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Brantner: Es ist ein Ideologiekampf

Manche hätte "immer noch ein Brett vorm Kopf", sagt die EU-Parlamentarierin Franziska Brantner zum Streit um die Frauenquote in der EU-Kommission. Einige Kommissare sollten nicht am nationalen Interesse festhalten und mit der Frauenquote das Europäische voranbringen, sagt die Grünen-Politikerin.

Bettina Klein im Gespräch mit Franziska Brantner | 24.10.2012
    Bettina Klein: In Straßburg hatten eigentlich alle gespannt gewartet auf den Auftritt von EU-Kommissarin Viviane Reding, die ihr Konzept für eine verbindliche Frauenquote in Aufsichtsräten vorstellen wollte. Bis zum Ende war nicht ganz klar, wie im Detail das Konzept aussehen sollte, und am Ende wurde die ganze Pressekonferenz abgesagt, das Thema vertagt, denn die Kommission konnte sich nicht auf Ihren Entwurf verständigen.
    Am Telefon begrüße ich Franziska Brantner von Bündnis 90/Die Grünen, im Europaparlament Mitglied im Gleichstellungsausschuss. Ich grüße Sie, Frau Brantner!

    Franziska Brantner: Guten Morgen.

    Klein: Ist Ihnen bekannt, was da hinter den Kulissen gelaufen ist, sodass diese Vorstellung doch relativ kurzfristig abgesagt wurde?

    Brantner: Soweit wir verstanden haben, gab es eben keine wirkliche Mehrheit dafür, und dann wurde die Abstimmung vertagt, weil die Abstimmung vielleicht verloren gegangen wäre. Und das ist jetzt auch die Hoffnung, dass man es noch mal verschiebt und dadurch noch mal auch andere Kommissare anwesend sind, die vielleicht eher dafür sind. Es war ja so, dass ein paar dagegen waren, auch Herr Oettinger aus Deutschland hat stark gegen die Quote gekämpft, ein paar Frauen, das wurde gerade erwähnt. Aber alle, die eigentlich für das Thema zuständig sind, also der Wirtschaftskommissar, der Finanzkommissar, Wettbewerbskommissar, Binnenmarktkommissar, die waren alle dafür, und das ist natürlich eigentlich schon interessant zu sehen, wer das dann geblockt hat, und die Hoffnung besteht immer noch, dass es vielleicht bei der nächsten Sitzung doch noch durchkommt.

    Klein: Nun haben sich ja viele gedacht, wenn Frau Reding diesen Termin ansetzt und die Vorstellung bekannt gibt, dass sie das dann nur macht, wenn sie sich praktisch der Mehrheit schon sicher ist. War das auch so gedacht ein bisschen als Druckmittel, einen Termin anzuberaumen, bevor eigentlich die Mehrheit da ist?

    Brantner: Klar. Frau Reding ist eine sehr erfahrene Kommissarin, die macht das nicht zum ersten Mal, sie hat sich schon mit den großen Telekomunternehmen angelegt. Ich glaube, sie hat da Erfahrung und hat wahrscheinlich wirklich gehofft, dass es klappt.

    Klein: Aber das hat nichts genutzt?

    Brantner: Leider hat das diesmal nichts genutzt. Aber ich hoffe wirklich, dass sie da nicht aufgibt in dem Kampf, wie Ihr Korrespondent ja gerade gesagt hat. Ich glaube, es wäre einfach ein fatales Zeichen, wenn sich nationale Interessen schon in dem Stadium von einem Prozess durchsetzen, dass ein Gesetzesvorhaben gar nicht mehr vorkommt.

    Klein: Aber die Skepsis oder die Zurückhaltung, die in der EU-Kommission vorhanden war oder immer noch ist und die auch in vielen Mitgliedsstaaten vorhanden ist, das ist ja eigentlich bekannt, das war ja nicht neu. War es auch ein bisschen heikel, so zu tun, als habe man eine Mehrheit, und muss dann doch sozusagen einknicken und das Ganze abblasen?

    Brantner: Ich glaube, sie hat wirklich gedacht, dass sie das hinbekommen kann. Es gibt ja 27 Kommissare. Soweit wir verstanden haben, waren auch nicht alle da, und vielleicht waren wirklich gerade auch ein paar von denen, die das eigentlich unterstützen, nicht anwesend. Man weiß es nicht so genau. Aber ich glaube, dass auch viele der Argumente, die hier benutzt werden, das heißt das Bürokratische, wer kann so schnell zählen, wie viele es sein müssen, nicht so schwierig sind, und auch die Frage, ob das einem Unternehmen schadet. Frau Reding hat schon in ihrem Entwurf komplett freigestellt, was die Mitgliedsländer überhaupt als Strafen in Aussicht stellen. Die Mitgliedsländer konnten sogar gar keine Strafen einführen. Also was da noch der Schaden fürs Unternehmen sein soll? Ich glaube, es ist eine Stärkung von Unternehmen, wenn Frauen auch in Führungspositionen kommen. Von daher ist es ein Ideologiekampf, der sich gerade abspielt innerhalb der Kommission, das muss man so sehen. Es geht wirklich darum, bringt man Frauen voran, ist man bereit, auch der Privatwirtschaft Vorgaben zu machen in dem Sinne, die aber alle voranbringen. Ich glaube sogar eher, dass es ein bisschen ein Ideologiekampf ist, wo man nicht immer absehen kann, wer jetzt gewinnt.

    Klein: Wie sind die Kräfteverhältnisse einzuschätzen in der Europäischen Union im Augenblick? Welche Machtspiele laufen da möglicherweise?

    Brantner: Es gibt ein paar Länder, die sehr dagegen sind, vor allem die Briten. Die Holländer waren vor ihren Wahlen - sie hatten ja kürzlich auch Bundeswahlen - sehr dagegen. Die neue Regierung ist sich am repositionieren, überlegt sich gerade, ob sie sich vielleicht doch Richtung Quote bewegt. Damit wäre eigentlich England der einzige große Staat, der explizit jetzt schon dagegen ist. Das würde natürlich das Kräfteverhältnis noch mal wieder etwas ändern. Ansonsten sind viele kleine Länder wie Malta und so dagegen. Das wird noch eine spannende Frage. Im Europäischen Parlament haben wir auf jeden Fall eine satte Mehrheit über alle Fraktionen hinweg für die Quote.

    Klein: Was genau ist denn der Stein des Anstoßes für einige Kommissare und Länder im Entwurf von Frau Reding gewesen? Was waren die zentralen Gegenargumente?

    Brantner: Ich war leider bei der Sitzung nicht dabei.

    Klein: Aber Sie kennen die Argumente?

    Brantner: Ich kenne die Argumente, die man gehört hat am Ende. Das sind natürlich teilweise die Argumente der jeweiligen nationalen Regierungen, die eben die Quote nicht wollen, und dass sich leider manche Kommissare doch dafür hergegeben haben, statt im europäischen Interesse das Nationale voranzubringen. Und inhaltlich wird immer wieder natürlich argumentiert, das schaffen die Frauen schon alleine und die Unternehmen können das freiwillig machen, wobei Frau Reding den Unternehmen ja Zeit gegeben hat, das auch freiwillig zu tun. Sie haben es halt nicht getan. Aber das sind irgendwie die Argumente, die immer wieder kommen, lassen wir uns den Unternehmen doch noch mal Zeit geben, vielleicht schaffen sie es ja doch freiwillig. Man hat es ja schon probiert, aber das Argument kommt immer wieder.

    Klein: Und ein zentrales Gegenargument ist ja auch die Reglementierung der Wirtschaft, die in manchen Staaten befürchtet wird. Sie sind eine klare Befürworterin der Quote. Schauen wir mal auf einige der Argumente der Quotengegner. Bringen Sie für die Verständnis auf, oder gar nicht?

    Brantner: Für dieses Argument, dass es ein Konstrukt ist, was einem hilft, etwas durchzusetzen, und das vielleicht nicht für immer und ewig da sein muss, das kann ich ja verstehen. Aber ansonsten verstehe ich die Argumente gegen die schon so geschwächte Version der Quote nicht. Es geht ja nicht mal mehr um Vorstände, es geht nur um Aufsichtsräte, es geht nur um börsennotierte, die also sehr groß sind. Es ist schon sehr reduziert, für wen das überhaupt gilt. Der Zeitrahmen ist gestreckt worden. Das ist schon eigentlich so verwässert, dass ich wirklich glaube, dass es mittlerweile eher nur noch eine ideologische Frage ist. Und rechtlich hat ja der juristische Dienst gesagt, ist es möglich, das auch zu machen. Aber manche haben halt da immer noch ein Brett vorm Kopf.

    Klein: Es gibt so etwas ähnliches wie Quoten, die natürlich ganz anders heißen, in ganz anderen Bereichen und Zusammenhängen. Man spricht dann unter anderem zum Beispiel von Proporz. Dann geht es zum Beispiel um Landsmannschaften, um Regionen, um Standorte, um Parteien. Dafür mag einiges sprechen, aber auch hier gilt bei den Kritikern ja der Einwand, da kommen mitunter Leute auf Posten, die nicht unbedingt wegen ihrer Eignung und Qualifizierung dort hingehören, sondern weil sie da eben dran sind. Das ist ein weiteres Argument dagegen. Damit muss man ja nicht unbedingt glücklich sein, oder?

    Brantner: Nein. Ich denke, auch die Qualität der männlichen Kommissare ist nicht überraschend. Wir haben gerade einen Rücktritt von einem Kommissar gehabt. Ich glaube, was das beste Konzept wäre, wäre, wenn jedes Mitgliedsland zwei Kommissare vorschlagen muss, ein Mann und eine Frau zum Beispiel. Dann hätte man dort es was besser. Manchmal ist es wirklich die Auswahl. Und dann ist es nicht die Frage, dass man Frauen mit geringer Qualifikation einstellt oder in einen Aufsichtsrat bringt, sondern bei gleicher Qualifikation schaut, dass man eine ausgeglichene Balance hat zwischen Frauen und Männern. Die Quote von Frau Reding ist übrigens in dem Sinne keine Frauenquote, sondern eine Quote für das unterrepräsentierte Geschlecht. Das heißt, falls es sich irgendwann drehen sollte und die Männer unterrepräsentiert sind, greift das sofort für die Männer.

    Klein: Eine interessante Frage ist ja auch, die die Gegner immer stellen: Werden Frauen in Führungspositionen tatsächlich dann den Weg nach oben bahnen für andere Frauen? Das ist ja keineswegs erwiesen, oder?

    Brantner: Nein. Ich sage ja auch nicht, dass Frauen an sich der bessere Mensch sind. Ich glaube, dass auch viel mehr dazugehört als die Quote. Wir brauchen wesentlich bessere Vereinbarungen von Beruf und Familie. Wir brauchen zum Beispiel in Europa endlich die Antwort auf die Frage der Lohnungleichheit, die sehr groß ist europaweit und in Deutschland besonders. Seit 1957 ist das Recht auf gleichen Lohn für Frau und Mann in den römischen Verträgen wirklich verankert, da ist noch ein Riesenunterschied. Da könnte Frau Reding, finde ich, auch noch sehr viel machen, um überhaupt den Weg nach oben zu ermöglichen. Da ist die Quote ein Stein in einem größeren Puzzle, aber es ist eben ein Stein.

    Klein: Die ganze Geschichte ist erst mal vertagt worden auf November. Wie groß sind Ihrer Meinung nach die Chancen, dass das dann anders ausgeht als gestern?

    Brantner: Die Hoffnung stirbt zuletzt, aber ich hoffe wirklich, dass es noch kommen kann. Es gibt ja Befürchtungen, dass es noch weiter verwässert wird. Ich kann mir kaum vorstellen, wo sie es noch weiter verwässern wollen.

    Klein: Sie sehen keine Möglichkeit mehr, auf die Kritiker da zuzugehen?

    Brantner: Na ja, doch. Man kann die Zahlen noch mal strecken. Man kann sagen, statt 2020 wird es jetzt 2025, das kann man immer noch hinbekommen. Ob das Argument der Kritiker wirklich dann entkräftet, weiß ich nicht. Das ist ja von denen eher eine Fundamentalkritik. Aber wenn man sich dadurch behelfen kann, wäre ich auch bereit zu sagen, wir machen da jetzt den ersten Schritt. Man kann es immer wieder auch überprüfen. Ich glaube, es ist auch eine Frage davon, ob es jetzt in den einzelnen Mitgliedsländern Druck gibt auf die Kommissare, die dagegen gestimmt haben, in Deutschland ja zum Beispiel Herr Oettinger, ob man denen signalisiert, Deine Aufgabe ist in dem Sinne weniger nationales Interesse zu vertreten, sondern wirklich das Europäische auch voranzubringen und in dem Sinne vielleicht auch den Gesetzesprozess überhaupt zuzulassen. Denn es ist ja immerhin noch hinter der Entscheidung von Mitgliedsstaaten und Parlamenten, ob man es will. Es geht ja schon mal darum, ob es die Vorlage dafür gibt, und das zeigt auch wieder das Demokratieproblem der EU, dass zum Beispiel das Europäische Parlament ja selber keine Gesetze einbringen darf. Wir hätten das ja schon x-mal selber eingebracht, das Gesetz.

    Klein: Die grüne Europaparlamentarierin Franziska Brantner zum weiter anhaltenden Streit in der EU um die Frauenquote. Herzlichen Dank, Frau Brantner, für das Gespräch.

    Brantner: Ich danke Ihnen.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.