Donnerstag, 25. April 2024

Archiv


Bosnischer Fundamentalismus

Wie wird man zum Fundamentalisten? Davon erzählt "Zwischen uns das Paradies", der neue Film der bosnischen Regisseurin Jasmila Zbanic, für den sie beim Filmfest München in diesem Jahr bereits mit dem Bernhard-Wicki-Filmpreis ausgezeichnet wurde.

Von Christoph Schmitz | 02.09.2010
    Am Anfang wundert man sich fast darüber, wie normal, modern, europäisch und gegenwärtig das Leben in der bosnischen Stadt Sarajewo ist. Luna ist Stewardess und fliegt kreuz und quer durch den Kontinent, ihr Mann ist Fluglotse, sie wohnen in der Nähe des Flughafens, dem Tor zur Welt, sie gehen gerne aus, treffen sich mit Freunden, die Zukunft steht ihnen offen, das Land ist im Frieden und im Wohlstand angekommen. Die ersten Probleme sind leicht zu bewältigen. Das Paar wünscht sich nämlich ein Kind, was aber nicht so recht funktionieren will, eine Hormontherapie soll es richten, zuversichtlich, fast selig schaut das Paar in die Zukunft, auf die Amar auch mal gerne anstößt.

    Wegen Alkohol im Dienst wird Amar für ein halbes Jahr suspendiert, und jetzt beginnen allmählich fremde und bedrohliche Kräfte in dieses glückliche Leben zu fließen, aus ganz verschiedenen Richtungen und aus unterschiedlichen Sphären, Kräfte, die an den beiden immer kräftiger zerren. Lunas Großmutter tritt als weise, von Krieg und Verfolgung zutiefst erschütterte Frau auf, der der Schmerz über den Verlust der Heimat und der Tod der einzigen Tochter, Lunas Mutter, in die Falten ihres Gesichts geschrieben ist.

    Amar streift über einen Friedhof und legt Blumen auf das Grab seines getöteten Bruders. Und er trifft auf einen ehemaligen Mitsoldaten im Bosnienkrieg. Der trägt einen langen Bart, eine vollkörperverschleierte Frau sitzt in seinem Auto, er verweigert Luna die Hand zum Gruß mit der Entschuldigung, dass er Frauen nie berühre. Bahrija heißt der Mann, dem Luna von Anfang an mißtraut, der dem arbeitslosen und immer mehr dem Alkohol verfallenden Amar eine Perspektive eröffnet.

    Von der vordergründig friedlichen Aura eines strengreligiösen Wahabiten-Camps im bosnischen Hinterland an einem stillen See fühlt Amar sich mehr und mehr angezogen. Erstaunlich ist, wie es der Regisseurin Jasmila Zbanic hier gelingt, nicht nur die Spuren zu einer islamistischen Bedrohungskulisse zu legen, sondern auch die Schönheit der islamischen Poesie, der arabischen Melismatik und die spirituelle Tiefe der Religion zu vermitteln. Jasmila Zbanic diskreditiert den Islam an keiner Stelle, im Gegenteil: Die Szenen mit Lunas gläubiger Großmutter und die Gesangsszenen in Camp und Moschee sind vor allem eine ästhetische Apologie des Glaubens.

    Und doch zeigt sie die Fratze des Fundamentalismus, wenn Bahrija sich eine zweite, dazu noch minderjährige Frau zulegt, wenn Amar irgendwann der Überzeugung ist, dass der Bosnienkrieg eine Strafe Gottes gegen die im Kommunismus vom Glauben abgefallenen Muslime sei, dass es jetzt wieder darauf ankomme, wortgläubig dem Koran zu folgen und eine Armee gegen die Ungläubigen aufzubauen. Beim Zuckerfest klagt Amar die lebensfrohe Festgesellschaft seiner Familie an, und die Großmutter wirft ihn raus, Luna folgt ihm.

    Die Entfremdung zwischen Amar und Luna gestaltet Zbanic wie einen Sog, der nach und nach alle Lebensbereiche des Paares erfaßt. Dabei gelingt ihr ein strenger psychologischer und sozialer Realismus, der sich für jede nächste Stufe der Entfremdung die nötige Zeit lässt und sich nie zu erzählerischen Turbulenzen verleiten lässt. Streng ist ihre Bildsprache und doch immer wahrhaftig. Die Regisseurin hat ein äußerst feines Gespür für ihre Protagonisten, dem die beiden Hauptdarsteller aufs beste entsprechen. Die letzte Einstellung zeigt Luna, wie sie als Stewardess auf ein Flugzeug zugeht und bevor sie eintritt noch einmal zurückschaut, geradewegs in die Kamera. Ein kurzer Blick, in dem die Vergangenheit verabschiedet wird und die Zukunft noch verborgen ist.

    Mehr Infos zum Film auf der offiziellen Homepage von "Zwischen uns das Paradies".