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Braune Kleckse auf buntem Trubel

In Köln und Düsseldorf herrscht der Ausnahmezustand, Mainz singt und lacht. Egal ob Karneval, Fastnacht oder Fasching – die närrischen Tage haben es in sich. Das war nicht immer so. Die Historiker Marcus Leifeld und Carl Dietmar räumen mit diesem Mythos auf.

Von Mirko Smiljanic | 15.02.2010
    Was wurde nicht schon alles auf seine nationalsozialistische Vergangenheit hin unter die Lupe genommen: Sport und Industrie, Medizin und Universitäten, Medien und Verwaltung - und jetzt der Karneval. Genauer: erst jetzt! Warum so spät? Weil die nach außen so kritischen und respektlosen Narren im Dritten Reich teilweise eine unkritische und angepasste Phase erlebten, an die sich zu erinnern vielen erst jetzt möglich ist. Die meisten Protagonisten von damals leben nicht mehr, ihre Kinder und Enkel arbeiten die Geschichte auf. Dabei, schreiben die Historiker Carl Dietmar und Marcus Leifeld, war von Anfang an klar, dass die Braune Bewegung Gefallen am Karneval findet.

    "Den Nationalsozialisten, die vielfach folkloristische und Brauchtumsveranstaltungen als Mittel zur Selbstdarstellung nutzten, war die Bedeutung des Karnevalsfestes von Anfang an bewusst - daher die hartnäckigen Versuche, den Karneval als Volksfest für ihre politischen Ziele und ihre Weltanschauung zu reklamieren, die dem Karneval innewohnende Meinungsfreiheit zu beseitigen und das Fest in die Reihe staatlicher Massenveranstaltungen einzuordnen."

    Den Karneval zu organisieren sei "eine wichtige Aufgabe der "NSG KdF", der Nationalsozialistischen Gemeinschaft "Kraft durch Freude", so steht es in einer Denkschrift aus dem Jahre 1937. Gefunden hat das Autorenduo sie in einem der weitgehend unerschlossenen Archive deutscher Karnevalsgesellschaften. Ihr Buch, das sei an dieser Stelle schon gesagt, ist eine Fundgrube historischer Dokumente rund um den Karneval! Und es zeichnet ein ebenso differenziertes wie kritisches Bild des Karnevals im Dritten Reich. Der Karneval wurde zwar weitgehend gleichgeschaltet, aber warum gelang das überhaupt? Weil es ein Mythos ist, der offizielle Karneval sei besonders kritisch. Bereits im 19. Jahrhundert, sagt Carl Dietmar, wurde diese Vorstellung widerlegt, als der Mittelstand den Karneval für sich entdeckte:

    "Der Mittelstand ist ja seit der Kaiserzeit sehr obrigkeitshörig, er sucht die Nähe zur Obrigkeit, und umgekehrt hat sich natürlich dann auch immer die Obrigkeit mit dem Karneval geschmückt, um eben Volksnähe zu dokumentieren. Insofern hatte der Karneval seit der Kaiserzeit immer eine sehr konservative Ausrichtung, der Kaiser durfte zum Beispiel nie verspottet werden, die ureigene Aufgabe des Karnevals, eben die Obrigkeit zu verspotten, der Lächerlichkeit preiszugeben, wurde im Grunde völlig unter den Tisch gefegt."

    Das führte unter anderem dazu, dass sich schon in den zwanziger Jahren des letzten Jahrhunderts antisemitische Strömungen in den Umzügen nachweisen lassen. Verglichen mit den Ereignissen nach 1933 waren sie aber harmlos. Bis zur Machtergreifung gab es zum Beispiel jüdische Karnevalsvereine - nach 33 wurden sie sofort verboten! Nach und nach schlossen die Karnevalsgesellschaften zudem jüdische Mitglieder aus, die letzten drei verließen die Kölner Roten Funken 1935. Die Mottowagen der Umzüge spiegelten diese Entwicklung ebenfalls wider. Den perfidesten fand Carl Dietmar beim Rosenmontagszug 1936:

    "Der hieß 'Dem haben sie auf den Schlips getreten', und zwar ging es da um die Nürnberger Rassengesetze von 1935, und da hat man einen Juden dargestellt mit einem langgezogenen Schlips, und vorne auf dem Schlips stand ein Paragraf, das waren die Rassengesetze, und damit hat man die Juden, die mit diesen Gesetzen ja nun endgültig entrechtet wurden, die hat man noch verhöhnt."

    Natürlich gab es in dieser Zeit auch karnevalistischen Widerstand. Unangepasste Büttenredner, zum Beispiel, wie der Kölner Karl Küpper:

    "Küpper hob gelegentlich, wenn er auf dem Rand der Bühne hockte, den rechten Arm und fragte das Publikum: 'Is et am rähne?' - Regnet es?

    Und Leo Statz, Präsident des 1936 gegründeten Karnevalsausschusses der Stadt Düsseldorf, wurde 1943 wegen "Feindbegünstigung und Wehrkraftzersetzung" hingerichtet: Gegenüber kriegsverletzten Soldaten hatte er geäußert, dass sie nicht für Deutschland, sondern "für Hitler die Knochen hinhalten" würden, außerdem zweifelte er am Endsieg. Statz gilt heute als Märtyrer des Brauchtums. Ähnlich gelagerte Fälle gab es immer wieder, weshalb Carl Dietmar den Karneval differenziert betrachtet: Von Stadt zu Stadt, von Region zu Region sieht er große Unterschiede. München war karnevalistisch rasch "gleichgeschaltet", Mainz galt lange Zeit als Hochburg karnevalistischer Opposition:

    "Karneval ist ein Spiegel der Gesellschaft, und so wie eben nach 1933 sehr viele Deutsche sich mit den Nationalsozialisten eingelassen haben oder sich arrangiert haben, wir Deutschen waren ja ein Volk der Mitläufer, haben eben auch die Karnevalisten mitgemacht. Aber es gab auch welche, die nicht mitgemacht haben, es gab welche, die versucht haben, sich diesen Tendenzen zu entziehen, aber von Widerstand kann man eigentlich in keiner Form reden."

    Wer den Karneval im Dritten Reich verstehen will, sollte "Alaaf und Heil Hitler" lesen und wer den heutigen Karneval verstehen will, ebenfalls. Vieles, was uns selbstverständlich ist, haben Nationalsozialisten eingeführt: die prächtige Prinzenproklamation, den Straßenkarneval ab Weiberfastnacht, und dass die Tanzmariechen heute Frauen sind, "verdanken" wir ihnen ebenfalls. Bis 1935 schwangen ausschließlich Männer ihre Beine.

    Marcus Leifeld, Carl Dietmar: Alaaf und Heil Hitler. Karneval im Dritten Reich. Herbig Verlag. 224 Seiten, 24,95 Euro (ISBN 978-3-7766-2630-8)