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Breitenkultur
Wichtiges Amateurtheater im Dorfkrug

Die Breitenkultur wird im Vergleich zur Hochkultur oft abgewertet. Wer gibt schon zu, dass er den Schwank einer dörflichen Amateurtheatertruppe den Inszenierungen eines Staatstheaters vorzieht? Forscher der Universität Hildesheim wollen nun zeigen, wie wichtig Breitenkultur ist.

Von Jakob Epler | 21.08.2014
    In Hannoversch Münden probt das Drei-Flüsse-Theater. Die Regisseurinnen Ilona Müller und Ariane Trapp sitzen in der ersten Zuschauerreihe und blättern im Text.
    "Also, was machen wir jetzt? Von Anfang?"
    "Machen wir mal lieber den Anfang, besser ist das."
    Der Anfang sitzt am besten und das ist gut zum Reinkommen. Denn es ist bereits 19 Uhr und Regisseurinnen und Schauspieler haben einen harten Arbeitstag in ganz normalen Jobs hinter sich. Sie sind keine Profi-Schauspieler. Sie spielen in ihrer Freizeit ehrenamtlich Amateurtheater. Als erste stampft Silvia Lotze auf die Bühne.
    "Sehr geehrte Damen und Herren vom Leik-Verlag, ich möchte bitte mein Abonnement kündigen. Freundliche Grüße, E. Rothner."
    Das neue Stück heißt "Gut gegen Nordwind". Durch einen Tippfehler landet Frau Rothners Kündigung bei einem Sprachwissenschaftler. Das ist der Auftakt für eine Internet-Liebschaft.
    Amateurtheater wie dieses sind weit verbreitet. Allein der niedersächsische Amateurtheater-Verband listet 120 Bühnen. Die wurden von Wissenschaftlern allerdings bislang eher ignoriert. Jetzt haben die Kulturwissenschaftler Doreen Götzky und Thomas Renz von der Universität Hildesheim eine erste Studie veröffentlicht. Sie befragten Amateurtheater in Niedersachsen und kommen zu dem Schluss, dass die eine große Bedeutung für die kulturelle Szene haben. Das zeigten bereits die Besucherzahlen, sagt Thomas Renz.
    "Wir haben es mal vorsichtig hochgerechnet und mit viel Pi mal Daumen kommen wir auf circa zwei Millionen Besuche von Amateurtheatervorstellungen in Niedersachsen. Diese Zahl von zwei Millionen kann man und sollte man wahrnehmen als kulturelle Aktivität der niedersächsischen Bevölkerung."
    Wichtig für die Gemeinschaft
    Was Vereine wie das Drei-Flüsse-Theater machen, nennen die Wissenschaftler Breitenkultur. Analog zum Breitensport geht es dabei um Kultur, die von der breiten Masse der Bevölkerung gemacht und wahrgenommen wird. Dazu gehört noch viel mehr als Theater: Chöre, Kino, Heimatmuseen, der Schützenverein oder Vereine, die die regionale Mundart bewahren. Doreen Götzky sagt, dass das wichtig sei für die Gemeinschaft in einem Dorf oder in einer kleineren Stadt.
    "Kulturelle Teilhabe manifestiert sich im ländlichen Raum vor allen Dingen durch breitenkulturelle Angebote. Und wenn wir Teilhabe auch unter dem Aspekt von Inklusion sehen, also Leute, die zusammen kommen, gemeinsam was machen und damit das Gemeinwesen stärken, dann halte ich das für notwendig, dass es solche Räume gibt. Weil da findet ganz viel Austausch über das statt, wer sind wir und wie wollen wir leben in unserer Gemeinde."
    Breitenkultur ist mehr als Unterhaltung. Vereine wie das Drei-Flüsse-Theater sind eine Art gesellschaftliches Bindemittel, so die These von Doreen Götzky und Thomas Renz. Aber die Breitenkultur hat auch ein Problem, und zwar ein gesamtgesellschaftliches, das sich beispielhaft bei den Amateurtheatern zeige, meint Renz.
    "Ganz klar der demografische Wandel. Das heißt, die Bevölkerung geht zurück. Und Amateurtheater findet im Wesentlichen in ländlichen Räumen statt. Und dort haben wir eben noch einen stärkeren Rückgang der Bevölkerungszahlen als beispielsweise in urbanen Räumen. Und das zeigen eben auch die Befragungen der einzelnen Theater, die haben ein Problem mit dem Nachwuchs."
    Dieser Befund ist dramatisch, denn in vielen Regionen sind Vereine wie das Drei-Flüsse-Theater die Einzigen, die überhaupt kulturelle Aktivitäten anbieten. Beispielsweise gibt es in Hannoversch Münden kein städtisches Theater. Wer die Profis spielen sehen will, der muss mit dem Auto mindestens 30 Minuten bis nach Kassel oder Göttingen fahren.
    Wie wichtig die Breitenkultur ist, hat nicht nur die Wissenschaft, sondern auch die Politik bislang weitgehend ignoriert. Das spiegelt sich in der Kulturförderung wieder. Und zwar mehr als deutlich, meint Wolfgang Schneider. Er ist in Hildesheim Professor für Kulturpolitik.
    "Die ist sehr städtisch. 90 Prozent aller öffentlichen Mittel – was ja immerhin fast zehn Milliarden Euro sind – fließen in die Kunstbetriebe in den Städten. Wir wissen aber auch, dass nur zehn Prozent der Bevölkerung regelmäßig ins Museum geht, ins Theater geht und gewissermaßen diese Institutionen nutzt."
    Die Politik in die Pflicht nehmen
    Die Breitenkultur hingegen ist auch für viele interessant, die nicht in die Institutionen der sogenannten Hochkultur in die Städte strömen. Im Gegensatz zu Staats- und Stadttheatern müssen sich Amateurtheater aber oft komplett selbst finanzieren. Das ist auch beim Drei-Flüsse-Theater so, sagt der erste Vorsitzende des Theatervereins, Andreas Rieke. Und hier würde er gerne die Politik in die Pflicht nehmen.
    "Also ein bisschen Unterstützung wäre nicht schlecht. Dass es vielleicht einen Fördertopf gibt, wo bestimmte Möglichkeiten bestehen, wenn wir sagen beispielsweise unsere Lichtanlage ist kaputt gegangen, können wir da irgendwo einen Beitrag zu bekommen beziehungsweise ist es möglich, dass ihr uns so was zur Verfügung stellt? Also es ist jetzt nicht so, dass wir, sag ich mal die Hand auf halten und sagen: bitteschön Geld, aber bei berechtigtem Interesse oder Notwendigkeiten würde ich das schon so sehen, dass das eine schicke Sache wäre."
    Dass die Breitenkultur von der Politik bislang stiefmütterlich behandelt wird, räumt auch Niedersachsens Kulturministerin Gabriele Heinen-Kljajić ein. Sie meint, dafür gebe es einen ganz profanen Grund.
    "Es ist einfach so, dass ich eine größere mediale Aufmerksamkeit bekomme, wenn ich zur Eröffnung einer Opernpremiere gehe oder ob ich zu ob ich zu einem Amateurtheater gehe - das ist einfach so."
    Heinen-Kljajić will trotzdem die Breitenkultur fördern. Die Grünen-Politikern sagt, sie wolle kulturelle Teilhabe sichern. Allerdings könnte eine Förderung auch Nachteile mit sich bringen. Geld setzt bestimmte Anreize. Das könnte dazu führen, dass sich Vereine weniger nachdem ausrichten, was sie gerne machen möchten oder, was ihr Publikum sehen will. Stattdessen könnte im Vordergrund stehen, wofür es Fördermittel gibt. Heinen-Kljajić glaubt das verhindern zu können.
    "Ich glaube eine gute und kluge Förderung von Breitenkultur macht das nie alleine vom Planbrett aus, sondern macht das gemeinsam mit denen, die vor Ort die Kunst machen, macht das gemeinsam mit denen, die als Fachverbände ihre Szene kennen. Weil natürlich muss Breitenkultur immer etwas sein, was sich von unten entwickelt und nichts, was ich von oben vorschreibe."
    Neben fehlender Förderung und demografischem Wandel gibt es auch noch einen ganz anderen Grund, der zum Sterben breitenkultureller Angebote führt: Mangelndes Interesse. Vereine, die ländliche Traditionen hochhalten, sind für viele nicht mehr interessant. Kinoinitiativen weichen dem Großbildfernseher zuhause. Und ehrenamtlich geführte Bibliotheken können mit der Konkurrenz Internet nicht mithalten. Professor Wolfgang Schneider:
    "Kulturen verändern sich und da darf dann auch mal was an Geschichte zu Ende gehen. Da darf auch eine Tradition nur noch im Heimatmuseum überleben. Aber die Frage ist doch: Gibt es eine Alternative? Gibt es etwas wo sich etwas weiter entwickelt? Es muss parallel darüber nachgedacht werden, was wollen wir denn und wie wollen wir zukünftig gemeinsam leben."