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Brasilien
Der Kaiser von Petropolis

Petrópolis, im Hinterland Rios gelegen, ist eine Stadt mit gut 300.000 Einwohnern. Mitte des 19. Jahrhunderts zog es den brasilianischen Kaiser Pedro II. und seinen Hofstaat hinaus in die waldigen Hügel. Dort ließ er seine Sommerresidenz errichten. Heute ist der Palast eine der Hauptattraktionen der Stadt.

Von Victoria Eglau | 13.07.2014
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    Der Kaiserhof befand sich normalerweise im quirligen Rio (picture Alliance / dpa / Antonio Lacerda)
    Brasilien, im neunzehnten Jahrhundert. 1822 hatte die Kolonie ihre Unabhängigkeit von Portugal erklärt, doch der junge Staat blieb eine Monarchie. Mit nur 14 Jahren wurde Pedro II.1841 zum brasilianischen Kaiser gekrönt. Er sollte das Land bis zu seiner Verbannung fast fünfzig Jahre später regieren.
    Der Kaiserhof befand sich im quirligen Rio de Janeiro, wo es im Sommer unerträglich heiß und schwül wurde. Im bergigen Hinterland der Küstenstadt entdeckte der junge Pedro, was er suchte: ein abgeschiedenes, kühles Paradies inmitten waldiger Hügel. Er beschloss, hier seine Sommerresidenz errichten zu lassen.
    "Einige Reisebücher der damaligen Zeit beschreiben jene Suche nach einem ruhigen Ort mit angenehmem Klima, eingebettet in üppige Natur. Sie schildern die Reise von Rio de Janeiro nach Petrópolis als Abenteuer, als Reise zum Paradies auf Erden. Petrópolis wird als brasilianische Schweiz bezeichnet, als idyllischer Ort, den Pedro II. erschuf."
    Kostbare Marmorböden im Palast
    Mauricio Vicente Ferreira ist der Direktor des Kaiserlichen Museums von Petrópolis - der von Pedro dem Zweiten gegründeten und nach ihm benannten Stadt. Das Museu Imperialbefindet sich im ehemaligen Sommerpalast, einem langgestreckten, neoklassizistischen Bau mit einer Fassade in hellem Korallenrot und Weiß.
    Petrópolis ist heute eine Stadt mit gut 300.000 Einwohnern. Das von einem gepflegten Park umgebene Museum im Zentrum ist die Hauptsehenswürdigkeit der Stadt. Vor dem Eingang streift sich gerade eine kleine Besuchergruppe Filzpantoffeln über - zum Schutz der kostbaren Marmorböden im Palast, der von dem deutschen Architekten Julius Friedrich Koeler entworfen wurde.
    "1845 wurde mit dem Bau begonnen. Julius Friedrich Koeler holte deutsche Fachkräfte nach Petrópolis, denen Kaiser Pedro II.Fgute Arbeitsbedingungen bot. Sie bauten den Sommerpalast und die Kathedrale, und sie ließen sich in der Stadt nieder. Auch viele Fabriken, Geschäfte und andere Gebäude wurden von Deutschen errichtet. So bekam die Stadt Petrópoliseine deutsche Prägung,"
    erzählt Amanda Hutflies, die durch das Kaiserliche Museum führt. Sie zeigt die weitgehend im Originalzustand erhaltenen Räume, in denen Pedro II. und seine Gattin Teresa Cristina, wenn sie in Petrópolis weilten, ein eher beschauliches Leben führten. Der brasilianische Kaiser hatte den Ruf, mehr Gelehrter als Politiker zu sein. Oberlehrer der Nationwar sein Spitzname. Pedro umgab sich mit den schönen Künsten, förderte Maler und Musiker.
    "Hier im Palast fand viel Kultur statt: Musik, Theater und Literatur-Lesungen. Pedro II. sprach vierzehn Sprachen. Er studierte, las und reiste viel. In diesem Saal wurden Tanzveranstaltungen abgehalten – Sie sehen die Instrumente,"
    sagt Amanda Hutflies und zeigt auf Spinett, Harfe, Klavier und Geige.
    In Pedros Studierzimmer im zweiten Stock ist noch heute das Teleskop zu sehen, mit dem er die Sterne beobachtete. Brasiliens Kaiser korrespondierte mit Wissenschaftlern, besuchte den Archäologen Heinrich Schliemann bei dessen Ausgrabungen in Griechenland und wohnte der Eröffnung des Opern-Festspielhauses in Bayreuth bei. Bei der Weltausstellung in Philadelphia traf er den Erfinder des Telefons, Alexander Graham Bell, und installierte im Palast vonPetrópolis den ersten Fernsprechapparat Brasiliens. Auch, als Brasilien 1888 als letztes Land der westlichen Hemisphäre die Sklaverei abschaffte, war Kaiser Pedro gerade verreist – das Gesetz unterzeichnete seine Tochter und Vertreterin, Prinzessin Isabel. Ein Jahr später schaffte Brasilien dann auch die Monarchie ab. Mauricio Vicente Ferreira, Direktor des Kaiserlichen Museums:
    "Pedro der Zweite nahm gerade ein medizinisches Bad, als ihn am 15. November 1889 die Nachricht von der Ausrufung der Republik erreichte. Er befand sich in einer damals beliebten Klinik für Wassertherapie, die einem französischen Arzt gehörte. Nach dem Bad versammelte der Kaiser seine Angehörigen. Am nächsten Tag fuhren sie von Petrópolis nach Rio und bestiegen das nächste Schiff nach Europa. Pedro kehrte nie mehr nach Brasilien zurück, die republikanische Regierung hatte ihn und seine Familie verbannt.
    Der Ruf als friedlicher Zufluchtsort lockte auch Stefan Zweig
    Auch, wenn der Kaiser sein geliebtes Petrópolisvon einem Tag auf den anderen verlassen musste – das Städtchen blieb für viele, was es für Pedro gewesen war: ein erholsames, grünes Idyll. Ab 1883 gab es ab Rio de Janeiro eine direkte Zugverbindung. Die Fahrt in die Berge dauerte nur eine gute Stunde – weniger als heute mit dem Bus. Betuchte Großstädter hatten in Petrópolis ihre Wochenendhäuser, nicht ganz so betuchte übernachteten in den zahlreichen Hotels.
    Der Ruf als friedlicher Zufluchtsort lockte schließlich auch einen Mann nach Petrópolis, der eine zermürbende Odyssee von Vertreibung und Exil hinter sich hatte: der österreichisch-jüdische Schriftsteller Stefan Zweig.
    Zu dem Haus in den Hügeln von Petrópolis, das Zweig 1941 mit seiner Frau Lotte mietete, fährt heute ein rumpelnder Linienbus aus dem Stadtzentrum.
    An der verkehrsreichen Straße Rua Goncalves Dias merkt der Besucher erst beim Blick nach oben, dass er bereits angekommen ist. Eine steile Treppe führt hinauf zu dem kleinen Museum, das das Stefan-Zweig-Haus seit zwei Jahren beherbergt.
    "Wir sind heute glücklich übersiedelt. Es ist ein ganz winziges Häuschen, aber mit großer gedeckter Terrasse und wunderbarem Blick, jetzt im Winter reichlich kühl und der Ort so schön verlassen wie Ischl im Oktober oder November. Aber endlich ein Ruhepunkt für Monate, und die Koffer werden eben auf langes Niemehrwiedersehen verstaut,"
    schrieb Stefan Zweig im September 1941, gleich nach der Ankunft in Petrópolis, an seine erste Frau Friderike. Die Flucht vor den Nazis hatte den Schriftsteller vom Kapuzinerberg in Salzburg zunächst ins Exil nach London und in die USA geführt. Doch Zweig zog es weiter nach Brasilien – ein Land, das er bereits 1936 erstmals besucht hatte und das er bewunderte. Und die brasilianische Elite bewunderte ihn, bei seinem ersten Besuch war der Schriftsteller umjubelt worden.
    "Stefan Zweig war hier, wie in der ganzen Welt, während der 40er, 50er Jahre … sehr bekannt in der lesenden Bevölkerung. … Damals war Stefan Zweig ein absolutes Muss. Jeder, der las, hatte die komplette Sammlung von Stefan Zweig bei sich zuhause."
    Kristina Michahelles, Mitglied im Vorstand der Casa Stefan Zweig und Übersetzerin einiger seiner Werke, sitzt auf der Terrasse des kleinen weißen Hauses. Der Blick schweift heute nicht mehr in unberührte Natur, die grünen Hügel von Petrópolissind inzwischen recht dicht bebaut. Hier arbeitete Stefan Zweig an seinen letzten Werken, bevor er sich im Februar 1942 gemeinsam mit Lotte das Leben nahm.
    Auf der Terrasse schrieb er die Schachnovelle
    "Auf dieser Terrasse ist geschrieben worden: die Schachnovelle. Das ist das letzte Werk von Stefan Zweig, das wurde vollständig in Petropolis geschrieben. Dort hat er seine Autobiografie "Die Welt von gestern" zu Ende geschrieben, die er schon in den USA angefangen hatte. Und er hat geschrieben ein sehr sehr wichtiges Werk: nämlich einen Essay über Montaigne. In diesem Essay ist eigentlich alles drin: sein ganzes Leben, seine Lebensauffassung, und auch schon die Gedanken an – er hat sich beschäftigt mit der Frage, wie weit hat man Recht, über Leben und Tod zu bestimmen."
    Unterhalb der Terrasse ist ein überdimensionales Schachspiel aufgebaut - zu Ehren von Zweigs berühmter Novelle. In der schafft es ein Gefangener des Nazi-Regimes durch das Auswendiglernen von Schachpartien großer Meister, der Haft und den Verhören standzuhalten. Im Museum selbst befinden sich neben einer kleinen, höchst informativen Multimedia-Ausstellung einige persönliche Gegenstände des Schriftstellers, sowie das leere Schlafzimmer, in dem der Doppel-Selbstmord stattfand.
    "Ehe ich aus freiem Willen und mit klaren Sinnen aus dem Leben scheide, drängt es mich, eine letzte Pflicht zu erfüllen: diesem wundervollen Lande Brasilien innig zu danken, das mir und meiner Arbeit so gute und gastliche Rast gegeben. Mit jedem Tage habe ich dieses Land mehr lieben gelernt und nirgends hätte ich mir mein Leben lieber vom Grunde aus neu aufgebaut, nachdem die Welt meiner eigenen Sprache für mich untergegangen ist, und meine geistige Heimat Europa sich selber vernichtet."
    Mit diesen Worten beginnt Stefan Zweigs Abschiedsschreiben, das im Schlafzimmer als Faksimile an der Wand hängt. Dass der Schriftsteller nach fünfmonatigem Aufenthalt in Petrópoliskeine Kraft mehr spürte, sich in Brasilien eine neue Existenz aufzubauen, hing vermutlich mit Zweigs Vereinsamung und einem Hang zur Depression zusammen. Seine Übersetzerin Kristina Michahelles:
    "Als Stefan und Lotte Zweig in Petrópolis ankamen, waren sie österreichische Juden, in Petrópolis, wo eine starke deutsche Kolonie existierte, also mit denen hatten sie schon einmal gar keinen Kontakt. … Stefan Zweig, zu dem die ganze Welt damals kam, Dirigenten, Schriftsteller, die gingen im Kapuzinerberg ein und aus, war ein einsamer und vergessener Mann in Petrópolis, der sich praktisch nur unterhielt mit dem Bibliothekar der Gemeindebibliothek."
    Erinnerung an das tragische Lebensende
    Ausschlaggebend für Stefan Zweigs Selbstmord-Entschluss war wohl die Furcht vor einer Verwicklung Brasiliens in den Zweiten Weltkrieg. Nachdem das südamerikanische Land Anfang 1942 die diplomatischen Beziehungen zum Hitler-Regime abgebrochen hatte, versenkte am 15. Februar ein deutsches U-Boot ein brasilianisches Handelsschiff.
    "Als das passierte, das Schiff Buarque versenkt wurde an der nordamerikanischen Küste, wusste Zweig, Brasilien wird früher oder später auch in diesen Krieg eintreten, vor dem er schon einmal von Salzburg nach London geflohen war, dann das zweite Mal von London in die USA geflohen war, und dann nach Brasilien. Als überzeugter Pazifist hasste er den Krieg, er hatte eine panische Angst vor dem Krieg. Und er wusste, das wird kommen. Es wird irgendwann auch vorbei sein, aber ich hab keine Nerven mehr, das auszuhalten.
    DieCasa Stefan Zweig erinnert nicht nur an das tragische Lebensende des Schriftstellers in Petrópolis - sie hat sich auch zum Ziel gesetzt, eine Gedenkstätte des europäischen Exils in Brasilien zu sein.