Absage des Hezarfen Ensemble bei der Ruhrtriennale

Eine unscharfe Formulierung und ihre Folgen

Banner für die Ruhrtriennale 2018 bis 2020 an der Einfahrt zum Gelände der Jahrhunderthalle in Bochum
Die Kontroversen um das Konzert des Hezarfen-Ensembles zeigten, wie sehr sich die Situation für "politische" Kunst zugespitzt hat, so Musikredakteur Rainer Pöllmann. © imago/Cord
Von Rainer Pöllmann · 14.08.2018
Dass das Instanbuler Hezarfen Ensemble sein Konzert "Music of Displacement" auf der Ruhrtriennale abgesagt hat, zeige eine neue Rolle der politischen Kunst, meint Musikredakteur Rainer Pöllmann. Der Gruppe war vorgeworfen worden, den Genozid an den Armeniern als "Umsiedlung" zu relativieren. Zuvor hatte es bereits Aufruhr gegeben um die Aus- und Wieder-Einladung der Band Young Fathers.
Von "Umsiedlung" zu sprechen, wo es um Völkermord geht, ist völlig unangemessen. Das Sprechen in Andeutungen mag in der Türkei selbst das Maximum dessen sein, was für ein dort beheimatetes Ensemble öffentlich sagbar ist. Für ein internationales Kunstfestival ist es inakzeptabel.

Ruhrtriennale-Leitung handelte unsouverän

Das Hezarfen Ensemble ist kein Propaganda-Ensemble des autokratischen türkischen Staates. Es setzt sich glaubwürdig und differenziert auf künstlerische Weise mit politischen und historischen Themen auseinander. Insofern führt der Vergleich mit den Young Fathers und dem völlig unsouveränen Umgang der Ruhrtriennale mit der BDS-Kampagne eher in die Irre.
Das Maschinenhaus Essen
Im Maschinenhaus Essen sollte das Konzert "Music of Displacement" des Hezarfen Ensemble auf der Ruhrtriennale stattfinden.© Julian Roeder/OSTKREUZ
Die Idee zu dem Projekt "Music of Displacement" des Hezarfen-Ensembles ist knapp ein halbes Jahrzehnt alt. Als "interdisziplinäre Klage" ist es im Untertitel charakterisiert. Und es taucht auch der Begriff "Agit" auf, dessen armenisches Pendant "Katastrophe" heißt und für den Völkermord steht. Das Anliegen des Projekts ist also über jeden Zweifel erhaben. Einem Konzert mit Musik über das Leid der Menschen, sei es 1915 im Osmanischen Reich, 1980 im Libanon oder 2018 in Syrien, sollte die Lauterkeit und künstlerische Ernsthaftigkeit nicht abgesprochen werden, es atmet letztlich allerdings auch den Geist künstlerischer Unverbindlichkeit. Und auch die Stellungnahme des Ensembles selbst begnügt sich mit Allgemeinplätzen und Schuldzuweisungen. Gerade die Kontroversen (und gerade die Missverständnisse) um das Konzert des Hezarfen-Ensembles bei der Ruhrtriennale zeigen, wie sehr sich die Situation für "politische" Kunst verändert, wie sie sich zugespitzt hat.

Schlechtes Zeugnis für Feuilleton-Debattenkultur

Zeitlich parallel zu "Music of Displacement" des Hezarfen-Ensembles entwickelte der Komponist Marc Sinan mit den Dresdner Sinfonikern sein Projekt "Aghet", in dem drei Komponistinnen und Komponisten unmissverständlich den Völkermord an den Armeniern thematisieren und anprangern. Was den lauten, wütenden Protest der türkischen Regierung hervorrief und was übrigens auch nicht ohne Folgen für die beteiligte türkische Komponistin blieb. Welches Projekt das in musikalisch-künstlerischer Hinsicht Wertvollere ist, lässt sich keineswegs leicht entscheiden. Welches auf der Höhe der politischen Debatte ist, liegt auf der Hand.
Das ist nicht ohne Gefahr für die Kunst selbst. Die Verschlagwortung und Reduzierung auf wenige Trigger-Begriffe kann nicht im Sinne einer künstlerisch reichhaltigen Praxis sein, die auf Differenzierung und nicht zuletzt auf die Komplexität und Widersprüchlichkeit menschlicher Existenz Bezug nimmt. Dass die Kritik am Konzert des Hezarfen-Ensembles sich keineswegs an Programm, an der Musik oder den Gedichten entzündete, sondern ausschließlich am Text des Programmbuchs dazu, stellt der Debattenkultur in unseren Feuilletons kein gutes Zeugnis aus. Andererseits ist von einem der wichtigsten Festivals des Landes, das sich das Politische explizit auf seine Fahnen geschrieben hat, eine Öffentlichkeitsarbeit zu erwarten, die genau formuliert und die Brisanz des Themas nicht schönfärberisch camoufliert.
Redaktioneller Hinweis: Im Artikel haben wir "Pressetext" durch "Text des Programmbuchs" ersetzt.
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