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Brachiale Suada

Einem erfolgsverwöhnten Werbetexter Mitte 30 wird von seinem Chef ein Stellvertreter zur Seite gestellt. Ein Schlag ins Gesicht für den smarten Marcus Wennmann - sein Leben gerät außer Kontrolle. Der auf Diktiergerät gesprochene Monolog ist Lebensbeichte, Abrechnung und Hilferuf zugleich. In nur 50 atemlosen Minuten wird aus dem Konsumbejubler ohne tieferen Lebenssinn ein beklagenswerter Verlierer - in dem Hörstück "helden: tot" von Stefan Sprang.

Von Florian Felix Weyh | 21.02.2008
    "Liebe", ein Wertversprechen, Substantiv, starkes Gefühl der Zuneigung, zum Beispiel so einzusetzen: "Mit Liebe gebaut - mit Freude gefahren". Oder so, in einem klassischen Wenn-Satz ... "Wenn die Liebe plötzlich da ist, braucht sie ein Heim. Deshalb vorsorgen."

    Wer so spricht, muss ein Profi sein, ein Mann des lexikalischen Sprachgebrauchs, ein differenzierter Könner seines Metiers:

    "Gekonnt", ein Eigenschafts- und Tätigkeitsversprechen. Siehe Wörterbuch der Werbesprache. Gekonnt gleich: mit Bravour, gelernt ist gelernt, geschult, schulmäßig, nach allen Regeln der Kunst - "Gekonnt" ist geeignet in Verbindung mit einem weiteren Eigenschafts- und Tätigkeitsversprechen. Hier ein Beispiel: "Gekonnt gewebt und zeitlos schön." Teppiche von Qualle."

    Marcus Wennmann heißt diese Formulierungskapazität, Werbetexter in einer Agentur, Kind seiner Zeit und seiner Branche, Mitte dreißig vielleicht, damit im Zenit des beruflichen Erfolgs stehend. Wäre da nicht ... ja wäre da nicht jenes Meeting, bei dem sich die Koordinaten seines Lebens entscheidend verschieben:

    "Ich höre das Leiern der Stimmen, der Produktlaunch blabla erfolgt blabla plangemäß, alle Maßnahmen sind blabla getroffen, der Kopierer nervt. Undsoweiter undsoweiter, weiter zu Punkt sechs: Ich schaue in das weiche, breite Gesicht meines Chefs. Ich sehe einen Höllenhund, eine Chefhyäne, die bleckt die Zähne und tut kund: Die Abteilung Marketing Strategies Schrägstrich Product Development wird verstärkt. Wird verstärkt. Und das Wort prallt ab von den Wänden, ein Echo, ein Rückprall aus den Ecken, von den Wänden mit moderner Kunst dran. Das Wort schleudert herum, lastet mein System aus, "schwerer Ausnahmefehler". Verstärkt wird, was brüchig ist, was zu stürzen droht, was zu schwach ist. Ein Fußballteam im Abstiegskampf. Verstärkung verordnet man uns, als ob wir schwächelten, ein Team sabbernder Greise mit kreativem Tatterich. Gebisslos und beißgehemmt. Wir verpassen euch Doppelherz, einen Schrittmacher, der euch Beine macht. Ich habe entschieden, sagt die Chefhyäne, dass Marcus Wennmann"

    ... entlassen wird? Nein, so schlimm kommt es zum Glück nicht sofort, aber irgendwann doch. Denn Wennmann, dessen auf Diktiergerät gesprochenem Monolog - Lebensbeichte, Abrechnung und Hilferuf zugleich - wir 50 atemlose Minuten lang lauschen, wird ein neuen Mitarbeiter zugesellt:

    "Ich sehe ihn vor mir, wie er noch eine Brille trägt, aber er hat sich die Augen lasern lassen. Er will keine Schwäche offenbaren, will seine Hochglanz-Fresse nicht entstellen, mag die Brillenmode noch so cool sein. Ich rieche das Salz der Erfahrung, das an ihm klebt. Er ist gesegelt auf allen sieben Weltmärkten. Er hat den Adelsbrief der Harvard-Business-School: "Master of the Universe" und einen Diamantstecker im Ohr. (...) Er weiß was junge Frauen wünschen: von Nordnorwegen bis Südaustralien. Ein Global Player. Mein neuer Stellvertreter. Mein Scharfrichter."

    Für Wennmann ist alles vorbei. Seine Existenz als euphorischer Konsumbejubler ohne tieferen Lebenssinn kracht zusammen, sein aufgeblähtes Ego muss vor dem noch aufgeblähteren Sendungsbewusstsein eines Konkurrenten kapitulieren. Das schmerzt, und so lädt Wennmann in einer brachialen Suada, die zwischen Hohn und Zynismus, Pathos und Ironie abrupt hin- und herwechselt, alle Verletzungen seines Lebens vor dem imaginären Zuhörer aus, dem Talkshowmoderator Beckmann. Dem nämlich will er verkaufen, dass er, Wennmann, unbedingt das Zeug zum Helden besitzt, in der Art eines Selbstmordattentäters, mindestens. Doch braucht man dazu nicht ein eisernes Nervenkostüm? Dummerweise hat Wennmann ein psychophysisches Problem, das ihm schon auf der Arbeit mächtig zu schaffen machte. Er rülpst, wenn es hektisch wird.

    "Ach diese verfickte Luftschluckerei! Nervöses Leiden. Was für ein Desaster. Ein Held schluckt keine Luft, ein Held ist ein Held ist ein Held. Kein Luftfresser. Ruhig mein Junge, ruhig."

    Andreas Fröhlich liest Wennmann, diesen Mann ohne Wenn und Aber nicht einfach nur, nein er ist der beklagenswerte Verlierer mit jeder Stimmbandfaser. "helden: tot" von Stefan Sprang (Autor) und Kai Schwind (Regie) zeigt als kleine Independent-Produktion, was ein Hörbuch als originäres Genre zu leisten vermag. Hier wird Papier zum Klingen gebracht, der Grenzgang zwischen Hörspiel, Hörbuch und Theatermonolog erprobt. Zum Schluss läuft alles auf Wennmanns ultimativen Sprung ins Nichts hinaus, doch Autor Sprang lässt sich von der eigenen Dramaturgie keineswegs treiben:

    "Sie warten? Worauf? Ach ein Finale! Sie kriegen ein Finale ... Ich habe ja auch noch einen letzten Lehrsatz: "Es wird im Leben dir mehr genommen als gegeben. Ja, das ist so im Leben eben, das merke dir."

    (Abspann Joseph Schmidt singt)

    "helden: tot" von Stefan Sprang
    Gesprochen von Andreas Fröhlich
    Mischmut, im Vertrieb der Geophon, 50 Min.