Dienstag, 23. April 2024

Archiv

Brechts "Dreigroschenoper"
Theatermottenkiste für ein Mitwipp-Musical

Julian Crouch und Sven Eric Bechtolf haben die Brechtsche Dreigroschenoper bei den Salzburger Festspiele als Musical auf die Bühne gebracht. Die Ästetik, komme daher, als sei sie gerade einem Buch von Charles Dickens entsprungen und die Festspiele sollten den Kurs in Richtung Unterhaltungsbanalität dringend korrigieren, meint unser Rezensent Sven Ricklefs.l

12.08.2015
    "Was ist ein Dietrich gegen eine Aktie.
    Was ist ein Einbruch in eine Bank gegen die Gründung einer Bank."
    Kalendersprüche wie diese zeigen es nur allzu deutlich: Sie ist schon arg Antikapitalismus für Anfänger: Bertold Brechts Bettleroper, die ganz nebenbei auch noch beweisen soll, dass eben diese Bettler im Grunde genommen nicht anders sind, als die sich bereichernden Bürger. Und so wäre die Dreigroschenoper wohl nicht so in aller Ohren, wären da nicht diese genialen Gassenhauer, mit denen Kurt Weill dieses Stück unsterblich gemacht hat.
    Die nun großartig als einmaliges Experiment angekündigte Salzburger Dreigroschenoper unter dem Titel "Mackie Messer" traut beidem nicht so ganz: weder der hartnäckigen Mär, dass das Stück doch zumindest im Kern politisch sei, noch wirklich der Musik. Denn ob sich der Aufwand wirklich gelohnt hat, sich von dem Musical-Arrangeur Martin Lowe Weills Musik für das 21 Jahrhundert neu orchestrieren zu lassen, lässt sich nach der gestrigen Premiere zumindest bezweifeln:
    So also klingt die Salzburger Dreigroschenoper, die sich musikalisch in eine durch Streicher und Keyboard angedickte Moderne kleidet, aus deren Soße zwar die unverwüstlichen Weill-Melodien noch hervorlugen, die die Darsteller aber nur heftig verstärkt übertönen können.
    Zugleich kommt die Inszenierung ästhetisch daher, als sei sie gerade einem Buch von Charles Dickens entsprungen. Schon bei dem von Julian Crouch mitverantworteten neuen Jedermann vor zwei Jahren schien es, als blättere da jemand in einem großen Kinderbilderbuch. Auch jetzt hat man wieder das Gefühl, dass Crouch sich von der Ästhetik seines eigentlichen Berufes hat leiten lassen, immerhin ist er gelernter Puppenbauer.
    Und so bevölkern weniger menschliche Figuren als eher ein Typenpanoptikum die Breitwandbühne der Salzburger Felsenreitschule, die in ihrem riesigen Format erst einmal bespielt sein will. Dass Crouch dies zusammen mit seinem Co-Regisseur, dem Interimsintendanten der Festspiele Sven Eric Bechtolf bewerkstelligen würde, war von vornherein klar. Zu befürchten war zugleich aber auch, dass die beiden dafür die Trick- und Mottenkiste des Theaters sehr weit öffnen würden.
    Und so arrangieren sich tatsächlich im wuselnden Wechsel immer neue Podeste zu immer neuen Schauplätzen, fahren Prospekte wie schützende Segel über die Szene, laufen auf Wände gemalte Häuser oder Möbel durch die Gegend, und selbst hoch oben in den Felsenlogen bebildern Scherenschnitte und Schattenspiele wahlweise Handlung oder Songs.
    "Und der Haifisch der hat Zähne
    und die trägt er im Gesicht
    Und Mackieth der hat ein Messer
    doch das Messer sieht man nicht"
    Sähe und hörte man all dies im Londoner Westend, man würde mehr oder weniger mitsingen, sich an der tatsächlich hübschen und immer wieder überraschenden Deko erfreuen, das arrangierte Geschichtchen als notwendiges Übel für die schmissigen Hits in Kauf nehmen und seiner Wege gehen. Doch die Salzburger Festspiele sind kein Musical-Theater für Heathrow-Touristen, zumal schon die letzte Schauspielpremiere mit Shakespeares "Komödie der Irrungen" ebenfalls als Mitwipp-Musical über die Bühne ging.
    Und so sind die Salzburger Festspiele vor allem in ihrem Schauspielprogramm zurzeit in rasanter Fahrt in Richtung Unterhaltungsbanalität unterwegs, ein Kurs, den es dringend zu korrigieren gilt.