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Brain Gain: der Anthropologe Svante Pääbo
Dem Erbgut des Neandertalers auf der Spur

Der nächste evolutionäre Verwandte des modernen Menschen faszinierte ihn schon immer: Vor mehr als 20 Jahren begann Svante Pääbo den Neandertaler zu untersuchen. Schließlich gelang es dem Forscher, aus Gewebeproben der ausgestorbenen Menschenart DNA zu isolieren.

Von Christine Westerhaus | 22.08.2018
Pionier der Paläogenetik: der schwedische Wissenschaftler Svante Pääbo mit der Kopie eines Neandertalerskeletts in seinem Büro am MPI für Evolutionäre Anthropologie, Leipzig
Pionier der Paläogenetik: der schwedische Wissenschaftler Svante Pääbo mit der Kopie eines Neandertalerskeletts in seinem Büro am MPI für Evolutionäre Anthropologie, Leipzig (Deutschlandradio / Christine Westerhaus)
Wer das Arbeitszimmer von Svante Pääbo betritt, wird direkt neben der einladenden Sofaecke von einem menschlichen Skelett begrüßt. Fast möchte man ihm die Hand reichen. Doch die ist abgefallen und liegt jetzt auf dem Tisch.
"Das ist die Kopie von einer Neandertalerhand, die von einem Skelett kommt, was da steht. Und das ist eigentlich mein Sohn, der das Ding kaputt gemacht hat, sodass die Hand jetzt nicht mehr am Skelett hängt."
Vermutlich gibt es keinen anderen Wissenschaftler, der den Neandertaler so in- und auswendig kennt, wie Svante Pääbo. Schon vor mehr als 20 Jahren begann der Sohn des schwedischen Nobelpreisträgers Sune Bergström, die Erbsubstanz dieser ausgestorbenen Menschenart zu analysieren.
"Es war eigentlich immer so ein großer Traum, den Neandertaler näher zu untersuchen. Die Neandertaler waren unsere nächsten evolutionären Verwandten. So es ist sozusagen klar, dass - wenn man feststellen will, was aus biologischer oder genetischer Sicht den modernen Menschen einzigartig macht -, dann müssen wir uns mit dem Neandertaler vergleichen."
Auf den Neandertaler ist Pääbo jedoch eher auf Umwegen gekommen. Zunächst galt seine Leidenschaft ägyptischen Mumien.
"Ich hatte sozusagen einen romantischen Traum als Kind, irgendwann Archäologe oder Ägyptologe zu werden. Und ich habe auch angefangen, Ägyptologie an der Uni zu studieren und wurde dann enttäuscht. Es war viel zu langweilig. Dann hatte ich keine Ahnung, was ich tun soll, und habe dann Medizin studiert, vielleicht weil mein Vater Mediziner war und man kriegt dann einen Job. Aber irgendwie wusste ich dann: Es gibt Hunderte und Tausende von Mumien in den Museen. Und als ich dann Molekularbiologie gelernt habe, habe ich dann gesagt: Ich sollte versuchen, DNA zu gewinnen von den Mumien."

Erbmaterial einer 2.400 Jahre alten Mumie isoliert

1984 gelang es Svante Pääbo in Uppsala tatsächlich, unterm Mikroskop Erbmaterial aus einer 2.400 Jahre alten Mumie zu isolieren. Auch wenn die DNA möglicherweise eine Verunreinigung war: Sein Ehrgeiz war geweckt und er versuchte, auch aus den Fossilien ausgestorbener Tierarten DNA zu extrahieren. Weil das ambitioniert und wegweisend war, ernannte die LMU München den Schweden 1990 zum Professor für Allgemeine Biologie. Als es ihm dort erstmals gelang, DNA aus Fossilien zu gewinnen, wagte er sich an den Neandertaler: Doch immer wieder waren die Erbgutschnipsel verunreinigt, die der Paläogenetiker aus den Gewebeproben der Frühmenschen isolierte. In jahrelanger Arbeit verfeinerte er die Prozessschritte, bis Mitte der 1990er-Jahre endlich der Durchbruch gelang.
"Also die größten Emotionen kamen eigentlich 1996, als wir die ersten Neandertaler-Sequenzen bekommen haben. Und da haben wir sofort erkannt: Das waren menschenähnliche, aber nicht identisch mit den jetzt lebenden Menschen. Das war schon ein großes Gefühl. Das war dann spät in der Nacht im Labor. Wir haben tatsächlich Wein getrunken oder Sekt getrunken, im Kühlschrank geklaut von jemandem, und ich konnte gar nicht mein Auto nach Hause fahren. Und solche Momente kommen dann und man erinnert sich an sie. Vielleicht auch gerade, weil es auch viel frustriert. Es gibt so viel mehr Momente, wo man Frust miteinander teilt als das Gefühl von Erfolg von einer neuen Einsicht, die entsteht."
Kurz nach diesem Meilenstein der Paläogenetik wurde Svante Pääbo Gründungsdirekter des Max-Planck-Instituts für Evolutionäre Anthropologie. Das war 1997.
"Es war natürlich eine einzigartige Chance, die wir bekommen haben, ein neues Institut zu gründen hier in Leipzig. Und ich erinnere mich, wenn wir uns getroffen haben mit dem Präsidenten der Max-Planck-Gesellschaft in München, dann habe ich die anderen mitgenommen auf den Hirschberg, bei Tegernsee. In der Nacht sind wir da hoch gestiegen und haben uns die Landschaft im Mondlicht angesehen und fantasiert darüber, was wir dann machen konnten."

Neandertaler und moderner Mensch zeugten Kinder

Inzwischen gilt das Leipziger Max-Planck-Institut als weltweit führend bei der Erforschung der Geschichte der menschlichen Entwicklung. Und im "Allerheiligsten", wie der Gründungsdirektor sein Reinraumlabor nennt, sind in den vergangenen Jahren schon viele Geheimnisse gelüftet worden: Dass der Neandertaler und der moderne Mensch gemeinsame Kinder gezeugt haben beispielsweise - die Spuren dieser prähistorischen Dates sind noch heute in unserem Genom ablesbar. Die Paläogenetiker in Leipzig suchen aber auch nach genetischen Unterschieden zwischen modernem Mensch und Neandertaler, um zu verstehen, warum der eine bis heute überlebt hat, der andere jedoch nicht.
"Diese Kategorie von Veränderungen interessiert uns sehr, weil wir hoffen, dass sich darunter vielleicht wichtige verstecken, die die moderne menschliche Geschichte, wenn man so will, möglich gemacht haben. Die es möglich gemacht haben, dass wir, die modernen Menschen und nicht die Neandertaler, nicht andere Menschenformen, Technologie und Kultur entwickelt haben, die das erlaubt haben, Millionen und Milliarden von Individuen zu werden und die ganze Welt zu besiedeln. Einige von diesen Veränderungen funktionell zu verstehen, wäre toll. Aber das ist so ein Programm für die nächsten fünf Jahre, wenn nicht zehn Jahre."
Wie schon zu Beginn seiner Karriere lässt sich der inzwischen 63-jährige Pääbo noch immer von seiner Neugier treiben. Trotz seines enormen Erfolgs ist er auf dem Teppich geblieben – auch als ihn vor zwei Jahren das schwedische Königspaar besuchte, begleitet von 40 motorisierten Polizisten und unter strengen Sicherheitsvorkehrungen. Seine schwedischen Holzschuhe und die geliebten Outdoorklamotten wird er an diesem Tag zwar ausnahmsweise zuhause gelassen haben. Doch ansonsten ist er sich und seinen schwedischen Wurzeln treu geblieben: Auf dem Dach des Instituts ließ er eine Sauna errichten und in der Eingangshalle eine vier Meter hohe Kletterwand. Für kreative Afterwork-Meetings mit seinen Mitarbeitern. Sein Arbeitgeber, die Max-Planck-Gesellschaft, erfüllte ihm seine extravaganten Wünsche. Wer einen Weltstar der Wissenschaft halten will, muss ihm eben auch etwas bieten.