich kein Vertrauen. Und ich habe auch kein Vertrauen, dass diese Gelder zurückgezahlt werden jemals. Und was ich auf jeden Fall nicht mitmachen werde, ist, dass die Schuldentragfähigkeit künstlich hergestellt werden kann, indem jetzt die laufenden Schulden, die schon aufgelaufen sind, die Laufzeit dieser Kreditverträge noch einmal um 30 Jahre verlängert werden, sodass sie erst im Jahr 2050, 2060 zurückgezahlt werden müssen. Das wäre ein Taschenspielertrick, in dem die ungedeckten Schecks einfach nur der nächsten Generation in den Safe gepackt werden.
    "Grexit auf Zeit wäre der richtige Weg gewesen"
    Armbrüster: Wenn das so ist, wie viel Vertrauen haben Sie denn dann noch in Angela Merkel und Wolfgang Schäuble?
    von Stetten: Ich habe selbstverständlich großes Vertrauen in unsere politische Führung. Und Wolfgang Schäuble hat ja auch einen Vorschlag gemacht mit dem Grexit auf Zeit, was der richtige Weg gewesen wäre.
    Wir hätten Griechenland vorläufig aus dem Euro entlassen, die griechische Regierung, das Parlament hätte Maßnahmen beschließen können, dass sich die griechische Regierung wieder erholt mit der Wirtschaft zusammen, und dann hätten sie in fünf Jahren wieder zurückkehren können. Dieser Vorschlag ist jetzt momentan nicht auf dem Tisch, aber er sollte weiter verhandelt werden. Und ich halte es nach wie vor für den richtigen Weg.
    Armbrüster: Nach wie vor sagen Sie aber auch, dass Griechenland mit Taschenspielertricks auf sich aufmerksam macht. Was ist denn von Politikern zu halten zum Beispiel wie Angela Merkel, die auf solche Tricks dann – so könnte man es ja sagen – reinfallen?
    von Stetten: Nein, ich glaube, es ist deutlich geworden, dass gerade die bundesdeutsche Seite hart verhandelt hat in dem Bereich. Wir haben da Gott sei Dank zwei gute Verhandlungspartner gehabt. Denn wenn wir das gemacht hätten, was die Franzosen oder Italiener oder gar andere Staaten vorgehabt hätten, dann wären wir schon lange in der Transferunion. Und deswegen habe ich da großes Vertrauen, dass eben auch der Vorschlag von Wolfgang Schäuble, Grexit auf Zeit, nicht vom Tisch ist, sondern mitverhandelt wird. Und vielleicht sehen wir ja dann Mitte August noch ein überraschendes Ergebnis, dass sich Wolfgang Schäuble hat durchsetzen können.
    "Wir wollen klare Regeln"
    Armbrüster: Herr Freiherr von Stetten, wenn ich mir das so alles anhöre, dann kann ich leicht zu dem Schluss kommen: Die Union hat es sich eigentlich mit Ihnen als Eurokritiker ganz bequem eingerichtet! Nicht nur mit Ihnen selbst, sondern auch mit dieser ganzen Gruppe.
    Können wir sagen, dass Sie sozusagen zuständig sind für die Stammwählerschaft, für das konservative Markenpotenzial, für den Markenkern in der Union, und Angela Merkel hat deshalb genug Platz, um sich um das große Ganze, die Staatsraison zu sorgen?
    von Stetten: Das ist auch die Aufgabe der Bundeskanzlerin, das Große und Ganze im Auge zu behalten. Wir sind auch nicht dabei bei allen geheimen Verhandlungen, die geführt werden.
    Nur, für uns Parlamentarier ist entscheidend, dass wir uns am Ende des Tages ehrlich machen müssen, und ich hätte mir gewünscht, dass auch die Staats- und Regierungschefs eingesehen hätten, dass das Experiment mit den Reformen ohne die Griechen beendet ist und Griechenland zumindest vorübergehend aus dem Euro ausgeschieden ist. Dieser Diskussionsprozess läuft und glauben Sie nicht, dass es die Bundeskanzlerin sich da sehr einfach macht. Die macht auch zahlreiche Gespräche mit den sogenannten Kritikern.
    Wir sind ja keine Eurokritiker, im Gegenteil, wir unterstützen alle den Euro und glauben, dass er für Deutschland viel gebracht hat, nur, wir wollen klare Regeln und wir wollen, dass die Leute sich darauf verlassen können, dass die Verträge, die man eingehalten hat, auch in den nächsten Jahren eingehalten werden. Weil wir Angst haben, dass sonst eventuell dieses Europa auch auseinanderbrechen kann, wenn die Menschen das Vertrauen in diese klare Rechtslage verlieren.
    Armbrüster: Sagt hier bei uns im Deutschlandfunk der CDU-Bundestagsabgeordnete Christian Freiherr von Stetten. Vielen Dank für das Interview heute Morgen!
    von Stetten: Danke schön!
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.