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Botschafter der Neuen Musik

Die Aufnahmen, die ich Ihnen heute vorstelle, entspringen skandinavischen Komponisten, die hierzulande nicht gänzlich unbekannt sind, aber doch selten das Repertoire des Konzertbetriebs bestücken. Einige aktuelle und künstlerisch sehr hochwertige CD-Aufnahmen gewähren jetzt interpretatorisch reizvolle Varianten, sich mit diesen Klangwelten vertraut zu machen.

Von Yvonne Petitpierre | 05.04.2009
    Am Beginn steht Kammermusik des Dänen Per Nörgard. 1932 geboren, gehört er mit seinem umfangreichen Ouevre nach Carl Nielsen zu den international bekanntesten Komponisten seiner Heimat. Entscheidend für seine Hinwendung zur europäischen Moderne waren Besuche der Darmstädter Ferienkurse. 1959 machte er die Entdeckung der Unendlichkeitsreihe, die wichtig wurde für die Entwicklung seines Personalstils. Eine Reihe, die von keiner bestimmten Skala abhängig ist, ebenso wenig ist sie an bestimmte Tonsysteme gebunden. Fasziniert von östlichen Klangvorstellungen, begab er sich immer auf die Suche "nach den unendlichen Verbindungen zwischen den Dingen".

    Vier sehr unterschiedlich konzipierte Streichquartette aus den Jahren 1993 bis 2005 von Per Norgard hat vor kurzem das Dänische Kroger Quartett als Ersteinspielung aufgenommen. Das Ensemble begreift sich als Botschafter der Neuen Musik in Dänemark und hat sich im ständigen Dialog mit Per Norgard über viele Jahre intensiv mit dessen Werk auseinandergesetzt. Per Norgard's Kompositionssprache lässt sich auf einen Dialog mit der jeweiligen Gattungsgeschichte ein. So haben Béla Bartòk, Leos Janacek oder Alexander Zemlinsky Pate gestanden für Norgards Konzeption seiner Streichquartette.

    Dem Kroger Quartett ist das 7. Quartett gewidmet, 1993 komponiert für die Königliche Bibliothek in Kopenhagen anlässlich ihres 200-jährigen Bestehens.

    Mit den Möglichkeiten einer mikrotonalen Schreibweise jongliert hier der Mittelsatz. Beginnend mit einem Akkord, der aus einer Quinte und kleinen Terz besteht, die mitten zwischen Dur und Moll liegen. Darüber entwickelt sich ein alternativer Wechsel zwischen zwei diatonischen Systemen, die in dieser Aufnahme sehr zart eingefangen werden.

    Hören Sie den langsamen zweiten Satz lentissimo, quasi non misurato aus dem Streichquartett Nr. 7:

    MUSIK 1: Per Norgard: String Quartets 7-10
    String Quartet NO. 7
    II.Lentissimo, quasi non misurato
    Track 3 (4.41, davon 2.11)
    The Kroger Quartet
    DACAPO 8.226059, LC 09158

    Alle, hier eingespielten Quartette sind genau ausgeschrieben, basieren jedoch auf der Begegnung zwischen durchgearbeiteten Theorien und neuen freien Lesarten des Materials. Die Aufnahme mit dem Kroger Quartett zeugt von tiefer musikalischer Kenntnis, gepaart mit unmanierierter Spielfreude.

    Mit dem Titel "Herbstzeitlose" ist das jüngste, im Jahr 2005 komponierte einsätzige 10. Streichquartett überschrieben. Eine melodisch sehr transparente Komposition, die sich in verschiedenen Klanglandschaften bewegt und Norgards vielschichtigen Kompositionstechniken belegt. Charakteristisch ist eine Art Leitmotiv , das sich durch das gesamte Werk zieht, drei abwärts pizzikierte Töne im Cello, während die übrigen Streicher mit tonalen Akkorden "con sordino" einsetzen.

    Ein Motiv, das dieses melodienreiche und klanglich sehr transparente Werk immer wieder unterbricht:

    MUSIK 2 Per Norgard: String Quartets 7-10
    String Quartet Nr. 10
    Allegro fluente
    Track 12 (13.40, davon 2.02)
    The Kroger Quartet
    DACAPO 8.226059, LC 09158

    Das war ein Ausschnitt des einsätzigen Streichquartetts von Per Norgard, in einer Aufnahme mit dem Kroger Quartet.

    Erschienen ist die CD beim dänischen Label DACAPO, das im deutschen Handel über NAXOS erworben werden kann.

    Zu den bedeutendsten schwedischen Komponisten der Gegenwart zählt Anders Eliasson, 1947 geboren. Ehe er Kontrapunkt und Harmonielehre studiert, lernt Eliasson Trompete, etabliert sich als Jazz-Bandleader und durchläuft verschiedene experimentelle Phasen. In den 70er-Jahren entstehen erste Kompositionen, die auch publiziert werden. Seine eigene Kompositionswelt beschreibt Eliasson als maßgeblich geprägt von Johann Sebastian Bach. Diese Musik beschreibt er als "die höchste Energie, mit der man überhaupt in Berührung kommen kann".

    Seine eigenen Kompositionen bergen hohe Komplexitäten, die sich aus dramaturgischen Prozessen innerhalb einer Komposition entwickeln.

    Auf Anregung der beiden Interpreten Ulf Wallin, Violine, und Roland Pöntinen, Klavier, entsteht 2005 das "Doppelkonzert für Violine, Klavier und Orchester". Ein sparsam instrumentiertes, aber hoch virtuoses Werk mit kammermusikalisch anmutenden Passagen. Die Energiegeladenheit der drei ineinander übergehenden Sätze ergibt sich aus der Dichte an motivischer Arbeit, wobei die beiden Soloinstrumente Gesten des klassischen Solokonzertes bergen. Dem Hörer bleibt ein Klangerlebnis, das sich sehr unmittelbar und direkt mitteilt. Dem Schwedischen Radio-Sinfonieorchester unter Johannes Gustavsson und den beiden Solisten gelingt darüber hinaus eine klanglich packende Interpretation, die Eliassons musikalische Gestik eindringlich vermittelt.

    Wie stark Eliasson den Verlauf einer Komposition innermusikalischen Prozessen überlässt, hören Sie in einem Ausschnitt aus dem 3. Satz diese Doppelkonzertes, überschrieben mit der Satzbezeichnung Presto.

    MUSIK 3: Anders Eliasson: Double Concerto - Sinfonia per archi
    Concerto for Violin, Piano &Orchestra
    Presto
    Track 3 (9.53, davon 2.30)
    Swedish Radio Symphony Orchestra
    Ulf Wallin, Violine
    Roland Pöntinen, Piano
    Ltg. Johannes Gustavsson
    CPO 777334-2, LC 8492

    Frühere Kompositionen lässt Anders Eliasson in seiner 2003 fertig gestellten "Sinfonia per archi” anklingen. Eine symbolträchtige Musik, die sich im steten Wechsel zwischen Energieausbrüchen und zarten Klängen bewegt. Alle drei Sätze bauen eine große Spannung auf und bereits den ersten Takten sind zwei motivische Keimzellen zu entnehmen, aus denen sich dann ein über knapp 40 Minuten erstreckender Organismus entwickelt.

    Der Komponist betont, dass nicht er das Werk beende, "vielmehr sei es die Musik selbst, die zu einem Ende kommt und so sei am Anfang eines Stückes der Ausdruck persönlicher als am Ende ".

    MUSIK 4: Anders Eliasson: Double Concerto - Sinfonia per archi
    Sinfonia per archi
    Andante
    Track 4 (19.41, davon 2.06)
    Swedish Radio Symphony Orchestra
    Ltg. Johannes Gustavsson
    CPO 777334-2, LC 8492

    Das war ein Ausschnitt des ersten Satzes Andante aus der Sinfonia per archi von Anders Eliasson, gespielt vom Swedisch Radio Symphony Orchestra unter der Leitung von Johannes Gustavsson. Erschienen ist diese Produktion beim Label CPO.

    Anders Eliasson widmet sich auch eine CD, die kürzlich beim Label NEOS erschienen ist. Das Arcos Chamber Orchestra unter John-Edward Kelly ist hier ebenfalls mit einer sehr sinnlichen Interpretation der "Sinfonia per archi" zu hören sowie zwei Kompositionen aus den 80er-Jahren.

    Musik, die sich jeglicher stilistischen Zuordnung entzieht und eine Musik, die nach Eliassons eigenen Aussagen "nicht vom Klang lebt, sondern durch den Klang".

    So lädt das 1987 entstandene "Ostácoli" für Streichorchester frei von jeglicher Effekthascherei zu assoziativen Momenten ein.

    MUSIK 5: Anders Eliasson: Desert Point - Ostácoli - Sinfonia per archi
    Ostácoli
    Track 2 (15.05, davon 2.04)
    Arcos Chamber Orchestra
    Ltg. John-Edward Kelly
    NEOS 10813, LC 15673

    Diese Einspielung eignet sich nicht nur wegen ihrer hohen interpretatorischen Qualität, um sich mit Musik von Anders Eliasson vertraut zu machen, sondern auch wegen des sehr kenntnisreich und ambitioniert gestalteten Booklets aus der Feder des Musikwissenschaftlers Christoph Schlüren.

    Hier ist auch zu erfahren, dass Eliasson eine analytische Haltung gegenüber dem eigenen Werk ablehnt - im Vordergrund steht für ihn die individuelle Wahrnehmung des Hörens.

    Als das Wichtigste erscheint ihm in diesem Kontext "das emotionale Kraftfeld, die energetische Wahrheit, das Sein hinter dem Schein der Dinge. Musik sei keine gegenständliche Seele, der Klang dagegen schon".

    Das New Yorker Arcos Chamber Orchestra gründete sich 2005 unter anderem mit der Absicht, kaum bekannte Werke zu entdecken. Die klanglichpräzise Einspielung des 1981 komponierten "Desert Point" macht neugierig auf die hierzulande wenig bekannte musikalische Welt des Anders Eliasson.

    MUSIK 6: Anders Eliasson: Desert Point - Ostácoli - Sinfonia per archi
    Desert Point
    Track 1 (12.42, davon, 1.57)
    Arcos Chamber Orchestra
    Ltg. John-Edward Kelly
    NEOS 10813, LC 15673

    Zum Abschluss hörten Sie einen Ausschnitt aus Desert Point von Anders Eliasson - Das Arcos Chamber Orchestra spielte unter der Leitung von John-Edward Kelly. Eine Produktion, die beim deutschen Label NEOS erschienen ist.
    Am Mikrophon verabschiedet sich Yvonne Petitpierre.