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Braune Eminenz

Martin Bormann trat 1927 in die NSDAP ein und stieg weitgehend unbemerkt in der Partei auf. In seiner soliden, gründlich recherchierten Biografie zeichnet Volker Koop Bormanns Leben nach, der als "Sekretär des Führers" zu einem gefürchteten Mann hinter den Kulissen avancierte.

Von Otto Langels | 10.09.2012
    Erstmals fiel Martin Bormann in antisemitischen, paramilitärischen Kreisen auf, als er 1924 wegen der Beteiligung an einem sogenannten Fememord zu einer einjährigen Haftstrafe verurteilt wurde. Gemeinsam mit Rudolf Höß, dem späteren Auschwitz-Kommandanten, hatte er seinen früheren Volksschullehrer wegen angeblichen politischen Verrats umgebracht. Bormann, 1900 in Halberstadt geboren, trat 1927 in die NSDAP ein, stieg weitgehend unbemerkt in der Partei auf und wurde Stabsleiter bei Hitlers Stellvertreter Rudolf Heß. Er verwaltete und vermehrte geschickt Hitlers Privatvermögen, er forcierte den Ausbau des Obersalzbergs bei Berchtesgaden zum pompösen Refugium des Diktators, und er herrschte über den bürokratischen Apparat der NSDAP. Bormanns Biograf, der Berliner Journalist und Zeithistoriker Volker Koop:

    "Er hat es verstanden, außerordentlich geschickt vorzugehen. Er hat sich nie in den Vordergrund gedrängt, nach außen hin. Es gibt keine Rundfunkreden von ihm, er hat anders als andere keine Bücher geschrieben. Er war also immer im Hintergrund, hat es aber verstanden, sich für Hitler unentbehrlich zu machen."

    Volker Koop zeichnet Bormanns Leben als "Sekretär des Führers" akribisch nach: Wie er die Belange der Partei gegenüber der Ministerialbürokratie durchzusetzen verstand, wie er den Einfluss der Kirchen beschneiden und den ideologischen Rassenwahn steigern wollte, wie er im Angesicht der militärischen Niederlage noch die letzten Reserven mobilisierte. Da Bormann keine Tagebücher geschrieben und kaum Reden gehalten hat, bezieht sich Koop vornehmlich auf die zahllosen Rundschreiben und Erlasse, die Hitlers Sekretär verfasste. Entsprechend trocken liest sich manche Passage des Buches. Der Kindheit und Jugend Bormanns gibt der Autor wenig Raum, ebenso streift er Privates und Familiäres nur am Rande, wobei Volker Koop zugute zu halten ist, dass Bormann sein Leben ganz in den Dienst "des Führers" stellte. Detailliert beschreibt der Historiker, wie Bormann im Schatten Hitlers zu einem gefürchteten und gefährlichen Mann hinter den Kulissen aufstieg.

    ""Bormann verfügte im nationalsozialistischen Regime über eine einzigartige Machtstellung, die er schon früh aufzubauen verstand. Fast ausschließlich entschied Bormann, wer zu Hitler vorgelassen wurde. Kein Gesetz konnte ohne seine Zustimmung verabschiedet werden."

    Adolf Hitler schätzte Bormanns unermüdlichen Einsatz, sein phänomenales Gedächtnis, seine hohe Belastbarkeit, sein Organisationstalent. Der "Führer" vertraute seinem "Sekretär" bedingungslos. Da Bormann nach außen hin keine größeren politischen Ambitionen erkennen ließ, sah Hitler in ihm nie einen potenziellen Konkurrenten. Noch kurz vor dem Untergang bezeichnete er ihn als "Treuesten seiner Parteigenossen". Martin Bormann nutzte aber geschickt seine Stellung, so Volker Koop, um hinter dem Rücken Hitlers seine Macht auszubauen.

    "Er hat alle anderen Konkurrenten ausgebootet mit dem Ergebnis, dass er letztlich als Einziger dann neben Hitler tatsächlich stand und Macht in jeder Form ausübte."

    Ob Martin Bormann innerhalb des NS-Regimes tatsächlich zum zweitmächtigsten Mann nach Hitler und zum heimlichen Herrscher Deutschlands aufstieg, wie Volker Koop schreibt, ist zumindest fraglich. Denn Bormanns Macht waren Grenzen gesetzt. NS-Führer wie der Propagandaminister Joseph Goebbels und der Chef der SS Heinrich Himmler oder alte "Kämpfer der Bewegung" wie zum Beispiel der Gauleiter Erich Koch fanden immer wieder Zugang zu Hitler und nutzten den direkten Draht für eigene Interessen. Bormann gehörte neben Goebbels, Himmler, aber auch Hermann Göring und Albert Speer zweifellos zum nationalsozialistischen Führungszirkel. Er war, so stellen zum Beispiel die renommierten NS-Historiker Peter Longerich und Ian Kershaw fest, eine Figur von maßgeblicher Bedeutung, aber nicht die alles entscheidende Instanz nach Hitler, wie Koop meint. Zeitgenossen haben Bormann als wenig einnehmend beschrieben: Er war stämmig, untersetzt, stiernackig, mit schütterem Haar, zudem rücksichtslos und brutal. Dennoch hatte er neben der Beziehung zu seiner Ehefrau Gerda, mit der er zehn Kinder in die Welt setzte, zahlreiche Affären - darunter mit einer 14 Jahre jüngeren Schauspielerin. Ihr brachte Bormanns Gattin scheinbar großes Verständnis entgegen:

    "Das ging ja dann so weit, dass Frau Bormann anregte, eine dieser beiden Frauen, sie als die rechtlich angetraute und die Geliebte sollten abwechselnd Kinder bekommen, natürlich für den Führer, damit dann eine jeweils im Kindbett war und die andere ihm für repräsentative Veranstaltungen zur Verfügung stünde."

    Das Ende Martin Bormanns entsprach seiner Rolle als braune Eminenz. Er blieb bis zum Untergang an der Seite des Diktators, war noch Trauzeuge bei dessen Vermählung mit Eva Braun und unternahm erst nach dem Selbstmord Hitlers einen Ausbruchsversuch aus dem Führerbunker.

    "Wenn man so will, verschwand er dann ja für viele Jahre von der Bildfläche. Und eine Persönlichkeit wie Bormann, von der man ja auch nicht viel wusste, die ja nie im Mittelpunkt der Öffentlichkeit gestanden hatte, bot sich ja geradezu für Spekulationen an."

    1946 wurde Bormann im Nürnberger Prozess in Abwesenheit zum Tode verurteilt. Jahrzehntelang gab es Gerüchte, er sei in Südamerika oder Asien untergetaucht. Der BND-Chef Reinhard Gehlen bezeichnete ihn in seinen Memoiren als Sowjet-Agenten, der in den 1950er-Jahren in Russland gestorben sei. Erst in den 70er-Jahren entdeckte man bei Erdarbeiten in Berlin zufällig ein Skelett, das eindeutig als Martin Bormanns Überreste identifiziert werden konnte. Er hatte vermutlich am 2. Mai 1945 Selbstmord begangen. Volker Koops Buch über Martin Bormann bietet keine grundlegend neuen Erkenntnisse im Vergleich zu der Bormann-Biografie von Jochen von Lang aus dem Jahr 1987. Und Koops Werk reicht bei Weitem nicht heran an die Maßstäbe setzenden Darstellungen Peter Longerichs über Himmler und Goebbels. Gleichwohl ist Koops Biografie eine solide, gründlich recherchierte Arbeit über "Hitlers Vollstrecker".

    Volker Koop: Martin Bormann: Hitlers Vollstrecker.
    Böhlau Verlag, 384 Seiten, 29,90 Euro, ISBN: 978-3-412-20942-1