Freitag, 19. April 2024

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Botschafter der Ukraine in Deutschland
"Wir wollen Minsk umsetzen"

Die Teilnahme von Kreml-Chef Putin beim Gipfeltreffen in Berlin sei wichtig gewesen, sagte Andrej Melnyk, Botschafter der Ukraine in Deutschland, im Interview der Woche des DLF. Nun müssten die Ergebnisse umgesetzt und konkretisiert werden. Dazu gehöre auch die Schaffung von vier weiteren "Entflechtungszonen", um die Konfliktparteien auf Abstand zu halten.

Andrej Melnyk im Gespräch mit Sabine Adler | 23.10.2016
    Porträtbild des ukrainischen Botschafters Andrej Melnyk
    Der Botschafter der Ukraine in Deutschland, Andrej Melnyk, im März 2016 (picture alliance / dpa/ Michael Kappeler)
    Auch müsste die OSZE-Mission schon jetzt Zugang zu den acht Grenzübergängen bekommen. Nur dann könne man an eine ernsthafte Vorbereitung der Wahlen in den von Rebellen kontrollierten Gebieten denken.
    Am Mittwoch hatten Kanzlerin Angela Merkel sowie die Präsidenten Russlands, Frankreichs und der Ukraine - Wladimir Putin, François Hollande und Petro Poroschenko - in Berlin über den Friedensprozess beraten, der ins Stocken gekommen war.
    Andrej Melnyk, ukrainischer Botschafter in Deutschland, beim Interview der Woche im DLF mit Sabine Adler
    Andrej Melnyk, ukrainischer Botschafter in Deutschland, beim Interview der Woche im DLF mit Sabine Adler (Deutschlandradio)

    Das Interview in voller Länge:
    Sabine Adler: An diesem Sonntagvormittag live aus dem Funkhaus in Berlin, Andrej Melnyk, herzlich willkommen hier bei uns.
    Andrej Melnyk: Danke schön.
    Adler: Für die Normandie-Gespräche am Mittwoch in Berlin hatten alle Teilnehmer – die Bundeskanzlerin, der französische, russische, aber auch Ihr Präsident Petro Poroschenko – die Erwartungen so weit runter geschraubt, dass das Ergebnis eigentlich nur noch besser werden konnte. Für die Ukraine – so hat man jedenfalls den Eindruck – dürfte es eigentlich danach nicht so wahnsinnig viel zu beanstanden geben. Ich würde gern mit einem Kommentar, Herr Melnyk, aus einem ukrainischen Internetportal beginnen. Dort wurde gesagt, dass es Deutschland und Frankreich weniger um die Ukraine geht bei den Normandie-Gesprächen, als vielmehr den direkten Draht zum russischen Präsidenten Wladimir Putin zu erhalten. Ist das wirklich der Eindruck in der Ukraine – Europa interessiert sich nicht wirklich für das Schicksal Ihres Landes?
    "Ein sehr schwieriges Treffen in Berlin"
    Melnyk: Diese zynische Bemerkung können wir nicht teilen. Wir gehen davon aus, dass die Position der deutschen und der französischen Staatsführung von Anfang an aufrichtig war und bleibt. Was wir immer wieder gebeten und auch verlangt haben, war, dass man als Vermittler gegenüber Russland eine geschlossene und auch harte Linie vertritt. Das haben wir auch jetzt gesehen in Berlin. Das war auch der Erfolg des Treffens. Denn noch vor zwei Monaten hat Herr Putin gedroht, die Gespräche gar auszusetzen und das Normandie-Format als gescheitert quasi zu erklären. Das ist nicht geschehen, auch Dank der Bemühungen der Kanzlerin. Wir hatten ein sehr schwieriges Treffen in Berlin. Keiner konnte wahrscheinlich hundertprozentig damit zufrieden sein. Aber der Kreml-Chef ist wieder am Verhandlungstisch. Man hat auch Klartext gesprochen während dieses Gipfels. Jetzt wird es darauf ankommen, dass diese Ergebnisse, die erzielt wurden, tatsächlich in die Tat umgesetzt werden.
    Adler: Eins dieser Ergebnisse, die vereinbart worden sind, ist – und damit wurde gerechnet – als sozusagen kleinster gemeinsamer Nenner, dass es eine weitere sogenannte Truppenentflechtung geben soll. Das heißt also, an vier oder mehr weiteren Orten sollen die verfeindeten Parteien weiter auseinandergezogen werden, um da die Spannungen zu verringern.
    Jetzt hat sich ein Kollege der "FAZ – der Frankfurter Allgemeinen Zeitung" – die Mühe gemacht, mal über Monate hinweg zu beobachten, von wem eigentlich der Waffenstillstand häufiger gebrochen wurde und auch wird. Und das war über viele Monate hinweg immer die gegnerische Seite. Die Separatisten haben diesen Waffenstillstand – der ja auch vielfach, muss man sagen, seit zwei Jahren immer wieder vereinbart wurde oder verlängert wurde – gebrochen. Seit September gibt es eine andere Tendenz. Seit September wird festgestellt, bis weit in den Oktober hinein, dass die Ukraine über 1.000 Mal den Waffenstillstand gebrochen hat und die Separatisten keine 80 Mal. Warum von Ihrer Seite diese offensichtlichen Verstöße gegen eine Vereinbarung? Ist das ein Strategiewandel, der da zu beobachten ist?
    "Wir wollen die Waffenruhe einhalten"
    Melnyk: Also diese Einschätzung können wir nicht teilen und wir haben auch mit Herrn Konrad Schuller darüber gesprochen.
    Adler: Das ist der Autor aus der FAZ.
    Melnyk: Der Autor, genau. Wir haben seinen Bericht und diese Einschätzung zur Kenntnis genommen, aber auch hinterfragt, mit welchen Kriterien man zu diesem Ergebnis gekommen ist. Und da haben wir wirklich sehr, sehr viele offene Fragen. Denn man muss sich vorstellen, wie das Ganze zustande gekommen ist, ist sehr, sehr schwer nachzuprüfen. Die Kontaktlinie, ja, die verläuft, da muss man sich vorstellen, es gibt nur Blockposten und dann ein Feld. Und die Registrierung von diesen Vorfällen geschieht nur sporadisch, nur am Tage, nicht in der Nacht, wo auch die meisten Beschüsse stattfinden. Und von daher sind wir der FAZ dankbar für diese Recherchen. Die sind auch für uns wichtig, um nachzuschauen, nachzuprüfen, wo Nachholbedarf ist. Denn die ukrainische Armee hat einen klaren Befehl – nicht als Erster zu schießen.
    Aber, wenn das Leben in Gefahr ist, von den Soldaten oder von den Zivilisten, dann muss man auch manchmal zurückschießen. Und von daher ist es sehr wichtig, hier ganz genau noch mal sich anzusehen, also diese Ergebnisse, wie kamen sie zustande, um dann eben zu verhindern, dass solche Verstöße stattfinden. Aber ganz klar kann ich festhalten: Die Ukraine hat ihre Strategie nicht geändert. Also wir wollen Minsk umsetzen. Wir wollen auch die Waffenruhe einhalten, denn das ist der Ausgangspunkt für alles andere in Minsk. Und deswegen wäre es nicht in unserem Interesse, jetzt diese Strategie zu verfolgen, um dann als Verletzer vom Völkerrecht dazustehen. Das ist etwas, was wir nicht wünschen und was wir auch nicht wollen.
    Adler: Die vier Außenminister des sogenannten Normandie-Formats müssen jetzt Hausaufgaben machen. Sie sollen nämlich das ausbügeln, was in dem Minsker Abkommen nicht möglich war zu vereinbaren, nämlich eine Reihenfolge, wann eigentlich was umgesetzt werden kann oder muss.
    Und das Wichtigste, was da immer wieder im Gespräch ist für die ukrainische, wie auch für die russische Seite, ist der Zugang zur Grenze bzw. umgekehrt die Abriegelung der Grenze zwischen der Ukraine und Russland. Jetzt gab es im Nachklapp dieses Treffens am Mittwoch in Berlin eine Äußerung des ukrainischen Außenministers, also Ihres Chefs sozusagen, Pawlo Klimkin, der nämlich gesagt hat, dass die Grenze sofort nach Abhalten der Lokalwahlen dichtgemacht werden muss. Das heißt also, dann erst nach den Wahlen muss gewährleistet sein, dass nicht weiter Waffen und Söldner von russischer Seite in die Ukraine kommen.
    Bei Ihrem Präsidenten, Petro Poroschenko, klingt das ein bisschen anders. Er sagt, er will den Wahlen erst dann zustimmen, wenn die russischen Streitkräfte aus dem besetzten Gebiet abgezogen sind. Das ist eine Formulierung, die man so nirgendwo findet. Jetzt ist es Ihre Aufgabe, Herr Botschafter Andrej Melnyk, zu sagen: Was denn nun?
    Schutz des ukrainischen Staatsgebiets sichern
    Melnyk: Das Minsker Abkommen sieht leider vor, dass die Grenzkontrolle als letzter Punkt quasi erfüllt werden muss, dass die Ukraine nur, nachdem all die vorigen Schritte unternommen sind, erst dann bekommen wir hundertprozentige Kontrolle über diese Grenze. Das trifft zu. Aber was wir verlangen und die beiden Statements sind auch da nicht widersprüchlich in dem Sinne, dass wir schon heute verlangen - das kann nicht sein, dass jetzt kontrollieren wir nicht 400 Kilometer dieser Grenze. Da geschieht alles Mögliche. Der Nachschub für die Truppen dauert ununterbrochen an. Das heißt, was wir schon heute verlangen, ist, dass die OSZE als Beobachtermission schon jetzt den Zugang zu den acht Grenzübergängen bekommt, um einfach da diese Beobachtung vorzunehmen, aber auch, dass die anderen Strecken dieser Grenze von den technischen Mitteln über Drohnen kontrolliert werden.
    Dann können wir schon sicherstellen, dass im Laufe der Vorbereitungen für die Wahlen, dass wir sicherstellen, dass da nicht noch mehr russische Truppen, russische Söldner auf das Gebiet der Ukraine gelangen. Das ist, glauben wir, ein sehr legitimer Wunsch. Die Russen werden nicht erlauben, das sofort an die ukrainischen Grenzbeamten zu übergeben, deswegen so eine Übergangslösung mit der OSZE beobachten, wäre eine gute Option.
    Melnyk: Für Wahlen in dem besetzten Gebiet, in den sogenannten Volksrepubliken, braucht es ein Wahlgesetz. Es braucht ein Gesetz über den Sonderstatus, den dieses Gebiet bekommen soll. Und wir wissen natürlich auch, dass das ukrainische Parlament, die Werchowna Rada, im Moment überhaupt nicht, seit Monaten hinweg schon überhaupt nicht bereit ist, keine Mehrheit zusammenbekommt, um diese beiden Gesetze zu verabschieden. Wie können Sie jetzt gewährleisten, dass wenn ein neuer Fahrplan ausgearbeitet wird für die Umsetzung des Minsker Friedensabkommens, der dann die Abgeordneten, die Deputierten tatsächlich dazu bringt, über ihren Schatten zu springen?
    Forderung nach "bewaffneter OSZE-Polizei-Mission"
    Melnyk: Sie haben recht. Man muss sich fragen, wieso diese Skepsis im Parlament? Und der Grund war und bleibt immer noch sehr einfach. Weil die Sicherheitslage das gar nicht zulässt im Moment. Die parlamentarische Versammlung vom Europarat hat vor Kurzem auch eine Resolution beschlossen, aufgrund der Berichte auch von Marieluise Beck als Reporteurin dort vor Ort. Eine Wahl kann im Moment dort nicht stattfinden, weil die Sicherheitslage das gar nicht erlaubt.
    Zuerst einmal zwei Klarstellungen. Das Gesetz über den Sonderstatus wurde bereits verabschiedet – ist noch nicht in Kraft getreten. Das heißt, da stellt sich nur die Frage, wann dieser Sonderstatus quasi greifen soll – der Zeitpunkt. Und das ist die eine Sache.
    Und die zweite Sache – das Wahlgesetz. Auch darüber wurde ununterbrochen verhandelt. Also wir haben schon eigentlich die Grundzüge dieser Vereinbarung erreicht – im Viererformat muss man auch dazusagen. Nun, das Minsker Abkommen hat viele Lücken. Und eine dieser Lücken war eben die, dass man die Zukunft der heutigen Machthaber in Donezk nicht vorgesehen hat. Das heißt, wir reden über die Wahlen, sprich über die lokalen Wahlen. Da werden Bürgermeister, Stadträte gewählt. Aber die Frage bleibt offen:
    Was geschieht mit den heutigen Machtinhabern, mit Herrn Sachartschenko und Herrn Plotnizki, mit den Regierungen oder "Quasi-Regierungen", die sie aufgebaut haben, mit Innenministerien, die Foltermethoden seit Monaten benutzen? Und das haben auch Sie, der Deutschlandfunk hat dazu viel recherchiert. Deswegen, diese Frage bleibt immer noch offen.
    Die Ukraine muss dann quasi weiterhin diese Gebiete mitfinanzieren. Aber dann, wenn Herr Sachartschenko Folter anwendet, das ist eine Frage, die noch zu klären ist.
    Adler: Der Botschafter der Ukraine in Deutschland, Andrej Melnyk, heute hier bei uns live im Funkhaus in Berlin zum Interview der Woche des Deutschlandfunks.
    Lokalwahlen ohne OSZE-Beobachter nicht möglich
    Herr Melnyk, Sie haben es gerade schon mal angesprochen, das Wort "bewaffnete OSZE-Polizei-Mission". Das ist eine Forderung, die Petro Poroschenko schon sehr häufig erhoben hat. Jetzt in Berlin wurde zumindest vereinbart, dass man die Machbarkeit prüfen muss, sollte, ob diese Mission zustande kommt. Da heißt es sofort, es müssen sich erst mal überhaupt Polizisten finden, die sich dafür bereiterklären. Es müssen 57 Länder zustimmen, die nämlich Mitglieder sind der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa.
    Und – und das ist das Wesentliche und da haben Sie die wichtigen handelnden Personen auch schon genannt – man muss natürlich auch auf Donezker bzw. Lugansker Seite zustimmen, dass diese Beobachtertruppe überhaupt den Zugang bekommt in das besetzte Gebiet. Die erste Reaktion war komplette Ablehnung. Können Sie davon ausgehen, dass man mit einer solchen Polizeimission überhaupt irgendwie vorankommt?
    Melnyk: Da ist auch gerade Deutschland als Vorsitzender in der OSZE noch mehr gefordert, bis zum Ende des Jahres diese Aufgabe auch zu erfüllen. Also wir haben in Hamburg Anfang Dezember ein Ministerialtreffen. Und wir gehen jetzt davon aus, dass als Ergebnis dieses Berliner Treffens, dass man jetzt wirklich sehr zügig vorankommt. Und eine gewisse Vorarbeit wurde bereits geleistet. Das muss man auch sagen. Aber jetzt kommt es darauf an, dass das Ergebnis auch sich sehen lassen muss. Und deswegen - wir hoffen, dass die deutsche Seite alles Notwendige unternimmt, damit wir mit einem Mandat bereits im Dezember rechnen können. Denn wir sind immer wieder gedrängt, diese Lokalwahlen so schnell wie möglich abzuhalten. Aber ohne diese Voraussetzungen wird das kaum möglich sein. Deswegen, diese Mission soll ein wichtiger Bestandteil der gesamten Vorbereitungen sein. Diese Beobachter, die - ohne die Beobachter ist es kaum vorstellbar, dass die Menschen ohne Angst zu den Wahllokalen gehen und ihre Stimme abgeben in dieser Atmosphäre der totalen Einschüchterung, die im Donbass seit zwei Jahren vorherrscht.
    Sanktionen als Druckmittel gegenüber "aggressivem Russland" nötig
    Adler: Wir haben nach dem Treffen in Berlin, unmittelbar danach nach dem Normandie-Treffen einen europäischen Gipfel gehabt, einen EU-Gipfel. Es ging sowohl in Berlin bei den Normandie-Gesprächen bzw. in der Dreierrunde danach mit Präsident Putin, François Holland und der Kanzlerin auch mit um Syrien – ebenso auf dem EU-Gipfel jetzt in Brüssel. Beide Male war sozusagen das Thema "Russland-Ukraine-Syrien" immer im Verbund diskutiert worden.
    In Brüssel hat man sich jetzt noch nicht darauf verständigen können oder wollen, neue Sanktionen gegen Russland wegen Syrien zu verhängen. Wenn Sie das beobachten, Herr Botschafter – es gibt nach wie vor funktionierende Sanktionen gegen Russland wegen des Vorgehens in der Ukraine. Was geht Ihnen da durch den Kopf, wenn das Gleiche jetzt bei Syrien, wo – in Klammern – die Verbrechen wirklich um einiges größer sind? Was geht Ihnen da durch den Kopf?
    Melnyk: Also wir können nicht nachvollziehen, wie das sein kann, dass man sagt, heute - also keine Sanktionen einführen, weil sie nur eine langfristige Wirkung entfalten. Und da wird den Menschen in Aleppo und in Syrien nicht geholfen. "Keine Sanktionen" wäre auch keine Alternative. Denn, wenn überhaupt nichts unternommen wird, wird den Menschen noch weniger geholfen. Und da sehen wir auch leider Parallelen zur Ukraine. Denn dieselben Tendenzen hören wir ab und zu in Deutschland, in Europa: Die Sanktionen in Bezug auf Russland müssen gelockert werden, weil man Russland entgegenkommen muss. Wir hoffen, dass man da bei dieser Frage weiterhin sehr hart bleibt.
    Man hat gesehen in Aleppo, dass die Maske gefallen ist von Putins Antlitz und dieselbe Unehrlichkeit herrscht seit zwei Jahren in Bezug auf die Ostukraine. Und auch keine Bereitschaft, da tatsächlich zu liefern. Deswegen fordern wir auch, dass die Sanktionen, die in Bezug auf die Ostukraine eingeführt wurden, dass sie mindestens also fortgesetzt werden oder womöglich auch verschärft werden können. Denn ohne ein Druckmittel in der Hand wird es überhaupt nicht möglich sein, dieses heutige aggressive Russland zum Einlenken zu bewegen.
    "Vieles, was auf dem Majdan gefordert wurde, ist bereits umgesetzt"
    Adler: Herr Botschafter Melnyk, wir nähern uns dem November. Im November vor drei Jahren hat der damalige Präsident Viktor Janukowytsch seine Unterschrift unter das Assoziierungsabkommen mit der Europäischen Union verweigert. Das hat die Proteste ausgelöst, die Proteste auf dem Majdan. Wenn wir eine Bilanz ziehen, wir haben jetzt nicht so wahnsinnig viel Zeit, aber eine kurze Bilanz versuchen zu ziehen: Wie sieht die Ukraine heute gegenüber der von vor drei Jahren aus? Wenn Sie das kurz in Stichpunkten mal machen würden.
    Melnyk: Also erstens: Wir haben eine pulsierende Zivilgesellschaft und die ist auch die beste Garantie dafür, dass keine Regierung, keine Staatsführung jetzt sich etwas erlauben kann, wie das zu Zeiten von Janukowytsch noch möglich war. Wir haben schon viele Reformen eingeleitet. Vieles, was auf dem Majdan gefordert wurde, ist bereits jetzt umgesetzt worden, in Bezug auf die Offenheit der Staatsbeamten, der Politiker.
    Und das Einzige ist eben das Assoziierungsabkommen. Das war der Auslöser der Proteste auf dem Majdan. Heute sind wir in einer Situation, wo wir einseitig dieses Abkommen erfüllen. Aber auf der europäischen Seite ist es leider so, dass dieser wichtige Vertrag noch nicht in Kraft getreten ist, weil die Niederlande sich weigern, dieses Abkommen zu ratifizieren. Das ist natürlich kein gutes Signal für uns. Wir hoffen, dass die EU da eine Lösung finden kann. Wir werden weiterhin diesen Weg der Reformen und der Annäherung an die EU unbeirrt weiterverfolgen. Das wäre auch die beste Antwort auf die Wünsche der Menschen auf dem Majdan.
    "Das Gehalt eines normalen Beamten beträgt 150 Euro"
    Adler: Das größte Problem nach wie vor wird von EU-Seite darin gesehen, dass die Ukraine leider in der Korruptionsbekämpfung nicht so vorangekommen ist, wie sie muss. Ganz oben auf der Liste, oben an der ersten Stelle der Liste wird in der Ukraine immer wieder der Präsident Petro Poroschenko genannt. Ist die Ukraine da, in diesem Punkt der Korruptionsbekämpfung nicht wirklich weiter als vor drei Jahren?
    Melnyk: Nein, das glaube ich nicht. Also wir haben notwendige Institute geschaffen, um die Korruption sowohl zu bekämpfen als auch zu verhindern. Vor einigen Tagen war hier eine Delegation aus dem sogenannten Antikorruptionsbüro. Da sind jetzt über 170 Ermittler – junge Menschen, 30 Jahre alt mit einem Gehalt von über 1.000 Euro monatlich mindestens. Also ein Gehalt eines normalen Beamten beträgt so 150 Euro. Und diese Menschen, die sind berufen, die sind ausgewählt worden in einem offenen Auswahlverfahren, um eben dann wirklich ohne Wenn und Aber gegen die Korruptionsfälle, die sie sehen, auch vorzugehen. Deswegen, ich glaube, wir sind auf einem richtigen Weg. Es ist noch viel zu tun, aber der politische Wille ist vorhanden und die notwendigen Instrumente wurden dazu auch geschaffen.
    Adler: In der Ukraine ist eine neue nationalistische Partei gegründet worden, die sogenannte "Nationaler Corpus". Ist das auch die Zeit, wenn ein Land Krieg führt, dass es eine Zunahme von nationalistischen Bewegungen und Parteien gibt?
    Melnyk: Also wir sind ein demokratisches Land. Und jede Partei, die gegründet wird, hat Recht zu existieren, solange sie die Verfassung und die Gesetze befolgt. Wir sehen da keine große Gefahr für einen breiten Nationalismus im Land. Es gibt keinen Nährboden dazu. Wir glauben, dass der Staat jetzt robust genug ist, um möglichen Gefahren, die da entstehen könnten, auch um diese Gefahren zu bekämpfen.
    Ich glaube nicht, dass die Frage des Nationalismus, so, wie sie hier in Deutschland ab und zu gestellt wird, dass sie eine Gefahr für die demokratischen Umstände in unserem Land darstellt.
    Adler: Herr Botschafter Andrej Melnyk, vielen Dank für Ihr Kommen hier live zum Gespräch, zum Interview der Woche im Deutschlandfunk. Ich danke Ihnen sehr für das Gespräch.
    Melnyk: Danke für die Einladung.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.