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Bremen vor der Bürgerschaftswahl
"Wir haben so viele Leute, die eine Wohnung suchen"

Die Bremer wählen am Sonntag eine neue Landesregierung. Ein wichtiges Thema für viele Bürger ist die Wohnungsnot. Aber gibt es die überhaupt? Der Bausenator sagt "Nein". Viele Bremer haben allerdings ganz andere Erfahrungen gemacht.

Von Daniel Heinrich | 06.05.2015
    Die Bronzeplastik der "Bremer Stadtmusikanten" des Bildhauers Gerhard Marcks, am Rathaus von Bremen
    In Bremen ist bezahlbarer Wohnraum knapp. (picture alliance / dpa / Ingo Wagner)
    "Liebe Besucher und Besucherinnen Bremens. Hier findet eine Aktion des Aktionsbündnisses 'Menschenrecht auf Wohnen' statt"
    Joachim Barloschki ist voll in seinem Element. "Barlo", wie ihn hier alle nennen, steht auf dem Bremer Marktplatz, Mikrofon in der Rechten, einen Packen Flyer in der Linken. Der 63-Jährige und seine Kollegen wollen aufmerksam machen auf die schwierige Wohnsituation in der Hansestadt.
    "Mich regt am meisten auf, dass wir eine so verdammt reiche Stadt sind und so verdammt wenig für diejenigen tun, die es nicht so dicke haben. Das gilt grundsätzlich und in der Wohnungsfrage ganz besonders, weil Wohnen ist ein ganz existenzielles Menschenrecht. Und das geht so alles nicht".
    Ein rotes Sofa haben er und seine Kollegen vor der Bürgerschaft aufgestellt. Der Reihe nach nehmen Menschen Platz und erzählen von ihren Problemen bei der Wohnungssuche. Allen voran Nuri Arslan. Von Problemen auf dem Wohnungsmarkt kann der 47-Jährige Handwerker ein Lied singen.
    "Ich wohne seit 18 Jahren in Bremen. Ich habe sieben Kinder und bin auch stolz darauf. Ich suche seit mehreren Jahren eine Wohnung. Ich wohne mit neun Personen in vier Zimmern auf 93 Quadratmeter. Ich suche schon so lange und es passiert nichts. Das macht mich wütend. Es ist frustrierend. Man kommt einfach nicht weiter".
    "Es gibt keine Wohnungsnot"
    Im Gebäude hinter Arslan, in der Bürgerschaft, sitzt im ersten Stock der grüne Bausenator Joachim Lohse. Lohse, 57, smarter Anzug, grüne Krawatte, hat wenig Zeit. Gleich muss er drinnen im Plenarsaal eine Rede halten. Wohnungsnot in seiner Stadt? Er wiegelt ab.
    "Die angespannte Situation ist nicht im gesamten Stadtgebiet. Sie besteht in bestimmten, nachgefragten Quartieren. Es gibt keine Wohnungsnot, das muss man deutlich sagen. Das weisen wir zurück."
    Auf dem Marktplatz draußen kann sich Joachim Barloschki über solche Aussagen nur aufregen:
    "Auch wenn der Bausenator sagt, dass es keine Wohnungsnot in Bremen gibt. Das ist doch ein Widerspruch zu dem, was wir tagtäglich erleben mit Hunderten von Betroffenen. Und zweitens: Alle Wahlprogramme sind voll mit Sprüchen wie 'Wir sind für das Recht auf Wohnen. Wir wollen was tun. Wir haben ja auch schon was eingeleitet.' Ist ja auch gut. Dagegen sind wir nicht, dass was eingeleitet wurde. Nur es reicht vorne und hinten nicht."
    In dieser angespannten Lage trifft es vor allem Menschen mit geringem Einkommen. Menschen wir Birgit Lüken. Die 53-Jährige hat es besonders hart erwischt: Zuerst war der Job weg. Dann der Freund. Und am Schluss auch noch die Wohnung: Sie ist jetzt wieder bei ihren Eltern eingezogen. Die Lage in ihrer Heimatstadt macht sie traurig.
    "Wir haben so viele Leute, die eine Wohnung suchen, die auch wirklich dringend darauf angewiesen sind. Da muss was passieren, sonst gehen wir hier alle den Bach runter. Die Leute sollen sich wirklich mal einen Kopf machen, wie sie das bewerkstelligen wollen. Es wird immer schlimmer."
    Deutlich weniger geförderter Wohnraum
    Und auch Barloschkis Miene verfinstert sich, wenn er über die Entstehung der Misere denkt. Für ihn das Thema alles andere als vom Himmel gefallen.
    "Wir hatten in den 80er-Jahren in dieser Stadt Bremen über 90.000 geförderten Wohnraum, sprich mit gedeckelter Miete, wir haben heute nur noch ein Zehntel davon, gut 8.000 Wohnungen. Und in den nächsten fünf Jahren wird das auch noch mal reduziert auf nur noch 4.000 Wohnungen. Das ist natürlich eine Einladung für die privaten Investoren, hier Mieten zu nehmen ohne Ende, weil es gar nicht mehr genügend Wohnraum gibt und sie können es in dieser Not, weil es ja existenziell ist, dass die Leute Wohnungen haben, von den Lebenden nehmen."
    Ganz erfolglos waren er und seine Mitstreiter in den letzten Jahren nicht. Sie haben es geschafft, dass die Stadt ein "Bündnis für Wohnen" ins Leben gerufen hat: Ein Viertel der neu zu bauenden Wohnungen soll sozialer Wohnraum werden. Es ist ein erster Schritt. Allerdings bleibt nicht viel Zeit. Schätzungen des Bremer Sozialressorts gehen davon aus, dass allein im Jahr 2015 5.000 Flüchtlinge in die Hansestadt kommen. Und auch für die braucht es dringend neuen Wohnraum.