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Branche in der Krise
Armer Animationsfilm

Wer in Deutschland Animationsfilme macht, verdient damit kaum Geld. Die Auftragslage ist unregelmäßig und an Altersvorsorge ist für die meisten Zeichner gar nicht zu denken. Das liegt auch daran, dass die Kunstgattung des Animationsfilms hierzulande gering geschätzt wird.

Von Claudia Euen | 16.01.2017
    Bild aus dem Filmprojekt "Compartments"
    Bild aus dem Filmprojekt "Compartments" (Uli Seis)
    Uli Seis blickt konzentriert auf den Computerbildschirm. Gerade hat er einzelne Körperteile gezeichnet und sie mit einem speziellen Programm zusammengefügt. Und wieder einmal erweckt er einen virtuellen Menschen zum Leben.
    "Das ist digitaler Legetrick oder Cut-out-Animation. Im Prinzip bewegt man nur vorgefertigte Elemente. Das ist so eine Collagetechnik, da haben wir gezeichnete Elemente, ausgeschnittene texturierte Elemente für die Haare oder die Kleidung, das sind dann Stoffteile oder Fotos."
    750 Bilder für eine Minute Trickfilm
    Hunderte, ja tausende Mal hat er diesen Vorgang wiederholt, damit am Ende ein fertiger Film entsteht. Er kann nicht nur aus dem Stegreif detailgenau malen, er hat vor allem eins: Ausdauer. Rund 750 Bilder pro Minute zeichnet der studierte Mediengestalter schon mal für eine Minute Zeichentrickfilm. An seinem aktuellen Projekt "Compartments" hat er zwölf Monate gezeichnet - für einen 15 Minuten langen Film.
    "Bei den Filmen, die ich mache, um meine Künstlerpersönlichkeit auszudrücken, da schau ich nie auf die Zeit. Statt acht Stunden am Tag, sitz ich da manchmal 13 bis 14 Stunden, nur weil ich das noch besser machen will. Ich kümmer mich nicht drum, ob es sich noch lohnt, finanziell. Ich will, dass es sich künstlerisch lohnt. Ich will, dass es toll wird", sagt Seis.
    1.000 Euro Einstiegsgehalt
    Er liebt seinen Beruf und nimmt in Kauf, dass er mit dem, was er verdient, keine großen Sprünge machen kann. 1.000 Euro Einstiegsgehalt zahlte ihm das Animationsstudio, in dem er nach der Uni ins Arbeitsleben startete. Mittlerweile ist er selbstständig. Für "Compartments" haben Seis und seine Kollegin Daniella Koffler 115.000 Euro bei verschiedenen Förderern eingeworben. Davon bezahlen sie ihren Lohn, die Musiker, die Sprecher, Technik und Reisekosten. Im Vergleich zu anderen Projekten ist das gut finanziert. Unterm Strich bleibt trotzdem nicht viel übrig, sagt der 34-Jährige.
    "Als Tagessatz bleiben da so 160 Euro pro Person. Man muss sich immer ein bisschen selber übers Ohr kalkulieren. Was natürlich nicht so ganz mit reingerechnet ist, ist wie viel Vorbereitungszeit man da reinsteckt, wie viel Recherche, die ganze Entwicklung bis das Projekt da ist, bis man überhaupt Förderung beantragen kann. Wenn man das wirklich fair auch noch mit einrechnen würde, wäre das wahrscheinlich knapp unterm Mindestlohn."
    Unsichere Auftragslage
    Zudem weiß er nie, wann der nächste Auftrag kommt oder ob er für seine künstlerischen Projekte Fördergelder erhält. Die kann Seis beim Bund oder regional beantragen. Einige Herzensprojekte hat er schon ohne Bezahlung realisiert. Damit steht er nicht alleine da. Nur jeder vierte Animationsfilmer in Deutschland macht überhaupt Projekte mit Gewinn.
    Das ergab eine bundesweite Umfrage der AG Animationsfilm. 30 Prozent aller Befragten und dazu zählten Animatoren, Produzenten und Drehbuchautoren, verdienen im Jahr weniger als 16.500 Euro, rund die Hälfte kann nicht für das Alter vorsorgen. Kunst ist immer auch Selbstausbeutung. Dass die Branche derart krankt, liegt für Annegret Richter, Geschäftsführerin der AG Animationsfilm, an der Geringschätzung für diese Kunstgattung.
    "Das Fernsehen hat kein Geld für Animation. Das meiste Geld geht für Nachrichten und Sport drauf. Die Animation nimmt einen wirklich geringen Teil ein, 0,01 Prozent haben wir mal ausgerechnet. Das ist wenig und kann relativ unproblematisch erhöht werden, weil mit der Haushaltsabgabe plötzlich Gelder in die Kassen der Öffentlich-Rechtlichen gab. Aber das Geld wurde für andere Dinge verwendet. Wir brauchen nicht viel. Eine Erhöhung um 100 oder 200 Prozent würde schon den Markt vergrößern."
    Deutsche Animationsfilme führen ein Nischendasein
    Ein Teufelskreis: Wenn das Geld fehlt, wird das Endprodukt schlecht. Wenn das Endprodukt schlecht ist, bleibt das Publikum aus. Wenn das Publikum fehlt, gibt es für neue Projekte wieder kein Geld. Das erklärt die unstete Auftragslage im Animationsbereich. Dabei verlangen hiesige Förderinstitutionen die Beteiligung eines Fernsehsenders, wenn ein deutscher Produzent mit internationalen Geldgebern zusammenarbeiten will.
    Nicht umsonst kommen viele kommerziell erfolgreiche Filme, wie "Findet Nemo" oder "Alles steht Kopf" aus den USA. In Deutschland führt die Kunst des gezeichneten Bewegtbildes derweil ein Nischendasein, sagt Annegret Richter.
    "Die Animationsbranche in Deutschland wird immer im Kinderbereich angesiedelt, das ist schon mal das erste Problem. Erwachsenenanimation gibt es kaum, künstlerische Animation wird mit maximal mit kultureller Filmförderung abgeglichen. Aber das ist jetzt nichts, wo man kontinuierlich eine Verdienstmöglichkeit erarbeiten könnte.
    Deswegen ist es problematisch generell, weil Animation in der Wahrnehmung und im öffentlichen Bewusstsein in Deutschland überhaupt keine Basis hat. Da gibt es Länder, in denen ist das mehr verankert, zum Beispiel Frankreich oder Belgien, wo auch die visuelle Kultur eine ganz andere ist."
    Uli Seis will seinen Film in Kürze auf Filmfestivals schicken, Geld verdient er damit so gut wie keines. Aber hoffentlich Ruhm und Ehre.