Donnerstag, 28. März 2024

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Brennelementesteuer gekippt
"Wir hätten uns ein anderes Urteil vorstellen können"

Kaum jemand sei davon ausgegangen, dass die Verfassungsklage gegen die Brennelementesteuer erfolgreich sein würde, sagte Kanzleramtsminister Peter Altmaier (CDU) im Dlf. Man werde das Urteil und die damit verbundenen Rückzahlungen an die Energieunternehmen prüfen und die notwendigen Schritte einleiten. Der Ausstieg aus der Kernenergie werde damit nicht infrage gestellt.

Peter Altmaier im Gespräch mit Dirk-Oliver Heckmann    | 08.06.2017
    Peter Altmaier (CDU), Chef des Bundeskanzleramtes, spricht bei der Debatte über die Deutsche Nachhaltigkeitsstrategie der Bundesregierung im Plenum des Deutschen Bundestages.
    Peter Altmaier (CDU), Chef des Bundeskanzleramtes (dpa-Bildfunk / Bernd von Jutrczenka)
    Dirk-Oliver Heckmann: Dass die damalige rot-grüne Bundesregierung unter Kanzler Gerhard Schröder den Atomausstieg beschlossen hatte, das war Union und FDP ein Dorn im Auge. Als Schwarz-Gelb an die Macht kam, verlängerte man die Atomlaufzeiten wieder. Zugleich aber wurde die sogenannte Brennelementesteuer eingeführt. Für jedes neue Brennelement sollten die Betreiber von Atomkraftwerken die Steuer entrichten. Zwei Milliarden sollten jährlich zusammenkommen. Zuerst stellte sich aber heraus, dass die Berechnungen zu optimistisch waren, und gestern dann der Hammer aus Karlsruhe: Die Brennelementesteuer nämlich ist verfassungswidrig. Diese Steuer sei nämlich keine Verbrauchssteuer, die der Bund berechtigt ist, zu erheben. Neue Steuern aber zu erfinden, das komme weder Bund noch Ländern zu.
    - Dazu begrüße ich jetzt Kanzleramtsminister Peter Altmaier. Er war damals, 2010, als das Gesetz verabschiedet wurde, erster Parlamentarischer Geschäftsführer der Unions-Bundestagsfraktion. Er hatte dem Gesetzentwurf damals auch zugestimmt. Schönen guten Morgen, Herr Altmaier.
    Peter Altmaier: Guten Morgen, Herr Heckmann.
    Heckmann: Herr Altmaier, der Bund muss gut sechs Milliarden an die Atomkonzerne zurückzahlen. Da sind die Zinsen noch gar nicht mit drin. Die Opposition spricht von Pfusch, von schwerem Regierungsversagen, Umweltministerin Hendricks von der SPD von einer schallenden Ohrfeige für die schwarz-gelbe Vorgängerregierung. Und Ex-Umweltminister Jürgen Trittin, der hat folgende Frage aufgeworfen:
    O-Ton Jürgen Trittin: "Wir haben die Quittung für eine atompolitische Geisterfahrt der Kanzlerin und die wird den Steuerzahler möglicherweise sechs Milliarden kosten. Die Frage ist, wer haftet eigentlich für dieses Amtsversagen."
    Heckmann: Wer haftet für dieses Amtsversagen, Peter Altmaier?
    Altmaier: Wir sollten uns zunächst einmal nicht von Wahlkampfgetöse beeindrucken lassen. Dass es damals darum ging, auch die Atomkonzerne, die Energieversorgungsunternehmen, die Atomstrom herstellen, an den Gemeinkosten stärker zu beteiligen, und das über eine Steuer, das war lange von SPD und Grünen gefordert worden. Wir haben das damals eingeführt und es ist auch im Bundestag als solche Maßnahme nie verfassungsrechtlich problematisiert worden in einer Art und Weise, die dieses Ergebnis nahegelegt hätte. Es gab Rechtsstreit, weil die Kernkraftwerksbetreiber gegen die Steuer geklagt hatten. Es gab unterschiedliche Urteile der Fachgerichte. Der Bundesfinanzhof, das höchste Finanzgericht, hat die Position der Bundesregierung bestätigt. Der Europäische Gerichtshof hat die Position der Bundesregierung bestätigt.
    Heckmann: Aber Karlsruhe hat es nicht bestätigt.
    Altmaier: Ja. Das Bundesverfassungsgericht ist nun einmal das Verfassungsgericht. Und auch, wenn das Urteil für manche Beobachter überraschend kam, tun wir gut daran, die Urteile des Verfassungsgerichts zur Kenntnis zu nehmen. Und wir werden dieses Urteil jetzt genau prüfen im Hinblick auf seine Konsequenzen. Es geht nicht um die Frage, was wir wollen und was wir mögen; es geht darum, dass wir die Urteile aus Karlsruhe respektieren.
    Heckmann: Aber Sie erkennen schon an, dass Karlsruhe gesagt hat, dieses Gesetz ist ganz klar verfassungswidrig? Dazu hat es nicht mal eine öffentliche Anhörung gegeben. Haben Sie in der Unionsfraktion eigentlich niemanden, der sich die Gesetzentwürfe auf die Verfassungsgemäßheit anschaut?
    "Es ging kaum jemand davon aus, dass die Klage erfolgreich sein würde"
    Altmaier: Es gibt ja ein ganz klar vorgeschriebenes Verfahren, dass die Verfassungsressorts – das ist das Justizministerium, das ist das Bundesinnenministerium – ihre Auffassungen dazu abgeben. Der Bundestag prüft die Gesetze seinerseits. Sie werden debattiert. Und es hat, ich sage das noch einmal, mehrere Gerichtsverfahren gegeben. Das Gerichtsverfahren vor dem Bundesfinanzhof ging im Sinne der Bundesregierung aus. Und noch als wir unter Vorsitz und unter Co-Vorsitz von Jürgen Trittin, Ole von Beust und Matthias Platzeck die Rückstellungen der Kernkraftwerksbetreiber im letzten Jahr auf den Bund übertragen haben in einem neuen Gesetz ging kaum jemand davon aus, dass diese Klage, die in Karlsruhe anhängig war, erfolgreich sein würde.
    Heckmann: Aber noch einmal, Herr Altmaier. Gültig ist ja jetzt das Urteil des Verfassungsgerichts in Karlsruhe und nicht irgendwelche Urteile von anderen Gerichten und anderer Instanzen. Wenn Sie sagen, dass das normalerweise immer geprüft wird durch die verschiedenen Ministerien und auch durch Ihre Fraktion, wer hat denn da geschlafen?
    Altmaier: Ich glaube nicht, dass jemand geschlafen hat, sondern es ist eine Rechtsfrage aufgeworfen worden. Rechtsfragen kann man in manchen und in vielen Fällen unterschiedlich beantworten. Darüber wird gerungen zwischen Akademikern und Gerichten. Diese Entscheidung ist so ausgegangen, wie sie ausgegangen ist. Wir hätten uns eine andere vorstellen können. Aber ich sage noch einmal: Wir akzeptieren das. Ich kenne keine Bundesregierung, weder eine von Union, noch von SPD mit grüner oder liberaler Beteiligung geführte, die nicht auch vor dem Bundesverfassungsgericht Niederlagen kassiert hätte.
    Heckmann: Aber das ist ja eine andere Frage, Herr Altmaier, dass andere Regierungen Niederlagen einstecken müssen. Wir sind jetzt bei dem Thema und da würde ich auch ganz gerne bleiben.
    Altmaier: Ich will ja nur mal darauf hinweisen. Es war lange bekannt, dass dieses Urteil kommt. Es gab trotzdem in der öffentlichen Kommentierung kaum eine Aufregung, weil kaum jemand mit dem Ausgang dieses Verfahrens in dieser Form so gerechnet hätte.
    Heckmann: Aber die Öffentlichkeit ist ja auch nicht für die Gesetze verantwortlich, sondern der Gesetzgeber, also Sie.
    Altmaier: Ja, das ist richtig. Und deshalb haben wir das zu tun, was alle Regierungen vor uns und hoffentlich auch nach uns getan haben und tun werden, nämlich dieses Urteil genau zu prüfen. Und dort, wo wir es umsetzen müssen, werden wir dieses Urteil umsetzen. Der Bundesfinanzminister wird uns dazu eine Vorlage vorbereiten. Wir werden das in der Koalition, wir werden das mit dem Parlament diskutieren und dann die notwendigen Maßnahmen ergreifen.
    Heckmann: Unterm Strich kann man kurz gesagt sagen, da wurde geschlampt?
    Altmaier: Nein, das kann man eben nicht sagen, weil ich war ja damals erster Parlamentarischer Geschäftsführer im Parlament. Ich kann mich an die parlamentarischen Beratungen noch sehr gut erinnern. In der Bundesregierung ist dieses Gesetz vorbereitet worden. Geschlampt, das hätte ja bedeutet, dass Jedermann hätte sehen können, dass hier ein Problem war. Und das war ganz eindeutig aufgrund der Reaktionen, auch aus der Opposition und von anderen Seiten, damals nicht der Fall.
    Heckmann: Aber, Herr Altmaier, das Urteil ist doch jetzt völlig glasklar, was da gesprochen worden ist. Und zwar hat Karlsruhe gesagt, der Bund habe kein Recht, Steuern zu erfinden. Sie haben gerade eben gesagt, Herr Altmaier, Sie hätten sich auch ein anderes Urteil vorstellen können.
    Altmaier: Ja.
    Heckmann: Hätten Sie sich vorstellen können, dass Karlsruhe sagt, der Bund hat das Recht, Steuern zu erfinden?
    Altmaier: Herr Heckmann, die Sache ist vielleicht ein klein wenig komplizierter.
    Heckmann: Bitte helfen Sie uns!
    Altmaier: Es haben zwei Richter in einem Sondervotum gesagt, selbstverständlich kann der Bund auch neue Steuern erfinden. Aber dann braucht er dazu die Zustimmung des Bundesrates. Das war die Auffassung von zwei Richtern, was die Begründung angeht.
    Heckmann: Aber diese Zustimmung ist ja nicht eingeholt worden im Bundesrat.
    Altmaier: Aber Sie sehen doch daran, dass es auch im Bundesverfassungsgericht unterschiedliche Auffassungen gegeben hat. Deshalb sage ich Ihnen, jetzt eine Diskussion zu führen, das hätte man von Anfang an wissen und sehen müssen, das geht an der Realität vorbei. Wir haben in den vergangenen Jahren dafür gesorgt, unabhängig von dem Streit über die Laufzeiten der Kernkraftwerke, dass bei den Gewinnen der Kernkraftwerksbetreiber die Bäume nicht durch die Decke gewachsen sind. Wir haben dafür gesorgt, dass die Rückstellungen für die Entsorgung des Kernbrennmülls gesichert werden. Wir haben ein Endlagersuchgesetz gemacht, das von den Kernkraftwerksbetreibern heftig bekämpft worden war. Das belegt sehr, sehr deutlich, dass wir in unserer gesamten Politik darauf geachtet haben, dass ein gesellschaftlicher Konsens möglich wird. Der heißt Ausstieg aus der Kernenergie, Entsorgung des Kernmülls auf Kosten derer, die ihn verursacht haben, und gesellschaftlicher Konsens und Friede. Das wird auch durch dieses Urteil nicht infrage gestellt.
    Heckmann: Aber dieses Gesetz ist klar verfassungswidrig, und jetzt möchte ich zum nächsten Punkt kommen. Als Sie die Verhandlungen mit den Atomkonzernen über die Kosten der Altlasten geführt haben, da haben Sie auf die Forderung verzichtet, dass die Konzerne sämtliche Klagen zurückziehen. Weshalb haben Sie dann im zweiten Schritt dann auch noch mal den Atomkonzernen ein solches Geschenk gemacht?
    "Um die Frage der anhängigen Klagen ist hart gerungen worden"
    Altmaier: Zunächst einmal ist um die Frage der anhängigen Klagen hart gerungen worden. Die Kernkraftwerksbetreiber haben auch Klagen zurückgezogen, und zwar alle Klagen im Hinblick auf das Endlager. Das war eine Voraussetzung, die die Kommission unter Führung von Jürgen Trittin, Matthias Platzeck, Ole von Beust bestimmt hat, die die Bundesregierung unterstützt hat. Die gleiche Kommission hat dann aber auch gesagt, mit dieser Frage der Übertragung der Rückstellungen haben die anderen Klagen, die den Atomausstieg betreffen, nichts zu tun. Das hat die Kommission einstimmig gesagt. Und dem hat sich die Bundesregierung auch verpflichtet gefühlt.
    Heckmann: Aber Sie hätten ja sagen können, die Klagen müssen fallen gelassen werden, sämtliche Klagen, und zwar auch die Klage bezüglich der Brennelementesteuer.
    Altmaier: Das war nicht im Bericht der Kommission und es hätte auch dazu geführt, dass der Konsens über die Übertragung von 26 Milliarden Euro von den Kernkraftwerksbetreibern auf den Bund in dieser Form nicht zustande gekommen wäre. Deshalb haben wir das getan, was uns die Kommission vorgeschlagen hat, eins zu eins. Und wir haben noch etwas mehr erreicht: Wir haben nämlich erreicht, dass beispielsweise die Klage wegen der Stilllegung von Biblis und andere länderbezogene Klagen zurückgenommen worden sind. Diese Klage ist nicht zurückgenommen worden. Das hatten die Kernkraftwerksbetreiber klar gesagt und das hat der Deutsche Bundestag mit ganz großer Mehrheit am Ende ja auch akzeptiert, wie Sie daran sehen können, dass dieses Gesetz verabschiedet wurde.
    Heckmann: Unterm Strich alles gut, alles gut gelaufen?
    Altmaier: Das habe ich nicht gesagt. Wir haben ein Urteil, was dazu führt, dass möglicherweise vom Bund Gelder an die Energieunternehmen zurückgezahlt werden müssen. Wie viel und in welcher Höhe, das werden wir prüfen.
    Heckmann: Über sechs Milliarden sind es auf jeden Fall.
    Altmaier: Wir hätten uns ein anderes Urteil vorstellen können. Aber noch einmal: Die Autorität des Bundesverfassungsgerichts ist aus gutem Grund von allen akzeptiert und deshalb werden wir dieses Urteil umsetzen.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.