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Boykott des Internationalen Strafgerichtshofs
"Kein Staat wird sich auf Dauer entziehen können"

Russland, die USA und mehrere afrikanische Staaten haben ihre Zusammenarbeit mit dem Internationalen Strafgerichtshof aufgekündigt. Der Völkerrechtler Hans-Joachim Heintze hält den Gerichtshof für alternativlos. "Verstöße gegen das Völkerrecht müssen abgestraft werden, um eine solide Zukunft zu schaffen", sagte er im DLF.

Hans-Joachim Heintze im Gespräch mit Daniel Heinrich | 17.11.2016
    Das Gebäude des Internationalen Strafgerichtshofs in Den Haag
    Das Gebäude des Internationalen Strafgerichtshofs in Den Haag (dpa / picture alliance / ANP)
    Daniel Heinrich: Am Telefon ist der Völkerrechtler Hans-Joachim Heintze von der Ruhr-Universität Bochum. Herr Heintze, als "Gewissen der Welt" ist das Weltstrafgericht bezeichnet worden. Übernehmen jetzt die Gewissenlosen?
    Hans-Joachim Heintze: Nein! Man muss sagen, der Strafgerichtshof wurde geschaffen, um schwere Verbrechen gegen das Völkerrecht abzustrafen, und leider sind nicht alle Staaten dieser Welt Mitglied in dem Statut. Das Statut ist ein völkerrechtlicher Vertrag, den die Staaten ratifizieren können oder auch nicht, und es bedarf einer innerstaatlichen Vorbereitung, ein solches Statut zu ratifizieren, und deshalb haben einige Staaten Schwierigkeiten, das zu tun. Andere Staaten wollen das nicht tun. Aber der Strafgerichtshof existiert und damit strahlt er aus auf die Staatengemeinschaft. Sie wissen, hier ist eine Verpflichtung begründet worden, der sie sich auf Dauer nicht entziehen können.
    Heinrich: Sie schneiden es an: Im Zentrum soll die Bekämpfung von Kriegsverbrechen stehen. Aber zentrale Player, formuliere ich es jetzt mal so, wie die USA, China, Israel sind keine Mitglieder. Russland hat zwar den Gründungsvertrag unterschrieben, aber nicht ratifiziert. Wieviel Wert hat eigentlich ein Gericht ohne solche Akteure?
    Heintze: Natürlich wird ein Gericht dadurch etwas entwertet. Aber vergessen Sie nicht: Diese ganze Situation ist wie ein Entwicklungsprozess. Ich meine, wir dürfen nicht verkennen: Der Auftrag zur Schaffung dieses Gerichts wurde vor mehr als 60 Jahren gegeben mit der Schaffung der Völkermord-Konvention 1948. Und es bedarf im Völkerrecht langer Zeiträume, um solche Instanzen ins Werk zu setzen. Schließlich haben wir es zu tun mit souveränen Staaten und es gibt keinen internationalen Rechtssetzer. Die Staaten können sich nur freiwillig verpflichten, einer solchen Institution beizutreten, und dazu bedarf es eines politischen, aber auch eines Druckes der öffentlichen Meinung, und von der Seite her bin ich nach wie vor relativ optimistisch, dass man sich auf Dauer einem solchen Strafgerichtshof nicht entziehen kann.
    "Gegen die USA ermittelt man, weil Afghanistan ein Mitgliedsstaat ist"
    Heinrich: Herr Heintze, helfen Sie mir bei einer Sache. Inzwischen wird auch gegen die USA aufgrund des Afghanistan-Einsatzes ermittelt, auch gegen Russland. Wieviel Sinn macht das, wenn die beiden Staaten sowieso nicht dabei sind?
    Heintze: Na ja, es macht schon Sinn, weil gegen die USA ermittelt man, weil Afghanistan ein Mitgliedsstaat ist und die Verbrechen der USA oder die vorgeblichen Verbrechen der USA wurden in Afghanistan begangen. Folglich kann sich der Strafgerichtshof beschäftigen mit solchen Ereignissen. Der Strafgerichtshof beschäftigt sich auch mit dem Verhalten Großbritanniens im Irak-Krieg und von der Seite sieht man, es wird schon ein gewisser Druck aufgebaut auch auf die Großmächte, die sich versuchen, die sich bislang noch versuchen, einem solchen Gerichtshof zu entziehen.
    Heinrich: Wie entzieht man sich der Vermutung, dass denen das nicht einfach egal ist?
    Heintze: Nein, es ist denen nicht egal, denn Staaten sind an ihrer Reputation interessiert. Sie müssen sich rechtfertigen für ihr Verhalten. Schließlich: Jedes Jahr haben wir eine Generaldebatte in den Vereinten Nationen und das setzt schon auch Großmächte unter Druck, ihr Verhalten zu erklären. Und natürlich: Bei Großmächten ist es wie mit allen Rechtssubjekten, die etwas größer sind als andere Rechtssubjekte. Es ist schwer, die in ein Rechtssystem einzubetten, wo Hunderte von kleinen Staaten schon Mitglied sind, und dann sagen die großen, ja warum soll ich mich diesem Druck unterwerfen. Die Antwort ist, die öffentliche Meinung erzeugt diesen Druck. Aber man muss sich zu etwas verpflichten und Großmächte sind etwas behäbiger, wenn sie sich verpflichten sollen.
    Heinrich: Es geht nicht nur um Großmächte. Aus Südafrika beispielsweise kommen Vorwürfe, der Gerichtshof sei rassistisch. Gambia und Burundi, die sind schon ausgetreten.
    Heintze: Ja!
    Heinrich: Woher kommt denn der Ärger aus den afrikanischen Ländern?
    Heintze: Na ja, es ist schon ein Eindruck entstanden, dass sich der Gerichtshof vorrangig mit afrikanischen Ländern beschäftigt.
    "Russland hat die Unterschrift zurückgezogen, weil sich der Gerichtshof mit dem russischen Verhalten in der Ukraine beschäftigt hat"
    Heinrich: Warum hat er das getan?
    Heintze: Na ja, weil leider es so ist, dass in Afrika schwerwiegende Verbrechen begangen wurden und die Bereitschaft der afrikanischen Staaten, sich dem Gerichtshof zu unterwerfen, war wesentlich größer entwickelt als bei anderen Staaten. Aber es stimmt ja, dass leider diese Verbrechen begangen wurden, und der Gerichtshof muss sich damit befassen. Aber der Gerichtshof befasst sich auch mit englischen Verbrechen im Irak, er befasst sich auch mit amerikanischen Verbrechen in Afghanistan. Der Eindruck ist etwas schief. Er ist dadurch entstanden, dass der Gerichtshof anfänglich sich sehr stark mit diesen afrikanischen Staaten beschäftigt hat. Und es gibt ja auch die ersten Verurteilungen, die sich auch auf afrikanische Staaten beziehen. Aber das ist ein Anfangsproblem. Jetzt wagt sich der Gerichtshof auch an größere Staaten heran, siehe beispielsweise Russland. Russland hat die Unterschrift zurückgezogen unter den Vertrag, weil sich der Gerichtshof mit dem russischen Verhalten in der Ukraine beschäftigt hat. Nun kann man sagen, die Ukraine ist auch nicht Mitglied des Statutes, aber die Ukraine hat als souveräner Staat erklärt, dass sie die Gerichtsbarkeit des Gerichtshofs anerkennt. Folglich konnte man sich mit den Verbrechen in der Ukraine beschäftigen und man hat dann festgestellt, ja, es gibt einen starken Verdacht, dass Russland dort Verbrechen begangen hat. Jetzt muss man auch sagen, es geht nicht um Verbrechen, die Russland begangen hat, sondern es geht darum, dass verantwortliche russische Offiziere während des Einsatzes in der Ukraine Verbrechen begangen haben, Verbrechen gegen das Völkerrecht begangen haben, und Verbrechen gegen das Völkerrecht können abgestraft werden durch das Strafgericht - allerdings nur dann, wenn die nationale Gerichtsbarkeit nicht willig oder nicht in der Lage ist, sich mit diesen Verbrechen zu beschäftigen. Es ist eine ergänzende Gerichtsbarkeit, wenn die nationale Gerichtsbarkeit versagt. Das darf man nicht vergessen und man beschäftigt sich nur mit Menschen. Man beschäftigt sich nicht mit Staaten und das ist ein Prozess, der so relativ neu ist.
    "Die westlichen Staaten müssen diesem Prozess vorneweg gehen"
    Heinrich: Herr Heintze, kurz zum Schluss vor dem Hintergrund dieser jüngsten Ereignisse. Der Strafgerichtshof hat noch nicht mal seinen 15. Geburtstag gefeiert. Wird er die Volljährigkeit schaffen?
    Heintze: Natürlich! - Natürlich! - Man darf sich jetzt nicht wirre machen lassen, dass Staaten austreten. Immerhin haben die Amerikaner das vorgemacht, indem sie auch ihre Unterschrift zurückgezogen haben. Aber ich bin ganz sicher, wir haben uns jetzt an den Gedanken gewöhnt, dass so schwere völkerrechtliche Verbrechen abgestraft werden müssen. Sie müssen abgestraft werden, um eine solide Zukunft zu schaffen. Der Gedanke ist da und dieser Gedanke ist überzeugend. Dieser Gedanke ist wichtig und darum bin ich ganz sicher, dass man sich diesem Gedanken auf die Dauer nicht entziehen kann. Kein Staat wird sich auf die Dauer dem entziehen können. Aber man muss sagen, die westlichen Staaten als Rechtsstaaten, die müssen diesem Prozess vorneweg gehen. Sie müssen als Beispiel wirken auf Staaten, die noch zögerlich sind. Darum ist es gut, dass immerhin Großbritannien, Frankreich und Deutschland dieses Statut ratifiziert haben. Das erzeugt einen gewissen Druck auf die öffentliche Meinung.
    Heinrich: Das sagt, denkt und appelliert Hans-Joachim Heintze, Professor für Völkerrecht an der Ruhr-Universität Bochum. Herr Heintze, vielen Dank für das Gespräch.
    Heintze: Bitte, bitte!
    //Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu