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Braindrain in Spanien

Vom harten Sparkurs in Spanien sind auch Bildung und Wissenschaft betroffen. So sehr, dass ein Wandel hin zu einer durch technologischen Fortschritt wettbewerbsfähigen Wirtschaft unmöglich wird, meinen Kritiker. Junge Wissenschaftler verlassen in Scharen das Land.

Von Hans-Günter Kellner | 21.10.2013
    Amaya Moro-Martín sitzt mal wieder auf gepackten Koffern. Die US-Weltraumbehörde NASA hat ihr eine Stelle angeboten. Eigentlich eine gute Nachricht. Doch die Astrophysikerin hat das Angebot nur zähneknirschend angenommen.

    "Ich habe hier in Madrid studiert und bin dann in die USA für die Promotion. Ich war in Arizona, in Colorado und in Princeton. Dann gab es ein Rückholprogramm für im Ausland lebende Wissenschaftler. Die Zusage war: Nach einem Fünfjahresvertrag würden uns neue Stellen angeboten. Aber davon will jetzt niemand mehr etwas wissen. In der Forschung wird genauso hart gekürzt wie im Rest des öffentlichen Diensts."


    Eigentlich hatte sie auf eine neue Stelle beim spanischen Wissenschaftsrat CSIC gehofft. Dort wollte sie ihre Forschungsarbeiten über außerhalb der Milchstraße liegende Planetensysteme unbedingt fortsetzen. Doch aus dem Rückholprogramm für im Ausland lebende Forscher gab es vor zehn Jahren noch 800 Verträge für junge Wissenschaftler. Jetzt sind es noch 175, klagen die Betroffenen. Mit einer Zukunft im Ausland rechnet darum auch der Biologe José Manuel Fernández, der derzeit noch in Madrid nach Möglichkeiten zur Wiedergewinnung degradierter landwirtschaftlicher Flächen forscht und auch vor drei Jahren aus den USA nach Spanien zurückgekommen war.


    "Ich habe Angst um meine Zukunft. Es wird immer schwieriger. Als ich zurückkam, wollte ich hier meinen Lebensmittelpunkt aufbauen. Ich wollte dem Land das zurückgeben, was es in mich investiert hatte. Jetzt sehe ich schwarz. Am Ende werde ich meine Fähigkeiten wohl einem anderen Land zur Verfügung stellen müssen."


    Gerade darüber schütteln an spanischen Hochschulen viele den Kopf. Das Land hat in den letzten 20 Jahren viel investiert, nicht nur in die Modernisierung der Universitäten, sondern auch in besonders begabte Studierende. Für gute Leistungen gab es Stipendien, auch für die Promotion und Auslandsjahre. Jetzt ist für die Wissenschaftler kein Platz mehr. Niemand führt Statistiken über diesen Verlust an Humankapital. José Manuel Fernández spricht von einer ganzen Generation, die es wegzieht:


    "Für die jungen Leute ist das alles nicht gerade ein Anreiz, ihr Leben der Forschung zu widmen - einem so essenziellen Bereich für ein Land. Dabei fehlt uns junges Blut. Das Durchschnittsalter an unseren Hochschulen ist sehr hoch. So steht für 90 Prozent der jungen Forscher fest, dass ihre Zukunft im Ausland liegt, nicht in Spanien."

    Bei um die 50 Jahre liegt das Durchschnittsalter an den öffentlichen Forschungsinstituten. Das liegt zum einen an den Mittelkürzungen, aber auch an einer Haushaltsperre für frei werdende Plätze. Nur noch zehn Prozent davon dürfen neu besetzt werden. Der Biologe Omar Motino ist 27 Jahre alt. In seiner Doktorarbeit widmet er sich dem Leberkrebs. Auch er sieht seine Zukunft nicht in Spanien:

    "Viele planen, ins Ausland zu gehen. Der Braindrain ist offensichtlich. In den Zentren werden kaum noch Praktikantenverträge vergeben. Hilfskräfte fehlen. Da steht der Forschungsleiter alleine im Labor. So kann man eigentlich nicht mehr forschen."

    Doch nicht nur die Personalknappheit prägt den Alltag an den Instituten in Spanien. Am hoch angesehenen Wissenschaftsrat CSIC mit zahlreichen Forschungsfeldern seien sogar Reagenzgläser rationiert worden, berichtet die Biologin Elena Izquierdo. Sie hat gerade ihre Promotion über bestimmter Botenstoffe im Gehirn abgeschlossen. In der Privatwirtschaft gäbe es für sie höchstens Jobs als Vertreterin für Arzneimittelkonzerne, doch sie und ihre beiden Freundinnen wollen forschen. Auch sie meinen, Spanien spare an der eigenen Zukunft. Denn ohne Wissenschaft sei kein technologischer Wandel und letztlich auch keine dauerhafte Lösung für die tief greifenden wirtschaftlichen Probleme möglich:

    "Spanien schöpft sein Potenzial nicht aus. Hier sind Medikamente entwickelt worden, und hinterher mussten die Wissenschaftler damit in die USA. Spanien findet keinen Weg, von den eigenen Leuten und Möglichkeiten zu profitieren."

    sagt Elena. Auch sie ist sich sicher, im spanischen Wissenschaftsbetrieb auf Jahre hinaus keine Chance zu haben.

    "Ich will Deutsch lernen. Für alle Fälle."