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Braun statt grün
Vegetationsrückgänge in der Tundra

Die Strauch- und Gras-Steppe im Nordpolargebiet verändert sich durch den Klimawandel. Bisher, so schien es, nur in einer Richtung: Vor allem die Strauch-Tundra ist üppiger geworden. Doch dieser positive Trend kehrt sich möglicherweise um, fürchten Arktis-Forscher.

Von Volker Mrasek | 03.08.2016
    Luftbild eines Lagers von Minenarbeitern in Quebecs Nunavik-Region. Die baumlose Tundra-Landschaft im Norden Kanadas ist kaum erkundet.
    Luftbild eines Lagers von Minenarbeitern in Quebecs Nunavik-Region. (AFP / Jacques Lemieux)
    Seit drei Jahrzehnten haben Satelliten ein Auge auf die Pflanzendecke der Arktis. So lange schon erfassen optische Sensoren im All, wie viel Sonnenlicht Sträucher und Gräser der Tundra schlucken beziehungsweise reflektieren. Aus diesen Signalen im roten und infraroten Frequenzbereich lässt sich indirekt ableiten, wie grün es am Boden ist. Und ob die Vegetation im unwirtlichen Nordpolargebiet kräftig gedeiht oder nicht, erklärt Howard Epstein:
    "Wenn wir uns die 30-jährige Beobachtungsreihe anschauen, dann sehen wir eine Zunahme der Vegetation. Auch die bisher veröffentlichten Studien deuten in diese Richtung: dass die Tundra grüner geworden ist. Und dass sich vor allem die Sträucher ausbreiten oder ein stärkeres Wachstum zeigen."
    Howard Epstein ist Professor für Umweltwissenschaften an der Universität von Virginia in den USA und nicht erstaunt über diesen Trend. Die Arktis hat sich im Zuge des Klimawandels um fast drei Grad Celsius erwärmt. Dauerfrostböden tauen auf, Vegetationszonen verschieben sich polwärts. Außerdem enthält die Luft immer mehr Kohlendioxid. Das ist nicht nur ein Treibhausgas, sondern auch ein wichtiger Pflanzennährstoff und -dünger.
    Teilweise verlieren die Wälder sogar Biomasse
    Es ist also im Prinzip keine Überraschung, wenn die Strauch- und Gras-Tundra in der ganzen Arktis stärker aufblüht. Erfreulich ist es obendrein. Denn dann wird der Atmosphäre umso mehr Kohlendioxid entzogen. Doch nun gibt es unangenehme Nachrichten aus der Arktis:
    "Seit jüngstem sehen wir in den Daten, dass die Tundra nicht mehr grüner wird, sondern brauner. Damit meine ich nicht wirklich, dass sich die Pflanzen verfärben, sondern dass ihre Biomasse zurückgeht, statt weiter zuzunehmen. Seit etwa fünf Jahren zeigt der Trend nach unten, und das an vielen Stellen in der Arktis, was irgendwie rätselhaft ist."
    Im weiter südlich gelegenen Nadelwald gibt es solche Beobachtungen schon länger. Auch er sprießt heute eigentlich üppiger. Andererseits wird die boreale Zone im Sommer immer trockener. Feuer und Schädlingsausbrüche häufen sich, und unter diesen Bedingungen verlieren die Wälder sogar Biomasse.
    Auch in der arktischen Tundra komme es inzwischen häufiger zu Bränden, sagt Howard Epstein. Eine große Rolle beim Rückgang der Vegetation könnten zudem Veränderungen der Schneebedeckung spielen. Weil die Luft feuchter geworden sei, falle im Winter mehr Schnee in der Nordpolarregion, so der Ökologe:
    "Wenn die Schneebedeckung stärker ist und im Frühjahr länger anhält, setzt die Wachstumsperiode später ein. Und das ist sicher für keine Pflanzenart der Tundra förderlich."
    Bisher gibt es noch keine Erklärung für die teilweise "Verbraunung" der Arktis
    Welches Ausmaß die sogenannte Verbraunung der Tundra hat und wie groß die betroffenen Flächen sind - diese Frage können Epstein und andere Arktisforscher noch nicht beantworten. Immerhin: Es gibt erste Abschätzungen für Alaska, von denen die Schweizer Ökologin Christina Schädel berichtet. Sie forscht an der Northern Arizona University in den USA:
    "Etwa 25 Prozent wird grüner, und nur - im Moment - etwa zweieinhalb Prozent wird brauner für Alaska. Das sind jetzt ganz neue Resultate. Im Moment schaut es noch so aus: Die größere Fläche wird grüner, aber es beginnt an gewissen Orten brauner zu werden."
    Die Forscher wollen dem Phänomen jetzt genauer auf den Grund gehen. Dazu reichten Satelliten-Beobachtungen allein nicht aus, betont Howard Epstein. Erforderlich seien auch Freiland-Untersuchungen. Um zu sehen, was da genau am Boden los sei. Und ob die Sträucher und Gräser der Tundra jetzt tatsächlich schrumpeliger werden und in Zukunft weniger Kohlendioxid aus der Luft aufnehmen: "Wir behalten das im Auge!"