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Brand von Flüchtlingsunterkünften
"Erinnert an Rechtsextremismus in den 90ern"

Bei den brennenden Asylbewerberunterkünften in Nürnberg und den Pegida-Demonstrationen in Dresden gebe es "deutliche Analogien" zu rechtsextremen Aktivitäten in den frühen 1990er-Jahren, sagte der Rechtsextremismus-Forscher Alexander Häusler im DLF. Die extreme Rechte Deutschlands sehe hier eindeutig ein "Einfallstor".

Alexander Häusler im Gespräch mit Marina Schweizer | 12.12.2014
    Ein Hakenkreuz ist an einer Hauswand in Vorra zu sehen.
    An eine der Hauswände in Vorra ist ein Hakenkreuz geschmiert worden. (Daniel Karmann, picture-alliance/dpa)
    Marina Schweizer: Bei Nürnberg haben heute Nacht Unterkünfte für Asylbewerber gebrannt. Kommende Woche sollten dort die Bewohner einziehen. Polizei und Regierung vermuten einen Anschlag aus dem rechtsradikalen Milieu.
    Mit Rassismus und Fremdenfeindlichkeit mussten sich mit Blick auch auf Bewegungen wie Pegida die Innenminister der Länder auf ihrem aktuellen Treffen beschäftigen.
    O-Ton Thomas de Maizière: "Bei den führenden Figuren gibt es wirklich problematische Entwicklungen. Da ist von Rechtstreue keine Rede, auch nicht von patriotischen Europäern, die nennen sich ja so. Aber unter denen, die da teilnehmen, gibt es doch ganz schön viele, die bringen ihre Sorgen zum Ausdruck vor den Herausforderungen unserer Zeit. Es gibt eine Studie, dass sich ein Teil von denen wie Fremde im eigenen Land fühlen."
    Schweizer: Bundesinnenminister Thomas de Maizière will die Sorgen der Pegida-Demonstranten ernst nehmen. - In Bayern brennen designierte Asylbewerber-Unterkünfte, in Dresden gehen Tausende gegen die "Islamisierung des Abendlandes" auf die Straße. Offenbar sehen sich viele Deutsche bedroht von Ausländern, die nach Deutschland kommen.
    Die Deutschen, die Menschen, die dort auf die Straße gehen, fordern ein schärferes Asylrecht. Über dieses Phänomen möchte ich jetzt sprechen mit dem Sozialwissenschaftler Alexander Häusler. Er forscht an der FH Düsseldorf hauptsächlich zum Themengebiet Rechtsextremismus. Guten Tag, Herr Häusler.
    Alexander Häusler: Guten Tag.
    Schweizer: Sehen Sie eine Art übergeordneten Bogen von Pegida zu den brennenden Asylbewerber-Unterkünften bei Nürnberg?
    "Man darf nicht alles über einen Kamm scheren"
    Häusler: Man darf das jetzt nicht alles über einen Kamm scheren und vor allen Dingen nicht alle Teilnehmer an dieser Pegida-Demonstration direkt mit rechtsextremen Brandmenschen in Verbindung bringen. Allerdings muss man ganz deutlich sagen: Die extreme Rechte hier in Deutschland sieht in diesen Protesten ganz eindeutig ein Einfallstor.
    Sie mobilisieren für diese Demonstrationen, die ja nicht nur in Dresden stattfinden, sondern die auch in anderen Kommunen stattfinden. In Nordrhein-Westfalen ist es quasi das ganze Neonazi-Spektrum, was sagt, das ist jetzt eine Gelegenheit, die hatten wir seit Jahrzehnten nicht mehr, und es erinnert wirklich sehr deutlich an die Zeit, damals Anfang der 90er-Jahre, wo das Asylrecht geändert worden ist und wo auch wirklich der rechtsextreme Mob auf die Straße gegangen ist und quasi zur Brandschatzung vor die Asylbewerber-Heime gezogen sind. Da gibt es deutliche Analogien.
    Schweizer: Sie sagen jetzt, die extreme Rechte mobilisiert da viele. Sie mobilisiert ja Tausende. Ist der Rassismus denn in der Mitte der deutschen Gesellschaft angekommen?
    Häusler: Man muss deutlich differenzieren. Die, die dort in Dresden auf die Straße gehen, das sind ja nicht alles organisierte Rechtsradikale, sondern das sind teilweise Leute, die sich selber als Teil der Mitte der Gesellschaft empfinden, die sich über solche Sachen Gedanken machen, wie wird meine kulturelle Identität infrage gestellt, oder irgendwelche abstrusen Vorstellungen, wird Weihnachten abgeschafft und wird nur zum Winterfest gemacht, wenn die Muslime kommen und dergleichen.
    "Proteste könnten in Gewalt umschlagen"
    Das heißt, da ist ein politisch eher rechts gerichtetes konservatives Milieu, was skeptisch ist gegenüber unserer multikulturell verfassten Einwanderungsgesellschaft und Pluralisierungstendenzen, das dort sich nicht mehr genügend politisch repräsentiert fühlt und deswegen quasi dieses Angebot zu demonstrieren dort annimmt und ihre Wut über Veränderungsprozesse dort relativ diffus auf die Straße trägt.
    Gefährlich ist das auch noch mal dahingehend, dass die organisierten Rechtsextremisten das als eine Gelegenheit sehen, wo sie sagen, wir müssen das radikalisieren, wir müssen da aufspringen, und das ist die Gefahr, dass sich das verselbstständigt und dann auch in Gewalt umschlagen kann.
    Schweizer: Ist denn dann nicht organisierte Ausländerfeindlichkeit harmloser?
    Häusler: Das ist ja genau das Thema. Problematisch wird das natürlich, wenn das anschlussfähig ist an breitere Schichten. Das heißt, hier ist deutlich auch eine Auseinandersetzung gefragt. Da muss auch Politik und da muss auch die Zivilgesellschaft sich darüber verständigen, das muss ausgehandelt werden, was diese Leute denn wollen: Wollen sie zurück zu irgendwelchen heilen Welten, wie sie vielleicht angeblich in der früheren DDR geherrscht haben, oder in der Bundesrepublik der 50er-Jahre vor der Zuwanderung?
    Wollen wir das ernsthaft umdrehen, oder wie wollen wir miteinander klar kommen? Diese Prozesse müssen ausgehandelt werden und es muss sich natürlich jeder Bürger fragen, der dort auf die Straße geht, ob er sich dort mit Forderungen gemein machen kann, die auch anschlussfähig an den rechten Rand sind.
    Schweizer: Ist es denn dann, Herr Häusler, aus Ihrer Sicht richtig, wenn Unions-Politiker jetzt vor einer Stigmatisierung der Pegida-Anhänger warnen? Ist da nicht eher Klartext gefragt?
    Häusler: Mit Sicherheit ist da auch Klartext gefragt in der politischen Auseinandersetzung. Aber wie der Kurs da jetzt politischerseits nun wirklich sich weiter entwickelt, das ist noch gar nicht abzusehen.
    Schweizer: Was würden Sie sich denn wünschen?
    Häusler: Ich würde auf jeden Fall dazu raten, dass man deutlich macht, wir sind eine multikulturell verfasste Einwanderungsgesellschaft mit allen Problemen, die das mit sich bringt, und die Gefahr des Islamismus, die wird nicht verschwiegen, sondern sie ist, weil sie ein reales Problem darstellt, auch Thema öffentlicher Auseinandersetzung, da wird auch was getan und das muss man den Leuten spiegeln und man muss den Leuten auch deutlich machen, dass die Kritik an religiösem Fundamentalismus eine Sache ist, aber die Abwertung von Minderheiten eine andere ist.
    Da muss man auch deutlich Position zu beziehen, erst recht, wenn das umschwenken kann quasi auch in eine feindliche Haltung oder gar Gewalt gegenüber Zuwanderern oder Schutz suchenden Menschen.
    "Wir brauchen Zuwanderung"
    Schweizer: Innenminister Thomas de Maizière haben wir gerade auch gehört. Der sagt über die Teilnehmer bei Pegida, sie hätten Sorge vor den Herausforderungen unserer Zeit, fühlen sich wie Fremde im eigenen Land. Diese aktuelle Form des Rassismus oder der Fremdenfeindlichkeit, die scheint ja auf der Angst zu fußen, dass die Ausländer den Deutschen etwas wegnehmen. Was muss die Politik denn da vermitteln?
    Häusler: So ist es. Natürlich muss man auch deutlich machen, dass wir nicht nur schon seit Jahrzehnten multikulturell leben in unserem Alltag, dass das zu einer Selbstverständlichkeit gehört, sondern man muss auch zeigen, dass bestimmte Pluralisierungsprozesse auf der religiösen Ebene nicht nur unter Negativzeichen gesehen werden müssen, genauso wie es die Zuwanderung betrifft.
    Die Leute, die dort meinen, ihnen wird etwas weggenommen durch die Zuwanderer, haben nicht zur Kenntnis genommen, dass das Gegenteil der Fall ist, dass wir Zuwanderung brauchen, und auch so etwas, glaube ich, muss im öffentlichen Diskurs deutlicher vielleicht als bisher akzentuiert als Thema auf die Tagesordnung gesetzt werden und das muss politisch ausgetragen werden.
    Schweizer: Herr Häusler, wie schätzen Sie denn den Einfluss von Politikeräußerungen ein, die da lauten, "Asylmissbrauch stoppen" oder "wer betrügt, der fliegt"?
    Häusler: Natürlich haben wir immer auch diese Reaktionen, gerade am konservativen Rand des demokratischen Parteienspektrums, wenn rechts der Unions-Parteien eine Kraft aufkommt, die mit ausländerfeindlichen Parolen von sich reden macht, dass dort dann der Versuch quasi offensichtlich wird, diese Leute wieder zurückzuholen, indem man quasi ihre Thesen aufgreift. Das ist durchaus problematisch anzusehen ...
    Schweizer: Ein gefährlicher Populismus?
    Häusler: Mit Sicherheit ist das kein Weg, dann die Leute von so einer Meinung abzubringen, indem man letztendlich ihre ausgrenzenden Vorstellungen als genauso diskussionswürdig ansieht wie eine demokratische Stellungnahme.
    Schweizer: ..., sagt Alexander Häusler, Rechtsextremismus-Forscher an der FH Düsseldorf. Besten Dank für diese Einschätzungen.
    Häusler: Ich danke Ihnen.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.