Freitag, 29. März 2024

Brasilien - Mexiko
Torlos ungesehen

Wo soll man die wichtigen Spiele der WM nur schauen? Zuhause, bei Freunden, in der Kneipe oder beim Public Viewing? Es gibt nur falsche Entscheidungen. Eine Odyssee.

Von Jonas Reese | 18.06.2014
    Zwei Brasilien-Fans beim Fußballgucken
    Zwei Brasilien-Fans beim Fußballgucken (Jonas Reese/ Deutschlandradio)
    Zugegeben, es war wohl etwas naiv zu glauben, zwei Stunden vor Anpfiff genügen, um zum so genannten Fifa-Fan-Fest in Sao Paulos Innenstadt zu gelangen. Zum offiziellen Public Viewing, um den zweiten Auftritt Brasiliens während dieser WM zu verfolgen. Überfüllte Busse, verstopfte Straßen, endlose Einlasskontrollen, das alles verschlingt viel Zeit. So viel Zeit, dass am Ende 30.000 Leute vor einem da waren. Mehr dürfen nicht rein. Eine Stunde vor Anpfiff.
    Was nun? Doch zurückgreifen auf die Einladung des Bekannten zum Fußballgucken bei Grillwurst und Bier zuhause. So wie man traditionell die Fußball-Abende hier verbringt. Praktischerweise findet das Ganze auch noch ganz in der Nähe der eigenen Wohnung statt. Also den ganzen Weg zurück. Dem Strom entgegengesetzt geht es dieses Mal ganz schnell. Noch rasch das Fahrrad zuhause abgeholt, dann gehen die letzten paar Kilometer noch zügiger.
    Doch Sao Paulo ist nicht München. Hier geht es auf und ab wie in San Francisco. Eine Seitenstraße zu spät bergab gerast und schon landet man in einer fremden Gegend. Den Berg hoch zurück? Nein, das muss auch anders gehen. Halbe Stunde bis zum Anstoß Brasilien gegen Mexiko. Fanscharen in entgegengesetzter Richtung.
    Nach dem Blick auf die Karte, die Orientierung wieder gefunden, und dabei festgestellt: einen Riesenumweg gefahren. Das Auf und Ab also doch wieder zurück. Die Nachmittagssonne brennt. Auf den Straßen ist jetzt die Hölle los. Die ganze Stadt ist in Bewegung, um sich vor dem Spiel in Position zu bringen. Die Luft ist von Abgasen durchgezogen. Fahrradwege Fehlanzeige. Noch 15 Minuten bis Anstoß. Das muss reichen.
    Endlich die richtige Abzweigung gefunden. Die Straßen sind auf einmal ganz leer. Das Spiel muss schon angefangen haben. Es ist zum Glück nicht mehr weit. Es geht immer noch steil bergauf. Das frisch gekaufte Brasilien-Shirt ist durchgeschwitzt. Die letzten 200 Meter werden geschoben. Es ist so steil wie auf einer Skisprungschanze. Nur in umgekehrter Richtung.
    Endlich da. Ungewöhnlich ruhig. Die Tür wird hektisch geöffnet. Keine Zeit zur Begrüßung. 20 Gäste starren auf den Bildschirm. Doch darauf bewegt sich nichts. Bildstörung. Wie häufig, wenn zu viele einschalten. Das kann das internetbasierte Fernsehen offenbar nicht leisten. Geduldig verfolgt die Menge die zirka 20-sekündigen Spielszenen, bis das Bild wieder für die gleiche Zeit stehenbleibt.
    Es werden Witze gemacht: „Lasst uns das Spiel doch lieber später in der Zusammenfassung anschauen." Oder beim nächsten Standbild: „Die bewegen sich zu wenig. So können wir den Titel abschreiben." Dann werden die Übertragungspausen immer länger. Noch nicht mal mehr der Ton funktioniert. Endlich, die rettende Idee. Ein Radio muss her. Irgendwann sitzen alle um den Empfänger und hören gebannt dem rasant sprechenden Kommentator zu. Er spricht ohne Atempause.
    Endstand 0:0. Offenbar nicht viel verpasst. Kein Treffer blieb ungesehen. Dennoch: Torlos gegen Mexiko, das ist für alle ernüchternd. Egal. Endlich kann der Grill angezündet werden. Schon Minuten vor Abpfiff hatte der erste die Gitarre geholt. Trommel, Tamburin und Ukulele folgen sofort. Der Rest des Abends ist nur noch Samba, Bier und Wurst.
    Später ist zu lesen, dass es beim offiziellen Fifa-Fan-Fest 15 Verletzte gegeben hat. Sie haben leichte Schürfwunden erlitten. Während des Spiels hatte sich ein Metallgitter gelöst. Wegen Überfüllung kam es außerdem zu Tumulten zwischen Fans und Polizei. Fans, die nicht auf das Public-Viewing-Gelände vorgelassen wurden, sollen Gegenstände auf Polizisten geworfen haben.