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Brexit-Folgen
"Großbritannien wird den größten Preis dafür zahlen"

Löst der Brexit einen Dominoeffekt aus? Dazu könnte es auf der politischen und auch auf der ökonomischen Ebene kommen, befürchtet der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung Marcel Fratzscher im DLF. Dann drohe Europa erneut die Gefahr einer schweren Rezession wie schon 2012, so Fratzscher.

Marcel Fratzscher im Gespräch mit Christiane Kaess | 24.06.2016
    Der Ökonom und Buchautor Professor Marcel Fratzscher auf der Frankfurter Buchmesse. Er leitet seit 1. Februar 2013 das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) und ist Professor für Makroökonomie an der Humboldt-Universität zu Berlin.
    "Es war ein Crash" sagte Marcel Fratzscher, Präsident des Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung zum Kursabsturz an den Börsen infolge des Brexit (picture alliance / dpa / M. C. Hurek)
    Christiane Kaess: Was bedeutet der Brexit wirtschaftlich? Die Kurse an den Börsen sind heute Morgen so eingebrochen, dass die Händler auf dem Parkett schon von einem Crash gesprochen haben. Über die wirtschaftlichen Auswirkungen möchte ich jetzt sprechen mit Marcel Fratzscher. Er ist Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung. Guten Tag, Herr Fratzscher.
    Marcel Fratzscher: Guten Tag.
    Kaess: Würden Sie das auch sagen, die Reaktion an den Börsen, das war ein Crash?
    Fratzscher: Ja, ohne Zweifel. Es war ein Crash. Das Pfund hat zum Teil zehn Prozent an einem Tag oder in ein paar Stunden gegenüber dem Dollar verloren. Auch der Euro hat deutlich verloren gegenüber den anderen Leitwährungen. Das ist natürlich als erste Reaktion. Die wichtige Frage ist, wie geht es weiter. Auch nach 2008, nach dem Kollaps von Lehman Brothers war zuerst einmal der Crash relativ verhalten, hat dann erst über die kommenden Tage und Wochen an Fahrt gewonnen.
    Die große Frage ist, wie geht es weiter in den nächsten Wochen, ist die Unsicherheit so groß, dass es hier vielleicht sogar zu Verwerfungen bei den Banken kommt. Wir wissen nicht wirklich, welche Banken in Europa haben Schwierigkeiten, welche könnten eventuell Probleme haben, an Liquidität, an Geld zu kommen in den Märkten. Eine solche Finanzmarktpanik zu verhindern, das ist jetzt die wichtigste Aufgabe kurzfristig, um Schlimmeres zu verhindern.
    "Zusammenbruch von einzelnen Banken verhindern"
    Kaess: Was wird denn passieren, um diesen Absturz abzufangen?
    Fratzscher: Die Zentralbanken stehen jetzt wieder mal im Mittelpunkt aller Aufmerksamkeit. Das heißt, die Europäische Zentralbank, die britische Notenbank, die Bank of England und die amerikanische Notenbank. Es werden wahrscheinlich britische Banken und auch Unternehmen Währung brauchen, Zugang zu Euro und US-Dollar. Das haben wir auch in vergangenen Krisen so gesehen. Die Zentralbanken müssen oder werden wahrscheinlich diese bereitstellen, den Banken dafür Zugang geben zu besseren Konditionen. Da jetzt erst mal in den Finanzmärkten Ruhe zu schaffen, den Zusammenbruch von einzelnen Banken zu verhindern, darum geht es. Erst einmal wieder Vertrauen herzustellen, ist die wichtigste kurzfristige Aufgabe.
    Kaess: Dann schauen wir auf die Industrie. Wie wird sich der Brexit da auswirken? Kann man sagen und einigermaßen einschätzen, wie viele Arbeitsplätze auf dem Spiel stehen?
    Fratzscher: Arbeitsplätze - schwer zu sagen. Wir wissen von vielen Prognosen, dass Großbritannien in den nächsten ein, zwei Jahren irgendwo zwischen ein und vier Prozent an Wirtschaftsleistung verlieren könnte. Langfristig könnte es deutlich höher sein. Das Wichtige ist: Diese negativen Auswirkungen für die Wirtschaft werden vor allem über weniger Investitionen kommen. Das heißt, britische aber auch ausländische Unternehmen werden weniger in Großbritannien investieren. Dadurch wird die Wirtschaftsleistung zurückgehen, Innovation wird zurückgehen, und gerade Deutschland als eine sehr offene Volkswirtschaft wird einen sehr hohen Preis zahlen. Wir exportieren acht Prozent aller unserer Exporte nach Großbritannien. Das macht vier Prozent der Wirtschaftsleistung in Deutschland aus.
    Wir beim DIW in Berlin rechnen damit, dass im kommenden Jahr die Wirtschaftsleistung, das Wachstum in Deutschland um 0,5 Prozentpunkte geringer sein könnte, also nicht mehr 1,6, 1,7 Prozent wie bisher vorhergesagt, sondern nur noch 1,1, 1,2 Prozent, alleine über geringere Exporte nach Großbritannien. Auch für Deutschland ist das Risiko sehr hoch. All diese Zahlen sind mit sehr viel Unsicherheit behaftet, aber dadurch, dass wir so eine offene Volkswirtschaft sind, so eng mit Großbritannien verbunden, werden wir das auch in Deutschland spüren.
    "Großbritannien wird den größten Preis dafür zahlen"
    Kaess: Große Unsicherheit, sagen Sie. Lässt sich denn zum jetzigen Zeitpunkt schon sagen, wem der Brexit mehr schaden wird, Großbritannien selbst oder der EU?
    Fratzscher: Ohne Frage wird Großbritannien den größten Preis dafür zahlen. Meine Sorge ist nicht nur auf der politischen Ebene ein Dominoeffekt, sondern auch auf der ökonomischen Ebene. Denn auf der wirtschaftlichen Ebene sieht es so aus: Großbritannien stand ja eigentlich bisher relativ robust da von der Wirtschaft her. Wenn Sie sich Länder wie Italien anschauen, ist das überhaupt nicht der Fall. Italien ist noch immer tief in der Krise, hat eine hohe Staatsverschuldung, die Wirtschaft heute ist neun Prozent kleiner als noch Anfang 2008, und die italienischen Banken sind massiv überschuldet, haben hohe faule Kredite.
    Meine größte Sorge gilt Ländern wie Italien, die einfach im Augenblick so schwach und so verletzlich sind, dass es, wenn es hier zu einem Ansteckungseffekt kommt auf Italien, dass dann Italien diese Krise sehr stark spüren könnte und wir dann ganz schnell wieder da sind, wo wir beispielsweise 2012 waren, wo die Zinsen auf Staatsanleihen durch die Decke gegangen sind und wo die Eurozone eine tiefe Rezession erfahren hat.
    Kaess: Keine guten Prognosen sieht Marcel Fratzscher. Er ist Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung. Danke für diese Einschätzungen an dieser Stelle, Herr Fratzscher.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.