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Brasilianische Naturreligion
Candomblé-Tempel in Berlin

In Berlin-Kreuzberg steht der einzige Candomblé-Tempel in Deutschland. Candomblé ist eine vor allem in Brasilien verbreitete Naturreligion mit afrikanischen Wurzeln. Mehrmals im Jahr finden öffentliche Zeremonien für die afrobrasilianischen Gottheiten, die Orixas, statt. Doch ganz so einfach ist die Ausübung dieser Religion in Deutschland nicht.

Von Sandra Stalinski | 18.12.2015
    Tänzer der Gruppe Afoxe Loni mit ihrem Candomblé-Priester bei ihrem Ritual auf dem Karneval der Kulturen in Berlin-Kreuzberg.
    Tänzer der Gruppe Afoxe Loni mit ihrem Candomblé-Priester bei ihrem Ritual auf dem Karneval der Kulturen in Berlin-Kreuzberg. (imago / IPON)
    Es ist schwierig, still zu sitzen, wenn im Candomblé-Tempel in Berlin-Kreuzberg für die Orixas getanzt und gesungen wird. Etwa 50 Leute haben sich in einem mit Tüchern und Popkornketten geschmückten Raum versammelt, um das mehrstündige Ritual mitzuerleben. Alle tragen weiße Kleidung. Denn Weiß sei zum einen die Farbe der Gemeinschaft. Zum anderen soll bei dem Ritual eine positive Energie entstehen, die auf die Anwesenden übergehen soll, erklärt Murah Soares, der sogenannte Babalorixá des Candomblé-Tempels, also so etwas wie ein Priester. Die Kraft der Orixas, der afrobrasilianischen Gottheiten, werde bei den Ritualen freigelegt.
    "Erst einmal machen wir, weil wir die Orixa lieben. Weil wir glauben. Weil diese Energie ist präsent in unserem Leben. Wir machen das Ritual, um diese Kräfte zu verteilen und lebendig zu machen für uns und die Leute, die da sind. Diese Religion ist lebendig, diese Kraft ist lebendig."
    Das Candomblé-Haus ist dem Orixa Xango geweiht, dem Gott des Donners, des Blitzes und des Feuers. Die Orixas sind Herrscher über die Kräfte der Elemente der Natur und verkörpern jeweils ganz bestimmte Eigenschaften. In der Regel sind es 16 Hauptgottheiten, die in Brasilien von den Anhängern der Candomblé-Religion verehrt werden. Die Sklaven, die zwischen dem 16. und dem 19. Jahrhundert vor allem aus Westafrika nach Brasilien verschleppt wurden, brachten ihre Religion mit, entwickelten sie weiter und verbreiteten sie.
    Die Katholische Kirche sah darin Vielgötterei, weshalb sie sie den Candomblé verfolgt und verboten hat. Inzwischen steht sie der Religion neutral gegenüber. Dabei kennt auch der Candomblé nur einen allmächtigen Gott als höchstes Prinzip. Seine Kraft ist jedoch so überwältigend, dass er meist nicht direkt verehrt wird, sondern über die Orixas.
    "Die Orixas waren Menschen wie wir in der Mythologie, aber mit Kräften der Natur. Sie haben auch gegessen, getanzt, geliebt und gestorben und von denen sind nur die Natur geblieben. Das Blätter, die Sonne, die Sterne, Wolken, Himmel, Wasser, Wurzeln."
    Jeder Orixa verkörpert nicht nur ganz spezielle Eigenschaften, sondern ihm sind auch Farben, Symbole oder ein bestimmter Wochentag zugeordnet - und: jeder hat seine eigenen Tänze, Rhythmen und Gesänge.
    Das heutige Ritual findet zu Ehren des Orixa Obaluaiê statt. Er gilt als Gott der Krankheit und ist die symbolische Verbindung zur Welt des Todes. Aber er ist auch ein junger Krieger und Kämpfer und kann Krankheiten heilen.
    Den Göttern tanzend huldigen
    Die Rituale für die Orixas folgen alle einem bestimmten Zyklus: In einer festgelegten Reihenfolge werden nacheinander die einzelnen Götter mithilfe von Liedern und Tänzen angerufen. Die Teilnehmer des Rituals treten in einen Dialoggesang mit den Trommlern und tanzen im Kreis um die Säule in der Mitte des Raumes. Doch jedes Ritual hat seine eigene Geschichte, je nachdem, welchem Gott es gewidmet ist.
    Obaluaiê, der Gott der Krankheit, wurde der Mythologie zufolge mit einer Hautkrankheit und Wunden im Gesicht geboren. Deshalb trug er von Kindheit an eine Strohmaske, die Gesicht und Körper bedeckte, erzählt Murah Soares:
    "Die anderen Orixas hatten ein bisschen Angst vor Obaluaiê. Und sie hatten ein Fest gemacht für Oxala, der Vater aller Orixas. Nur haben Obaluaiê vergessen und Obaluaiê war sehr traurig. Und die Sonne schien nicht mehr und alle Reiche von den anderen Orixa sind krank gewesen und keiner wusste warum. "
    Ein Zustand der Manifestation
    Um Obaluaiê wieder zu versöhnen, machten sie ein großes Fest nur für ihn und brachten ihm alle ihre Lieblingsspeisen mit. Soweit die Mythologie.
    Bei den rituellen Tänzen geht es darum, den Körper in einen tranceähnlichen Zustand zu versetzen. Je länger das Ritual in Kreuzberg dauert, desto aufgeladener ist die Stimmung im Raum. Immer wieder fallen einzelne Gemeindemitglieder in Trance - stoßen Schreie aus oder beginnen, sich unkoordiniert zu bewegen. Dieser Zustand wird im Candomblé als Manifestation, eine Art Verkörperung der Orixas in den Gläubigen verstanden - die Götter feiern tanzend mit den Menschen. Die sogenannten Initiierten - also die in die Religion Eingeweihten - erleben die Trance als Einheit mit sich selbst und der universellen Energie.
    "Diese Kraft heißt axé - Leben, forca, power. Und ist genau wie eine Pflanze. Wenn man das pflegt, die wird groß und schön, dann lebt wirklich diese Energie in der Person drin. Dann die andere können auch merken, spüren. Wenn nicht, dann nicht, dann passiert gar nix, ganz einfach. (lacht) So ist das."
    Murah Soares ist im nordöstlichen brasilianischen Bundesstaat Bahia aufgewachsen, wo er im Candomblé-Tempel seiner Großmutter schon früh in die Rituale der Religion eingeweiht wurde. In Sao Paulo studierte er Tanz und spezialisierte sich als Dozent und Choreograf vor allem auf afro-brasilianische Tänze. Anfang der 1990er-Jahre kam er nach Berlin, wo er schließlich blieb - und irgendwann wollte er hier ein Candomblé-Haus eröffnen, das erste seiner Art in Deutschland.
    "Auf die Idee sind wir nicht gekommen, ich auch nicht. (lacht) Der Orixa bestimmt alles und dann er führt uns in einen Weg, dass man auch nicht weiß, wie das passiert ist."
    Babalorixas wie Murah Soares oder ihr weibliches Pendant, die Yalorixas, sind spirituelle Führer, Heiler, Weissager und Gemeindeleiter in einem. Es ist jedoch ein langer Weg, um Babalorixa zu werden.
    "Ersteinmal musste ich 21 Jahre in dieser Religion alle Rituale durchmachen. Musste ich auch lernen das Orakel zu lesen, zu befragen, zu tanzen, zu singen, zu kochen. Dann konnte ich ein Haus aufmachen. Aber ich darf nicht ein Haus aufmachen, wenn meine Yalorixa nicht diese Erlaubnis gibt. Und verrückterweise, diese Erlaubnis ist gekommen, als ich schon in Berlin war."
    Ausübung nur eingeschränkt möglich
    Doch in Deutschland sind die Bedingungen zur Ausübung der Candomblé-Religion nicht ganz so wie in Brasilien. Bestimmte Kräuter und Pflanzen, die Murah Soares für die Rituale braucht, wachsen hier nicht. Er bringt sie also aus Brasilien mit oder versucht sie in Töpfen zu ziehen. Und auch der Lärm der Trommeln kann zu Problemen führen:
    "Ordnung muss sein, wir sind in Deutschland. (lacht) Also wir können nicht so lang spielen, wie in Brasilien. In Brasilien fängt um zehn Uhr abends bis sechs Uhr morgens ist das fest immer noch da. Es ist laut richtig. Hier haben wir Genehmigung sechsmal im Jahr zu spielen, um 15 Uhr und um zehn Uhr abends muss fertig sein. Also machen wir kompakter, wir mussten hier uns anpassen. Ist Candomblé do Brasil in Deutschland. Es geht auch. Geht anders, aber geht auch."