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Boxen
Ein Fernseher für den Sieger

Kaum ein anderes Land der Welt hat so viele Goldmedaillen erboxt wie Kuba - nur die USA. Doch Kubas Boxmythos bröckelt: Viele Athleten kehren von internationalen Wettkämpfen nicht mehr in ihre Heimat zurück. Kuba versucht daher, erfolgreiche Sportler mit Privilegien zu halten.

Von Wiebke Keuneke | 05.04.2014
    "Er ist der beste, den wir zur Zeit haben. Er hat alle Titel: Olympiasieger, Weltmeister, Panamerikameister. Guck, wie er arbeitet, der andere taumelt schon... er macht ihn richtig fertig.“
    Stolz zeigt der Trainer Rolando Acebal auf seinen Musterschüler. 25 Jahre alt ist der Halbweltergewichtler. Er heißt Roniel Iglesias.
    "Nein, ich fühle mich nicht wie ein Nationalheld. Eher wie ein Sportler, der seinen Traum lebt mit dem was er macht. Wir Kubaner kämpfen nicht für die Resultate.“
    Dabei bescheren die ihm ein angenehmes Leben auf Kuba. Denn wer Medaillen für Kuba gewinnt, dem schenkt die Regierung ein Auto - und für sein Olympia-Gold in London 2012 bekommt Iglesias umgerechnet 200 Euro monatlich. Ein Leben lang. Das ist das Zehnfache des kubanischen Durchschnittslohns. Und der Versuch der Castro-Regierung, die Boxer taub zu machen gegen den Lockruf des Kapitalismus. Entgegen anderer Meldungen ist es den Faustkämpfern des Karibikstaates immer noch verboten, internationale Verträge abzuschließen. Für Super-Talente wie Iglesias muss das hart sein, aber darauf angesprochen, hebt der zigfache Champion beschwichtigend die Hände - und geht in Deckung.
    "Nein, wir sind nicht daran interessiert Verträge mit anderen Ländern oder ähnlichem abzuschließen.“
    Ein Boxer weiß eben, wann er sich wegducken muss. Vielleicht hat diese Antwort auch etwas mit der Dame zu tun, die den Vorzeigeboxer auf Schritt und Tritt begleitet. Die Dame heißt Nersis Santana und ist die Direktorin des Boxkaders. Sie steht auf einem Balkon mit Blick auf die Mangobäume und zeigt durch das Fenster: erst auf den Fernseher und dann auf die Klimaanlage.
    "Die Wohnsituation orientiert sich an den sportlichen Resultaten. In diesen Einzimmerwohnungen hier oben schlafen die Medaillengewinner. Unten im Keller gibt es einen Schlafsaal für den Rest. Wer verliert, muss wieder nach unten ziehen. Es ist ein Wettbewerb, um die Athleten anzuspornen. Verstehst Du?“
    Wer verliert, schläft im Keller
    Klar: Auslese durch Leistung - gehüllt in einen sozialistischen Deckmantel. Das Prinzip ist einfach: Wer gewinnt, lebt besser. Medaillengewinner bekommen neben einer Portion Fleisch nicht nur den alltäglichen Reis und die ewigen Bohnen, sondern zusätzliche Beilagen. Serviert im eigenen Speisesaal, getrennt von den anderen. All das kann sich natürlich jederzeit ändern. Also: Bloß nicht verlieren.
    Staatsführer Fidel Castro hatte bereits 1961 den Profisport verboten: Millionengagen und Werbeverträge passten nicht zur sozialistischen Idee. Seit sein Bruder Raul 2008 die Macht übernommen hat, wurde das System zwar offiziell gelockert, aber wenn die Aufpasser des Staates beim Interview mithören, widerstehen Athleten wie Iglesias natürlich voller Überzeugung der Verlockung Profisport:
    "Bis jetzt hat noch niemand von uns daran gedacht - in drei Runden kann man als Boxer genauso gut zeigen, was man kann, es muss nicht sein, dass wir bei den Profi-Boxern mitkämpfen, weil bei den Profis die Boxhandschuhe sehr schwer sind, das ist sehr grausam für den Menschen.“
    Die Erklärung nimmt man dem durchtrainierten Olympiasieger nicht ganz ab - aber Tänzeln und Ausweichen, das beherrscht er eben. Iglesias spielt darauf an, dass der Staat sich nicht durchringen kann, den Profi-Sport ganz zuzulassen. Immerhin: Die Kubaner boxen seit kurzem in einer semiprofessionellen Liga. Mit etwas anderen Regeln als im reinen Amateur-Kampf: Fünf Runden statt drei. Ohne Kopfschutz - und die Punktrichter werten nicht mehr pro Treffer, sondern am Ende jeder Runde - wie bei den Profis eben. Nur ohne die hohen Gagen.
    Nur semiprofessionell
    Eine Reform - weniger aus Überzeugung, sondern aus der Not geboren: Denn bei Olympia 2016 in Rio de Janeiro dürfen zum ersten Mal Profis in den Ring steigen, der Amateurbox-Weltverband hat deswegen eine halbprofessionelle Liga gegründet. Und nur wer da mitmacht, darf auch bei Olympia dabei sein. Aber echte Profi-Boxer - die gibt es auf Kuba nicht, das ist dem Trainer Ronaldo Acebal wichtig.
    "Nein, es ist kein Beruf. Alle hier müssen nebenbei zur Universität gehen und studieren. Das ist eine Bedingung. Wer nicht studiert, darf hier nicht sein. Weil wenn sie mit dem Boxen aufhören, wohin gehen sie dann?"
    Vielleicht dahin, wo die fünf kubanischen Boxer jetzt sind, die nach den Olympischen Spielen 2008 in Peking nicht mehr wieder gekommen sind? In der semiprofessionellen Liga haben die kubanischen Boxer jetzt die Möglichkeit bis zu 2.000 Euro Prämiengelder zu gewinnen. Viel für Kubaner, aber ein Witz im Vergleich zu dem, was sie als Profiboxer rund um den Globus verdienen könnten. Sogar die vom Staat eingesetzte Sportdirektorin Nersis Santana weiß nicht, ob das die Athleten davon abhalten kann, Kuba zu verlassen. Aber sie baut auf die Kraft des Patriotismus.
    "Nein, wir verurteilen sie nicht. Wir achten hier darauf, unsere Athleten politisch und ideologisch auszubilden. Die Werte des Vaterlandes sind fundamentaler als Geld oder sonst irgendwas. Ich denke, die Athleten sollten sportliche Resultate erzielen und die Dinge tun, die ein Athlet zu tun hat. Dann kommen sie auch nicht auf den Gedanken, das Vaterland zu betrügen.“
    Die Aussicht auf mehr Geld und ein Leben mit Privilegien soll den Boxmythos Kubas jetzt retten - ist das nicht auch ein Verrat am sozialistischen Vaterland?
    Der Boxer Roniel Iglesias hat zu all dem keine Meinung. Oder: Er ist klug genug, sie nicht öffentlich zu äußern. Stattdessen steigt der Champion in den Ring - hier muss er sich heute nicht wegducken.