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Medienanalyse
Wenn sich 42 Leser eine Zeitschrift teilen

Die sogenannte "Mediananalyse" - kurz MA - führt für die Radiosender als auch für Zeitungs- und Zeitschriftenverlage regelmäßig Erhebungen durch. Zuweilen gibt es merkwürdige Zahlen, manches Magazin hätte demnach bis zu 42 Leser pro Exemplar. Das wirft die Frage auf, wie verlässlich diese Leserzahlen sind.

Von Michael Meyer | 03.08.2017
    Frische Tageszeitungen
    Die Auflagenzahlen sind eindeutig, bei den Reichweitenzahlen gibt es Unschärfen. (dpa / picture alliance / Sven Hoppe)
    Der Printbranche geht es schlecht, so die allgemeine Wahrnehmung. Bei genauerem Hinsehen fallen aber nicht alle Auflagen, so sind beispielsweise Wirtschaftsmagazine wie "Capital" oder "Focus Money" durchaus stabil oder haben leicht steigende Auflagenzahlen.
    Mehr Leser bei sinkender Auflage - ausgemachter Blödsinn
    Doch das erklärt noch nicht, warum diese Titel in der jüngsten Mediaanalyse Reichweitenzuwächse von 30 bis 40 Prozent verzeichnen. Während die Auflagen statistisch leicht feststellbar sind, werden die Reichweiten mittels Umfragen bei Lesern ermittelt. Der Datenjournalist Jens Schröder, der regelmäßig die Zahlen der Medienbranche untersucht, kritisiert, dass in einer Zeit, in der die Auflagen der meisten Zeitschriften und Zeitungen fallen oder stagnieren, die Mediaanalyse-Daten diese Entwicklung nicht ausreichend wiedergeben:
    "Da sieht man dann, dass Leserzahlen zum Teil noch steigen, noch mehr Leser angeblich eine Zeitschrift lesen, obwohl die Auflage Jahr für Jahr sinkt. Nach meinem Menschenverstand kann da irgendetwas nicht stimmen. Es gibt halt Extrembeispiele: Wenn ich mir die 'Computer BILD SPIELE' angucke - die hatte mal zu Hochzeiten hunderttausende verkaufte Auflage, mittlerweile sind da glaube ich noch unter 40.000 davon übrig, trotzdem wird diese Zeitschrift laut MA von weit über eine Million Leute gelesen."
    Wenn man diese Zahlen einmal umrechnet, dann würde das bedeuten, dass im Schnitt 42 Leute pro Exemplar diese Zeitschrift lesen, und das obwohl diese Zeitschrift die "Computer BILD SPIELE" noch nicht einmal in Lesezirkeln beim Arzt oder Friseur vertrieben wird. Schröder meint, solche Zahlen sind ausgemachter Blödsinn:
    "Also wie sollen 42 Leute dasselbe Exemplar einer Zeitschrift lesen? Das kann vielleicht noch hinkommen, wenn es um eine Zeitschrift geht, die in einer Arztpraxis liegt. Das ist ein Extrembeispiel, aber das ist ein Beispiel von vielen, bei denen man schnell merkt, dass irgendwas nicht stimmt."
    "Die Reichweiten folgen den Auflagen"
    Bei der Arbeitsgemeinschaft Mediaanalyse, kurz AGMA genannt, die neben den Auflagenzahlen der Zeitungen und Zeitschriften auch die aller anderen Mediengattungen erhebt, sieht man das naturgemäß etwas anders. Gabriele Ritter, Mitglied der Geschäftsführung und zuständig für den Bereich Print, sagt, dass es durchaus statistische Schwankungsbreiten geben kann:
    "Deswegen schauen wir eigentlich immer ganz gerne ein bisschen längerfristig uns die Reichweiten an. Und da können wir im allergrößten Teil unserer Titel sagen: Die Reichweiten folgen den Auflagen. Es steht immer so im Raum: Die Auflage sinkt, die Reichweite steigt. Das kann ich so einfach nicht bestätigen."
    Für die Reichweitensteigerungen, etwa bei den Wirtschaftsmagazinen, könne es ganz viele verschiedene Gründe geben:
    "Welche Marketingmaßnahmen hat ein Titel ergriffen, oder wie ist das Interesse in dem halben Jahr, weil irgendwas an der Börse passiert ist. Es gibt ganz viele Gründe, warum Titel auch Mitleser haben, in erklecklichem Umfang. Es gibt Titel, die nicht nur für eine Woche interessant sind, die so eine Art Sammelcharakter haben, die durchaus einen längeren Nutzwert haben."
    Höhere Reichweitenzahlen durch Klicks im Internet
    Und dennoch: Viele Reichweitenzahlen erscheinen recht hoch. Gabriele Ritter von der Arbeitsgemeinschaft Mediaanalyse verweist aber darauf, dass den Nutzern sogar Titelcover am Bildschirm gezeigt werden, so dass eine Verwechslungsgefahr ausgeschlossen werde. In der Verlagsbranche sieht man das Problem ohnehin entspannt, da auf Verlagsseite kein wirtschaftlicher Schaden entsteht. Anja Pasquay, Pressesprecherin beim Bundesverband der Zeitungsverleger, sieht aber durchaus Gründe für manche Ausschläge in den Zahlen:
    "Viele Menschen sehen sich natürlich - Zeitungen, Zeitschriften, Anzeigenblätter und und und - mittlerweile digital, online, im Internet, mobil, an und sind dann der festen Überzeugung: hab ich gelesen. Deswegen kann es durchaus sein, dass Reichweitenzahlen viel, viel höher sind als die Zahl einer verkauften Zeitung oder verkauften Zeitschrift, weil sie eben so oft im Internet angeklickt wird. Da gibt es tatsächlich, davon bin ich fest überzeugt, mittlerweile Unschärfen."
    Nun sind solche Unschärfen erst einmal kein Problem - jede Umfrage oder Statistik hat eine bestimmte Schwankungsbreite. Allerdings stellt sich die Frage, wie glaubwürdig sind manche der Reichweitenzahlen überhaupt? Immerhin sind diese Angaben die Ausgangsbasis für die Berechnung der Anzeigenpreise. Die AGMA will die Umfragemethodik in der nächsten Zeit jedenfalls nochmal verfeinern, sagt Gabriele Ritter:
    "Natürlich wird man sich der Sache annehmen und sicher da auch nochmal in den nächsten Monaten nochmal sich intersiver damit auseinandersetzen - unter Hinzuziehung aller Gattungen, Agenturen und Werbungtreibenden."