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Brasilien
Rüsten für den Wassermangel

Im Süden Brasiliens herrscht die größte Dürre seit mehr als 30 Jahren. Metropolen wie Sao Paulo oder Rio de Janeiro gehen langsam das Wasser aus. Da die Regierung die Krise lange klein geredet hat und tagelange Wasserrationierungen drohen, helfen sich die Bewohner nun selbst - und das könnte unangenehme Folgen haben.

Von Jonas Reese | 11.02.2015
    Brückenpfeiler und ein altes Autowrack sind an einem Fluss in Sao Paulo Brasilien zu sehen. Es herrscht eine große Dürre in Brasilien
    Ein Fluss in Sao Paulo führt ungewöhnlich wenig Wasser. (dpa / picture alliance / Sebastiao Moreira)
    Ein kleiner, spärlich eingerichteter Friseursalon im ärmlichen Zentrum Sao Paulos. Inhaber Sebastiao trimmt einem älteren Herren den weißen Schnauzbart.
    "Jeden Tag von zwei oder drei Uhr an, haben wir hier kein Wasser mehr. Wenn es Wasser gibt, schneiden wir Haare, und wenn es aufhört, hören auch wir auf mit unserer Arbeit. Wenn ein Kunde kommt und sagt, er möchte seine Haare gewaschen oder nass geschnitten haben, müssen wir ihm sagen: Nein, das geht nicht ohne Wasser. Und dann geht er meistens wieder."
    Der Friseur fährt fort mit seiner Arbeit. Zumindest eine Trockenrasur ist noch möglic. Normalerweise macht Sebastiao 40 bis 50 Schnitte am Tag, sagt er. Seit Beginn der Rationierung seien es noch nicht mal halb so viele. Ganze zwei volle Tage hatten sie vergangene Woche fließend Wasser. Wann es aufhört, sagt ihm keiner.
    "Nein, ich habe jemanden bei der zuständigen Behörde gefragt, aber das konnten die mir auch nicht sagen, es gibt viele, die sich beschweren. Restaurants zum Beispiel. Viele haben schon geschlossen hier in der Gegend, weil es kein Wasser gibt. Aber, wütend bin ich nicht. So ist halt die Regierung."
    Offiziell gibt es noch keine Rationierungsmaßahmen, dennoch sind ganze Viertel in Sao Paulo vom Wasser abgeschnitten. Der Grund: Die zuständige Behörde drosselt oft den Wasserdruck in den Leitungen, mit der Folge, dass in manchen höhergelegenen Teilen der bergigen Stadt das Wasser gar nicht mehr ankommt.
    Seit 30 Jahren hat es nicht mehr so wenig geregnet wie aktuell
    Eine versteckte Rationierung also, denn die zuständige Landesregierung des Bundestaats Sao Paulo behauptet vehement, Wasser abstellen sei der letzte Schritt, um die Wasserkrise in den Griff zu bekommen. Noch Ende letzten Jahres verkündete Gouverneur Geraldo Alckmin kurz vor seiner Wiederwahl, es gebe genug Wasser und überhaupt keinen Grund zur Sorge.
    Dabei war zu diesem Zeitpunkt die Lage fast genauso bedrohlich wie jetzt: Seit 30 Jahren hat es nicht mehr so wenig geregnet, wie in den letzten vier Monaten. Das größte Wasserreservat der Stadt Cantareira ist fast ausgetrocknet. Es versorgt mehr als ein Viertel der mehr als 20 Millionen Einwohner. Kaum eine Woche vergeht ohne einen neuen historischen Tiefstand. Vor einem halben Jahr war der Pegel noch doppelt so hoch.
    Für Rebecca Lerr von der Agencia Pela Agua, ein Zusammenschluss verschiedener NGOs im Kampf gegen die Wasserkrise, ist der ausbleibende Regen deshalb nur ein Grund für diese Notsituation.
    "Ich glaube, es ist eine klimabedingte Krise, die durch falsches Regierungshandeln unheimlich verschlimmert wurde. Schon Ende 2013 war klar, dass wir zwei sehr trockene Sommer zu erwarten haben. 2014 und 2015. Dann hätte man schon strikte Maßnahmen ergreifen müssen, um den Wasserverbrauch zu drosseln und Wasser zu sparen. Und als die Situation bereits besonders ernst war, standen die Regionalwahlen an. Deshalb handelte der Gouverneur des Landes, der der Wasserversorgung vorsteht, nur äußerst zögerlich. Deswegen stehen wir jetzt kurz vor einem Kollaps."
    Gouverneur Alckmins auffälligste Tat in der Wasserkrise war bislang das Einberufen eines Krisenstabs vor gerade einmal zwei Wochen. Da lag der Pegelstand des größten Reservats bei nur noch fünf Prozent.
    Strafen für Wasserverschwendung
    Erste Maßnahme des Arbeitskreises: Finanzielle Belohnung für die diejenigen Haushalte, die unter ihrem durchschnittlichen Wasserverbrauch bleiben. Und: Strafzahlung von umgerechnet bis zu 300 Euro für Leute, die ihr Auto waschen oder anderweitig Wasser verschwenden.
    Im Gespräch ist nun doch auch eine Rationierung: Fünf Tage am Stück soll demnach das Wasser für alle abgestellt werden. Anschließend für zwei Tage wieder laufen. Für Rebecca Lerr von der Agencia Pela Agua eine drastische und notwendige, Maßnahme:
    "Es gibt keine einfache Lösung. Erst einmal ist es wichtig, nicht in Panik zu verfallen. Denn Panik ist in diesen Momenten, das was am wenigsten hilft.
    In den Randbezirken sind die Menschen schon lange ohne Wasser.
    Dort müssen jetzt schnell Maßnahmen ergriffen werden. Dort muss man Wasserbehälter verteilen, Distributionsketten einrichten, gerade dort in diesen Bezirken, ist jetzt eine Notlogistik gefordert."
    Doch auch die 5-Tage-Rationierung ist nicht die Lösung aller Probleme. Lerr rechnet vor: Das größte Reservat Cantareira würde auch dann nur noch für weitere 180 Tage ausreichen. Wenn es weiter so trocken bleibt.
    Viele Paulistas glauben ohnehin, dass sich die Situation noch weiter verschlimmern wird. Sie haben begonnen, sich darauf vorzubereiten. Fragt man die Menschen auf der Straße, bekommt man meist die gleichen Antworten:
    "Ja, logisch. Bin ich besorgt. Ich habe eine Vorrat angelegt von sauberem Wasser und von Regenwasser, um die Wäsche zu waschen oder um zu Duschen. Ich glaube, mein Wasser würde für fünf Tage ausreichen. Ich habe einen Tank von 500 Litern und zwei Behälter von je 100 Litern."
    "Ich bin sehr besorgt. Ich habe viele Eimer gekauft und viele Wasserflaschen auf Vorrat, weil wir jetzt schon seit zwei Monaten ohne Wasser aushalten müssen."
    "Wir versuchen zu sparen. Wir verwenden das Wasser zweimal beim Wäschewaschen. Und dann haben wir einen Tank von 1.000 Litern und haben einen kleinen Trinkwasser-Vorrat angelegt. Vier Gallonen, also insgesamt fast 100 Liter."
    Steigende Dengue-Gefahr
    Die Eigeninitiative der Paulistas macht sich schon bemerkbar: Der Preis für einen Liter Trinkwasser ist in den vergangenen 12 Monaten um 20 Prozent gestiegen. Wassertanks und -eimer waren kurzzeitig ausverkauft.
    Und dann birgt diese Vorsorge noch eine ganz andere Gefahr. In den zahlreichen Wassertanks herrschen beste Bedingungen für Dengue-Mücken. Bereits in den ersten vier Wochen des Jahres wurden im Großraum Sao Paulo fast drei Mal so viel Dengue-Erkrankungen gemeldet wie im Vorjahreszeitraum.