Freitag, 19. April 2024

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Brennnesseln, Polenta, Ziegenkäse
Eine kulinarische Eroberung der Provence

Der Schriftsteller Marcel Pagnol hat seine Heimat in seinen literarischen Kindheitserinnerungen in schillernden Farben und liebevollen Bildern beschrieben. Auch geschmacklich hat die Provence einiges zu bieten. Fernab von industrieller Massenware kann man sich dort Frankreich wortwörtlich auf der Zunge zergehen lassen.

Von Jörg Armbrüster | 11.10.2015
    Ein Brotkorb mit einer Flasche und einem Glas Wasser, dazu ein Glas Wein.
    Einfach, aber außergewöhnlich: Echte provenzalische Küche mit Produkten aus der Region. (Deutschlandradio / Ellen Wilke)
    Es ist später Nachmittag. Zeit fürs Melken. Ziegenbauer Bernard Leroy animiert seine 50 Tiere, ihren großen Stall zu verlassen und über eine kleine Holzplanke in den Melkraum zu trappeln. Viel Überzeugungsarbeit braucht es nicht. Die Ziegen wissen: dort gibt es Futter.
    Die ersten fünf Ziegen haben schon auf dem etwa ein Meter hohen Holzgerüst ihren angestammten Platz eingenommen. Und fressen in aller Ruhe eine Getreidemischung aus Plastikeimern, während Bernard Leroy ihnen die Melkpumpen über die Euter stülpt.
    "Die kommen immer in der gleichen Reihenfolge. Einige sind immer die Ersten, andere die Letzten. Da herrscht eine genaue Ordnung."
    Bernard Leroy ist Anfang 50. Ein Mann mit silbergrauen Schläfen und gewinnendem Lächeln. Zusammen mit Frau und Tochter betreibt er seit 15 Jahren eine Ziegenfarm bei Le Barroux, einem kleinen Ort zehn Kilometer nördlich von Carpentras in der Nähe des berühmten Mont Ventoux. Tagsüber sind die Ziegen draußen auf der Weide.
    "Meine Tierhaltung ist extensiv, das heißt: Die Ziegen sind meistens draußen, können da auch frische Sträucher und Kräuter der Provence fressen, das macht auch den besonderen Geschmack des Käses aus."
    Fingerfertigkeit ist gefragt
    Ziegenbauer Leroy hält die Zucht so natürlich und persönlich wie möglich. Alle Tiere tragen noch ihre Hörner. Und er hat seinen Tieren Namen gegeben. Besser als Nummern findet er. Täglich gibt jede Ziege etwa drei Liter Milch. Daraus macht Leroy insgesamt etwa 200 kleine, runde Käse pro Tag. Die verkauft er dann an die Restaurants im Umkreis und direkt auf seinem Hof. Reich werde er davon zwar nicht, sagt er lächelnd, aber es sei immer sein Traum gewesen, so zu leben.Für nette Kunden gibt's manchmal noch eine Lehrstunde im Ziegenmelken mit der Hand. Auch ich darf es mal probieren.
    Ziegenbauer Bernard macht vor, wie's geht: Das pralle Euter am unteren Ende mit Daumen und Zeigefinger abklemmen, und mit den restlichen drei Fingern die Milch zur Zitze hin rausdrücken. Sieht eigentlich ganz einfach aus. Ist es aber nicht. Beim ersten Versuch scheitere ich altes Stadtkind kläglich.
    Noch ein Versuch. Das pralle Euter fühlt sich ganz zart und warm an. Meine Ziege heißt Esmeralda und hält erstaunlich still.
    "Die ist sehr nett, keine Sorge - und sehr geduldig."
    Und wirklich, es klappt! In einem dünnen Strahl schießt die frische Ziegenmilch in den bereitgestellten Eimer.
    Meinen Erfolg bei Esmeralda hat auch Odile Daniel mitbekommen. Die gelernte Köchin hat gerade den Melkstall betreten, um ihrem Freund Bernard Hallo zu sagen. Und ein gutes Dutzend frischer Ziegenkäse einzukaufen.
    Odile ist eine sehnige, energische Frau Mitte 50. Sie betreibt im nahe gelegenen Bergdorf Brantes, an den Hängen des Mont Ventoux, eine ganz besondere Kochschule.
    Ich begleite Odile in ihrem kleinen Lieferwagen nach Hause. Auf dem Weg nach Brantes schraubt sich der Wagen auf lang gezogenen Serpentinen durch Eichen-, Kiefer und Lärchenwälder immer höher den Berg hinauf. Auf 500 Metern schmiegt sich das Dorf Brantes an einen Ausläufer des Mont Ventoux. Nur etwa 70 Menschen leben dauerhaft hier, allerdings gibt es Dutzende Zweitresidenzen.
    Eine einfache, aber außergewöhnliche Küche
    In der Küche von Odiles Haus, mit atemberaubenden Blick auf die Berghügel des Mont Ventoux, erzählt sie mir mehr von ihrer Kochschule: die Schule der "Aventurières de Goût", der "Abenteuerinnen des Geschmacks".
    "Wir praktizieren eine ganz einfache, aber außergewöhnliche Küche. Eine Küche mit heimischen Produkten wie dem Ziegenkäse und wilden Kräutern hier aus dem Dorf. Daraus kreieren wir etwas Exotisches. Sowas finden sie nicht im Restaurant. Und es ist alles bio und nachhaltig, denn die Pflanzen wachsen ja immer wieder nach."
    Jacqueline Toumissin kommt dazu, eine alte Freundin aus dem Dorf. Zusammen mit ihr gibt Odile Kochkurse und veranstaltet Diners.
    "Ich kümmere mich um die Küche, Jaqueline um die Kräuter. Sie kennt sich bestens aus mit allem, was am Wegesrand wächst."
    Jacqueline, eine Frau um die 60 mit freundlichen Augen, hat ihre dunklen Haare zu einem kleinen Zopf gebunden. So sympathisch können Kräuterhexen aussehen.
    "Eine Kräuterhexe, nein, das bin ich nicht. Ich bin nur eine Kennerin von Pflanzen. Ich habe auch eine Ausbildung zur Ethno-Botanistin absolviert – und dabei viel gelernt über die Heilwirkungen von Pflanzen. Der Malve zum Beispiel, die gibt's ja auch in Deutschland. Die wirkt sehr beruhigend auf den Magen-Darm-Trakt."
    Zusammen mit Jacqueline gehe ich rund ums Dorf Kräuter sammeln. Immer wieder bückt sie sich, um am Wegesrand frische Wildkräuter zu pflücken und in ihr Bastkörbchen zu legen. Das macht sie seit ihrer Jugend.
    "Ich esse die Wildpflanzen seit ich 15 bin. Meine Großmutter hat mir das beigebracht. Sie hat mich viel gelehrt über den Geschmack und die Wirkung von Pflanzen. So hat alles angefangen."
    Nach einer guten halben Stunde kehren wir mit einem Korb voller Wildkräuter in die Küche zurück: In befinden sich Brennnesseln, Malven, Minze oder Basilikum. Nun werden wir gemeinsam kochen.
    "Also, den Ziegenkäse, den werden wir mit Mandeln, rotem Pfeffer, Feigen und der Minze zu einer musigen Creme mixen und die Malvenblüten, die kommen in eine Polenta. Jacqueline ist die Königin der Polenta!"
    Jacqueline versucht, ihrem guten Ruf gerecht zu werden. Und füllt den Polentateig mit den Malvenblüten in kleine Backförmchen. Sie sollen im Ofen fertig backen.
    Währenddessen bereitet Odile aus Brennnesseln, Eiern, Zwiebeln und Kartoffeln einen Salat zu - mit skeptischem Blick nach draußen, denn am Horizont sind dichte, dunkle Wolken zu sehen. Es braut sich was zusammen.
    "Vielleicht wird es bald einen Sturm geben. So wie gestern. Grässlich. Aber so ist das eben manchmal in den Bergen hier."
    Da müssen wir uns wohl mit dem Essen beeilen, sage ich.
    "Nein, nein, beeilen, das wollen wir uns dann doch nicht. Ich denke, es wird schon gut gehen."
    Und Odile wird recht behalten. Eine Stunde später sitzen wir am gedeckten Tisch, draußen auf der kleinen Terrasse ihres Hauses. Das Unwetter hat sich verzogen. Und vor uns stehen in kleinen und größeren Schüsseln die Köstlichkeiten der Wildkräuterküche. Es schmeckt hervorragend.
    Die Kräuter-Kochkurse seien begehrt, freut sich Odile. Das hier, sagt sie, und deutet auf die Schalen vor uns, das ist die echte provenzalische Küche mit Produkten aus der Region ... die Küche der Provence gourmande!